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»Wie alt war Draigen zu diesem Zeitpunkt?«

Febal runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern.

»Ich glaube, etwa Mitte zwanzig. Ja, so ungefähr in diesem Alter.«

»Und Äbtissin Marga machte Draigen zu ihrer Verwalterin?«

»Ja. Sie übertrug ihr das zweithöchste Amt in der Abtei. Und Draigen gefiel es natürlich, ihre Macht zu nutzen.«

»Inwiefern?«

»Sie begann, den Männern in der Gemeinschaft das Leben schwer zu machen und immer mehr Frauen in unser Kloster aufzunehmen. Sie bekämpfte jeden Glaubensbruder, der es zu etwas hätte bringen können. Sie schickte die Mönche auf weite Missionsreisen oder erlegte ihnen als Buße auf, Pilgerfahrten in andere Länder zu unternehmen. Bald lebten kaum noch Männer in der Abtei.«

»Wollt Ihr damit sagen, daß Draigen Männer nicht mochte?«

»Sie haßt alle Männer!« brauste Bruder Febal auf.

»Und Eure Einstellung zu Frauen«, brachte Fidelma ihm freundlich in Erinnerung, »rührt sie daher, wie Draigen Euch behandelt hat, oder hattet Ihr Eure Abneigung gegenüber Frauen in der Kirche schon vorher entwickelt?«

»Meine Einstellung basiert auf logischem Denken«, widersprach Febal ohne Bitterkeit. »Ich empfinde weder Zuneigung noch Abneigung gegenüber Frauen. Doch der Heilige Columban schrieb in einem seiner Gedichte:

Laßt jeden pflichtbewußten Menschen das tödlich Gift vermeiden,

Das die stolze Zunge einer bösen Frau verströmt.

Die Frau zerstörte die höchste Krone der Schöpfung...

In diesem Gedicht spielt er darauf an, daß der Niedergang unserer Gattung Evas Schuld war«, fügte Febal süffisant hinzu.

»Ich sehe, daß Ihr die letzte Zeile dieses Verses unterschlagen habt«, erwiderte Fidelma ruhig. »Die Zeile lautet:

Doch die Frau spendete die dauerhaften Freuden des Lebens.

In dieser Zeile bezieht er sich auf Maria, die Mutter unseres Erlösers.«

Bruder Febal wurde zornesrot, weil sie ihn verbessert hatte.

»Maria wußte wenigstens, wo ihr Platz war«, fauchte er. »Draigen weiß das nicht. Sie ist eine gottlose Frau, die ihre Macht mißbraucht, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen.«

»Ah Ja. Laut Adnar begann Draigen die Gesellschaft junger Frauen vorzuziehen.«

»Sie hat zahlreiche junge Gespielinnen«, versicherte ihr Febal ohne Zögern. »Wahrscheinlich hatte sie auch Affären mit älteren Nonnen, die sich dafür erkenntlich zeigten und ihr zu einem raschen Aufstieg in der Abtei verhalfen.«

Fidelma beugte sich zu Bruder Febal vor und schaute ihm eiskalt in die Augen.

»Als ddlaigh der Gerichtsbarkeit bin ich verpflichtet, Euch zu warnen, Bruder. Falls ich diese Aussage in meinem Bericht erwähnen soll, müßt Ihr darauf vorbereitet sein, öffentlich zu Eurer Anschuldigung zu stehen. Sollte die Anschuldigung falsch sein, haftet Ihr nach dem Gesetz ...«

»Ich kenne das Gesetz. Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe. Es ist bekannt, daß Äbtissin Draigen sich junge Novizinnen ins Bett holt.«

Nach dem Gesetz galt Homosexualität nicht als strafbar, solange Draigen ihre Machtposition nicht ausnutzte, um junge Mädchen, die nicht aus freien Stücken mit ihr ins Bett gehen wollten, dazu zu zwingen. Normalerweise wurde Homosexualität vor dem Cain Lanamna als Scheidungsgrund für beide Ehepartner anerkannt. In Fidelmas Abtei in Kildare war es ein offenes Geheimnis, daß die heilige Brigida, die Gründerin der Gemeinschaft, eine Geliebte namens Darlughdaca hatte, eine Novizin, mit der sie zusammenlebte. Einmal, als Darlughdaca einem jugendlichen Krieger, der in Kildare zu Gast war, schöne Augen machte, tobte Brigida vor Eifersucht und ließ Darlughdaca - wenn man den Überlieferungen Glauben schenkte - zur Strafe über glühende Kohlen laufen. Doch als Brigida starb, wurde Darlughdaca ihre Nachfolgerin.

»Wem ist es bekannt?« hakte Fidelma nach.

»Es ist allgemein bekannt.«

»Normalerweise bedeutet das, daß es sich lediglich um Gerüchte handelt. Ich brauchte schon eine präzisere Zeugenaussage, bevor ich das ernst nehme. Doch jetzt erzählt mir, wie wurde Draigen eigentlich Äbtissin?«

Bruder Febal kratzte sich nachdenklich mit dem Finger an der Nasenspitze.

»Das muß wohl mit dem Teufel zugegangen sein. Wie gesagt, Marga war alt. Sie litt unter Schmerzen in der Brust. Am Ende bestand Draigen darauf, daß sie, und nur sie allein, die alte Äbtissin pflegen durfte. Sie bereitete ihr die Medizin vor und bediente sie in ihrem Gemach. Ich war nicht überrascht, als eines Tages verkündet wurde, daß Marga gestorben war.«

»Wann war das .?«

»Im Sommer vor fünf Jahren.«

»Und so wurde Draigen Äbtissin?«

»Oh, es fand natürlich eine Versammlung statt, denn wie in allen irischen Klöstern trat die Gemeinschaft zusammen und sprach über die Verdienste der Anwärterinnen auf das Amt.«

»Aber Draigen war die einzige Anwärterin?«

»Ich legte Protest ein und verlangte, bei der Frage der Nachfolge berücksichtigt zu werden.«

»Und?«

»Zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch ich und zwei ältere Brüder in der Abtei. Man lachte über uns. Und natürlich wurde Draigen Äbtissin. Noch auf der nämlichen Versammlung verkündete sie, daß sie die Abtei nicht länger als conhospitae führen wolle. Ich wurde aus meinem Amt als doirseor entlassen und zusammen mit meinen Brüdern aufgefordert zu gehen.«

»Ihr habt also das Kloster verlassen und seid bei Adnar geblieben?«

»Ja. Meine beiden Gefährten beschlossen, in den Norden zu gehen und der Gemeinschaft von Emly beizutreten. Ich blieb hier, denn Adnar suchte einen Mönch, der sein Seelen-Freund sein und die Messe für ihn lesen sollte.«

»Wann habt Ihr erfahren, daß Adnar Draigens Bruder war?«

»Vor langer Zeit.«

»Etwas genauer vielleicht?«

»Einige Jahre, bevor Draigen zur rechtaire der Abtei ernannt wurde, kehrte Adnar, der in Gulbans Heer gedient hatte, zurück. Es gab damals sehr viel Gerede. Er verklagte Draigen sogar vor Gericht - wegen seines Anteils an dem Land ihrer Eltern -, doch seine Klage wurde abgewiesen.«

»Abgewiesen?« Fidelma runzelte die Stirn. »Es klingt doch ganz so, als hätte Adnar das Recht auf seiner Seite.«

»Dennoch wurde sie abgewiesen. Jeder wußte, daß ich mit Draigen verheiratet gewesen war, und offensichtlich hatte Adnar Mitleid mit mir.«

»Und habt Ihr diese Beziehung ausgenutzt?«

»Warum sollte ich sie ausnutzen, und wie?«

»Ihr wart schließlich verbittert über Draigens Verhalten. Schlug sich das nicht in Euern Diensten für ihren Bruder nieder?«

Febal lächelte, doch es lag weder Wärme noch Humor in seinem Lächeln.

»Ich brauchte sie gar nicht auszunutzen. Bruder und Schwester haßten sich von Anfang an. Adnar gab Draigen die Schuld am Verlust seines Erbes, und Draigen gab Adnar die Schuld am Tod ihrer Eltern.«

»Man könnte behaupten, daß Ihr Euch eine Stellung in Adnars Haus suchtet, um die beiden gegeneinander auszuspielen. Um noch mehr Streit zwischen ihnen zu entfachen. Man könnte behaupten, daß Ihr Lügen über Draigen verbreitet habt. Die Sache mit ihrer Vorliebe für Novizinnen, zum Beispiel?«

»Das ist nicht wahr. Es gab ohnehin genügend Streit zwischen den beiden. Adnar bot mir an, bei ihm in Dun Boi zu bleiben, und ich akzeptierte sein Angebot. Ich empfand eine gewisse Genugtuung darüber, daß es Draigen nicht gelungen war, mich ganz aus meiner Heimat zu vertreiben.«

»Aber Ihr müßt Draigen gegenüber doch auch Haß und Rachegelüste empfinden?«

»Niemand weiß, wie sehr ich diese Frau aus tiefster Seele hasse. Aber wenn Ihr meint, daß ich Lügen über sie verbreite, dann sucht doch Schwester Bronach auf und fragt sie, ob die Äbtissin das Bett mit Schwester Lerben teilt.«