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Die Hütte schien in zwei Räume unterteilt zu sein, von denen man den einen durch das Fenster einsehen konnte. Er war leer, nur eine Lampe, die an einem der Dachbalken hing, verbreitete spärliches Licht. Mehrere Pfosten trugen die Decke. Am Fuße eines dieser Pfosten kauerte eine Gestalt: ein Mann, in braune Gewänder gehüllt, den Oberkörper über die Füße gebeugt. Er schien an irgend etwas zu arbeiten. Fidelma atmete schnell. Der Mann trug die Tonsur des Heiligen Petrus von Rom. Sie vergewisserte sich, daß sich niemand sonst in dem Raum aufhielt. Durch das Fenster konnte man unmöglich einsteigen, es war mit einem Holzgitter gesichert. Sie ging zur Tür und fand sie von außen mit einem schweren Querbalken verschlossen. Fidelma blickte sich kurz um, und da niemand in Sicht war, hob sie den Balken hoch und ließ ihn aus seiner eisernen Befestigung gleiten, so daß sie die Tür öffnen konnte.

Sie schlüpfte hinein und zog die Tür hinter sich zu. Mit dem Rücken zum Eingang blieb sie stehen und schaute sich um.

Der Mann auf dem Boden war nun nicht mehr mit seinen Füßen beschäftigt, sondern saß, gegen den Pfosten gesunken, da wie ein Schlafender. Seine Augen waren fest geschlossen.

Fidelma trat einen Schritt vor und lächelte.

»Jetzt ist keine Zeit zum Schlafen, Bruder Eadulf«, flüsterte sie.

Als hätte man plötzlich einen Schwall kalten Wassers über ihn gegossen, flog der Kopf des Mannes nach oben, und sein Körper straffte sich. Mit offenem Mund starrte er auf die Gestalt, die da im Halbdunkel vor ihm stand.

Sie trat noch einen Schritt vor, bis das trübe Licht der Lampe auf ihr Gesicht fiel.

»Mein Gott! Seid Ihr’s wirklich?« fragte er mit ungläubigem Staunen.

Impulsiv beugte sich Fidelma vor und ergriff Ea-dulfs Hände, die er ihr entgegenstreckte. Seine Arme waren frei, doch einer seiner Knöchel war an den Holzpfosten gekettet, neben dem er kauerte. Er wirkte schmutzig und so erschöpft, als hätte er eine Woche weder gegessen noch geschlafen. Ganz offensichtlich traute er seinen Augen nicht und hielt ihre Hände fest umklammert, als fürchte er, sie sei nur ein Trugbild und könne plötzlich wieder verschwinden.

»Fidelma!«

Einige Augenblicke brachte keiner von beiden ein Wort hervor. Schließlich brach Fidelma das Schweigen.

»Ausgerechnet Ihr, Eadulf«, sagte sie und zwang sich zu einem tadelnden Tonfall, obwohl ihre Stimme stockte. »Bruder Eadulf, von allen Menschen seid Ihr der letzte, den ich in meiner Heimat zu sehen erwartete.«

»Um die Wahrheit zu sagen«, erwiderte Eadulf und verzog dabei den Mund zu einem Grinsen, »um die Wahrheit zu sagen, ich muß gestehen, daß ich die Hoffnung schon aufgegeben hatte, überhaupt irgendeinen meiner Bekannten jemals wiederzusehen. Aber wie kommt Ihr hierher? Ihr seid doch sicher nicht mit diesen Leuten befreundet ...?«

»Es gibt so viel zu erklären«, erwiderte Fidelma kopfschüttelnd. »Aber wir müssen uns beeilen und Euch von hier fortbringen, bevor man uns entdeckt. Wie seid Ihr gefesselt?«

Eadulf verkniff sich die zahllosen Fragen, die ihm durch den Kopf schossen, und deutete auf die eiserne Fußfessel an seinem Knöchel.

»Ich habe versucht, sie zu lösen, aber ich verfüge nicht über das richtige Werkzeug.«

Mit vor Konzentration gerunzelter Stirn untersuchte Fidelma das Schloß. Es war ein einfacher Mechanismus, doch man brauchte etwas Langes, Dünnes, um ihn aufzubrechen. Sie griff in ihre crumena, zog das Messer heraus, das sie stets bei sich trug, und versuchte, die Spitze in die Öffnung des Schlosses zu stecken. Sie war zu breit.

Eadulf sah niedergeschlagen zu, wie sie sich um-blickte, offenbar auf der Suche nach einen langen Metallstück, mit dem sie das Schloß aufbrechen konnte.

»Hier ist nichts in Reichweite. Ich habe schon nachgesehen.«

Fidelma antwortete nicht, sondern erhob sich und untersuchte die Laterne, die an dem Holzbalken hin. Sie reichte hinauf, nahm sie ab und betrachtete prüfend den Metallnagel, an dem sie aufgehängt war. Dann stellte sie die Lampe ab und begann mit ihrem Messer, den Nagel auszubohren. Nach einer Weile hatte sie rundherum genügend Holz entfernt, um ihn zu lok-kern, und nach einer weiteren Weile hatte sie genug an ihm gewackelt und konnte ihn nun mühelos herausziehen. Dann machte sie sich wieder an ihre Aufgabe.

»Ich begreife immer noch nicht, wie Ihr hierhergekommen seid, Fidelma«, sagte Eadulf und sah zu, wie sie den Nagel im Schloß herumdrehte.

»Das kann ich nicht so schnell erklären. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, wie Ihr hierhergekommen seid.«

»Ich reiste als Passagier auf einem gallischen Handelsschiff. Der Kapitän lief diesen Hafen an, um Waren zu tauschen, und plötzlich wurden wir alle gefangengenommen.«

»Wo sind die anderen Gefangenen?«

»Die meisten sind zum Arbeiten in den Minen eingesperrt. Es gibt hier Kupferminen .«

»Ich weiß. Ah! Das war’s.«

Der Mechanismus klickte, und sie löste die Fußfessel von seinem Knöchel.

Eadulf begann die Druckstelle zu massieren.

»Nun, es fällt mir nicht schwer, mich der Gastfreundschaft dieser Leute hier zu entziehen«, murmelte er. Dann blickte er verlegen zu der geschlossenen Tür, die diesen Teil der Hütte von dem zweiten Raum trennte. »Aber ...«

»Was ist los?« fragte Fidelma ungeduldig und ging bereits auf die Tür zu. »Wir sollten jetzt gehen. Unser Glück kann schließlich nicht ewig währen.«

»Im Nebenzimmer wird eine ältere Nonne gefangengehalten. Sie ist schon seit mehreren Wochen hier, und ich würde sie nur ungern zurücklassen. Können wir sie nicht mitnehmen?«

Fidelma zögerte keinen Augenblick.

»Ist sie allein?«

Eadulf nickte.

Fidelma nahm die Lampe, ging vorsichtig zum Nebenraum und öffnete die Tür.

Eine ältere, weißhaarige Frau lag auf einem Strohsack in der Ecke und schlief. Wie bei Eadulf steckte einer ihrer Knöchel in einer eisernen Fußfessel, die mit einer Kette an der Wand befestigt war.

Fidelma ging neben ihr in die Hocke und schüttelte sie sanft.

Die Nonne erwachte und riß angstvoll die Augen auf. Sie öffnete den Mund, doch Fidelma legte ihr einen Finger auf die Lippen und lächelte ermutigend.

»Ich bin hier, um Euch zu helfen. Ihr seid vermutlich Schwester Comnat?«

Die Frau musterte sie erstaunt und nickte.

Fidelma ergriff den Nagel und beugte sich über das Schloß.

»Das haben wir gleich.«

Schwester Comnat blickte von Fidelma zu Eadulf, der im Türrahmen stand und sein Bein streckte und massierte, um die Durchblutung anzuregen.

»Gott sei Dank!« flüsterte die ältere Schwester. »Dann ist Schwester Almu also sicher durchgekommen?«

Fidelma preßte die Lippen fest zusammen und schüttelte schnell den Kopf.

»Darüber sprechen wir später.«

Das Schloß an Schwester Comnats Fessel war nicht so schwer zu öffnen wie das von Bruder Eadulf, oder aber Fidelma hatte schon mehr Erfahrung in der Kunst des Schloßaufbrechens. Ein hörbares Klicken, und die Fußfessel fiel ab.

»Was nun?« fragte Eadulf. »Hier treiben sich viele Krieger herum.«

Fidelma half der geschwächten Nonne aufzustehen.

»In der Nähe warten Freunde auf uns. Mit Pferden. Kommt.«

Sie stützte Schwester Comnat, die vor Schwäche schwankte, und führte sie zur Haustür.