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Fidelma begrüßte den Brehon. Sie hatte schon damit gerechnet, daß Bran Finn seinen höchsten Beamten der Gerichtsbarkeit entsenden würde, um in diesem Fall als Richter zu fungieren. Dann stellte sie ihm Eadulf vor.

Beccan sprach mit großem Ernst: »Selbst wenn außer Eurer Gefangennahme kein weiteres Verbrechen begangen worden wäre, Bruder, hätten wir es mit einer schwerwiegenden Angelegenheit zu tun. In unserem Königreich sind wir der Ansicht, daß die Nichtbeachtung des Gastrechts gegenüber Fremden ein schlechtes Licht auf uns alle wirft, vom Oberkönig angefangen bis zum Geringsten in unserem Land. Deshalb möchte ich mich bei Euch in aller Form entschuldigen und verspreche, daß Ihr angemessen entschädigt werdet.«

»Die einzige Entschädigung, die ich verlange«, erwiderte Eadulf genauso ernst, »ist, daß die Gerechtigkeit obsiegt und die Wahrheit sich durchsetzt.«

»Wohl gesprochen, Sachse«, erwiderte Beccan, dessen Augen sich vor Staunen weiteten, da Eadulf die irische Sprache so fließend beherrschte. »Eurer Redegewandtheit nach zu urteilen müßt Ihr an unseren Hochschulen studiert haben. Ihr sprecht unsere Sprache ausgezeichnet.«

»Ja, ich habe einige Jahre in Durrow und Tuam Brecain verbracht«, bestätigte Eadulf.

Äbtissin Draigen war verärgert, daß niemand sie beachtete, und schaltete sich ein. Unter normalen Umständen hätte sie - so wollte es das Protokoll - den Brehon als erste begrüßt.

»Ich bin froh, daß Ihr gekommen seid, Beccan. Hier gibt es vieles aufzuklären. Bedauerlicherweise scheint die junge ddlaigh, die uns Broce geschickt hat, dazu nicht in der Lage zu sein.«

Beccan hob fragend die Augenbrauen.

»Das ist die Äbtissin der Gemeinschaft«, stellte Fidelma Draigen vor, »und das ist ihre rechtaire.«

Der Brehon begrüßte sie höflich, ohne jedoch die Enttäuschung zu beachten, die sich auf Draigens Miene widerspiegelte, weil man sie Beccan erst vorstellen mußte.

»Kommt, Äbtissin, laßt uns zusammen mit Eurer jungen Verwalterin ein Stück gehen und dabei besprechen, was als nächstes zu tun ist.«

Er nickte Fidelma lächelnd zu und führte die Äbtissin und ihre Untergebene davon.

»Ein kluger Mann«, bemerkte Ross. »Er weiß, daß wir Zeit brauchen, um miteinander zu reden, ohne daß Draigen uns zuhört.« Kopfschüttelnd fuhr er fort: »Ehrlich, Fidelma, ich habe mir große Sorgen um Eure Sicherheit gemacht. Ich fürchtete, Ihr könntet in den Aufstand verwickelt worden sein.«

»Was gibt’s darüber Neues? Was ist passiert?« fragte Fidelma mit banger Ungeduld.

»Ich bin mit Schwester Comnat nach Ros Ailithir gesegelt. Nur etwa eine halbe Tagesreise von hier entfernt trafen wir, wie es der Zufall wollte, auf ein Kriegsschiff der Loigde. Der Kapitän, ein guter Bekannter, entschloß sich, unverzüglich Gulbans Kupferminen anzusteuern. Wir setzten unsere Reise fort und begaben uns in Ros Ailithir auf schnellstem Wege zu Abt Broce und Bran Finn. Dieser wiederum versetzte seinen Stamm sofort in Alarmbereitschaft und schickte Boten zu Euerm Bruder nach Cashel. Außerdem stellte er mir ein Kriegsschiff als Geleitschutz zur Verfügung, und wir kehrten mit dem Brehon hierher zurück, so schnell wir konnten. Schwester Comnat bestand darauf, ebenfalls mitzukommen.«

»Haben die Aufständischen Cashel denn schon angegriffen?« unterbrach Eadulf, der wußte, wieviel Sorgen sich Fidelma um ihren Bruder machte.

»Das wissen wir nicht«, erwiderte Ross. »Beccan hat den Auftrag, Adnar und alle, die Gulban unterstützen, einzusperren. Er wird die Abtei beschützen, bis er neue Anweisungen von Bran Finn erhält. Sobald wir erfahren, wie es um Cashel steht, kann Beccan über die Morde in der Abtei zu Gericht sitzen.«

Fidelma überlegte.

»Das ist ganz in meinem Sinne«, stimmte sie zu. »Tatsächlich ist die Verzögerung sogar von Vorteil, denn ich möchte noch einige Dinge klären, bevor ich in dem Fall die Anklage vorbringe. Aber sind wir hier denn sicher vor Gulbans Männern?«

Ross deutete wortlos auf das Kriegsschiff, das unter der Flagge von Cashel in der Meerenge vor Anker lag.

»Keine schlechte Garantie«, brummte Eadulf. Dann wurden seine Augen schmal. »Hier kommt Adnar, der hiesige Häuptling, um sich mit dem Brehon bekannt zu machen.«

Vom Kai vor Dun Boi legte ein Boot ab und überquerte die Bucht. Im Heck war die schwarzhaarige Gestalt des bo-aire zu erkennen.

»Ich glaube, ich würde gern mit auf Eure barc kommen und noch einmal mit Schwester Comnat sprechen, Ross«, sagte Fidelma, der ein erneutes Zusammentreffen mit Adnar im Augenblick nicht sehr gelegen kam.

Ross half Fidelma ohne Zögern in sein Boot, und zusammen mit Eadulf fuhren sie los, bevor Adnars Gefährt am Kai anlegte.

Schwester Comnat saß in der Kajüte. Sie wirkte etwas abgespannt, schien jedoch bei wesentlich besserer Gesundheit zu sein als beim letzten Mal, da Fidelma sie gesehen hatte.

»Ist alles in Ordnung?« fragte sie sofort, kaum daß Fidelma und Eadulf die Kajüte betreten hatten.

»Wahrscheinlich erfahren wir das erst in ein bis zwei Tagen, Schwester«, erwiderte Fidelma. »Jedenfalls können wir die Liste der Todesfälle in der Abtei um einen Namen ergänzen - Torcan von den Ui Fid-genti.«

»Der Sohn von Eoganan? Er war in der Abtei?« fragte die Bibliothekarin besorgt.

Fidelma nahm auf der Koje Platz und bedeutete Comnat, sich wieder zu setzen.

»Ihr habt erzählt, daß Ihr beobachten konntet, wie er Gulbans Männer trainierte, bevor Ihr zusammen mit Schwester Almu gefangengenommen wurdet?«

»Ja.«

»Und Bruder Eadulf hat in ihm den jungen Häuptling wiedererkannt, der in den Kupferminen das Kommando hatte.«

»Ja, dort war er auch.«

»Schwester Comnat, Ihr seid doch sehr gebildet -sagt, kennt Ihr die Bedeutung des Namens Torcan?«

Schwester Comnat war sprachlos.

»Was hat das damit zu tun?«

»Bitte.«

»Na schön, laßt mich überlegen ... wahrscheinlich handelt es sich um eine Ableitung von torce, einem wilden Eber.«

»Habt Ihr nicht erwähnt, daß Schwester Almu vor ihrer Flucht etwas zu Euch sagte, worauf Ihr Euch keinen Reim machen konntet?«

»Ja, sie sagte ...« Comnat verstummte, als sie den Zusammenhang begriff. »Vielleicht habe ich ihre Bemerkung auch falsch verstanden. Almu sagte etwas über einen wilden Eber, zumindest glaube ich das . Wollt Ihr behaupten, daß Torcan ihr zur Flucht ver-half und sie dann ermordete? Aber warum? Das ergibt doch gar keinen Sinn.«

»Ihr habt auch erwähnt, daß Almu mit Siomha befreundet war, richtig?«

»Sehr sogar.«

»Falls Almu die Abtei wohlbehalten erreicht hätte, wäre es für sie doch naheliegend gewesen, zuallererst Schwester Siomha aufzusuchen, vielleicht sogar noch, bevor sie mit Äbtissin Draigen gesprochen hätte, nicht wahr?«

»Möglich.«

»Versetzt Euch mit mir noch einmal zurück an jenen Tag, an dem der alte Bettler Euch die Abschrift von Teagasg Ri verkaufte, des Werkes, das Oberkönig Cormac verfaßt hat. Erinnert Ihr Euch?«

Schwester Comnat sah sie verdutzt an. Am liebsten hätte sie gefragt, warum die Rechtsgelehrte so sprunghaft das Thema wechselte, doch sie wußte das Funkeln in Fidelmas Augen richtig zu deuten.

»Ja«, antwortete sie. »Das war in der Woche, bevor Schwester Almu und ich nach Ard Fhearta aufbrachen.«

»Kam der Bettler direkt in die Bibliothek?«

»Nein. Er ging zuerst zur Äbtissin und gab ihr das Buch. Sie schickte nach mir und fragte mich, ob es sich lohnte, den Band zu kaufen. Äbtissin Draigen hat zwar viele Stärken, aber ein Verständnis für Bücher und Bibliotheken gehören nicht dazu. Ich sah sofort, daß die Abschrift gut war.«

»Waren irgendwelche Seiten des Buches beschädigt oder herausgetrennt?«

»Nein. Für ein so altes Buch war es in einem ausgezeichneten Zustand. Es hatte sogar noch einen besonderen Wert, denn im Anhang war eine Kurzbiographie des Oberkönigs hinzugefügt. Also stimmte ich zu, daß die Abtei das Buch kaufen oder von dem Alten gegen Nahrungsmittel eintauschen sollte.«