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«Apropos Alibis», sagte Superintendent Harper. «Damit müssen wir uns auch noch befassen.»

Colonel Melchett zog die Brauen hoch. «Nanu? Hatte ich diesen Teil der Ermittlungen nicht Ihnen übertragen?»

«Ja, Sir, und wir haben ermittelt – sehr eingehend. Wir haben sogar Hilfe aus London angefordert.»

«Und?»

«Conway Jefferson mag ja glauben, Mr. Gaskell und die junge Mrs. Jefferson stünden finanziell bestens da, aber dem ist nicht so. Beide sind äußerst knapp bei Kasse.»

«Tatsächlich?»

«Ja. Es stimmt, was Mr. Jefferson sagt: Er hat seinem Sohn und seiner Tochter bei ihrer Heirat jeweils eine beträchtliche Summe ausgesetzt. Das liegt aber inzwischen zehn Jahre zurück. Jefferson junior glaubte in Gelddingen eine glückliche Hand zu haben, und allzu riskante Investitionen hat er auch nicht getätigt, aber er hat mehr als einmal Pech gehabt oder sich verkalkuliert. Sein Vermögen ist immer mehr geschrumpft, so dass seine Witwe jetzt große Schwierigkeiten hat, zurechtzukommen und ihren Sohn auf eine gute Schule zu schicken.»

«Aber an ihren Schwiegervater hat sie sich nicht um Hilfe gewandt?»

«Nein, Sir. Soweit ich weiß, lebt sie bei ihm und spart dadurch die Kosten für einen eigenen Haushalt.»

«Und sein Gesundheitszustand ist so, dass er vermutlich nicht allzu alt werden wird?»

«Ganz recht, Sir. Und nun zu Mark Gaskell. Er ist schlicht und einfach ein Spieler. Hatte das Geld seiner Frau schon nach kurzer Zeit durchgebracht. Sitzt im Moment böse in der Klemme. Braucht dringend Geld, und zwar nicht wenig.»

«Kann nicht behaupten, dass er mir sonderlich sympathisch wäre», sagte Colonel Melchett. «Macht einen etwas zügellosen Eindruck, finden Sie nicht? Und er hat ein Motiv. Fünfundzwanzigtausend Pfund hätte es ihm eingebracht, das Mädchen aus dem Weg zu schaffen. Wenn das kein Motiv ist!»

«Sie hatten beide ein Motiv.»

«An Mrs. Jefferson denke ich dabei nicht.»

«Nein, Sir, ich weiß. Und das Alibi gilt für beide. Sie können es gar nicht gewesen sein.»

«Haben Sie detaillierte Aussagen darüber, was sie an dem Abend gemacht haben?»

«Ja. Zunächst Mr. Gaskelclass="underline" Er hat mit seinem Schwiegervater und Mrs. Jefferson zu Abend gegessen, danach wurde noch Kaffee getrunken, und Ruby Keene hat sich zu ihnen gesetzt. Dann ist er unter dem Vorwand, noch ein paar Briefe schreiben zu müssen, gegangen. In Wirklichkeit hat er seinen Wagen geholt und eine kleine Fahrt zur Strandpromenade unternommen. Gibt offen zu, dass er es nicht erträgt, einen ganzen Abend lang Bridge zu spielen. Der alte Knabe ist ganz verrückt danach. Die Briefe waren also ein Vorwand. Ruby Keene ist bei den anderen geblieben. Während ihres Auftritts mit Raymond kam Gaskell zurück. Danach hat sie noch ein Glas mit den Jeffersons getrunken und ist dann mit dem jungen Bartlett in den Ballsaal hinüber. Mark Gaskell und die anderen haben ihre Bridgepartie angefangen. Das war um zwanzig vor elf. Gaskell hat bis nach Mitternacht am Tisch gesessen, soviel steht fest, Sir. Jeder kann es bezeugen, die Familie, die Kellner, alle. Er kann es also nicht gewesen sein. Und Mrs. Jefferson hat dasselbe Alibi. Sie hat genauso lange am Tisch gesessen. Sie scheiden beide aus – definitiv.»

Colonel Melchett lehnte sich zurück und trommelte mit einem Brieföffner auf den Tisch.

«Vorausgesetzt, das Mädchen ist vor Mitternacht umgebracht worden», setzte Superintendent Harper hinzu.

«Nach Haydocks Meinung war das der Fall. Haydock ist äußerst zuverlässig in seiner Arbeit für die Polizei. Was er sagt, stimmt.»

«Es könnte immerhin Gründe geben – gesundheitliche Gründe, körperliche Besonderheiten oder dergleichen…»

«Ich rede noch einmal mit ihm.»

Melchett sah auf die Uhr, griff zum Telefonhörer und verlangte eine Nummer. «Um diese Zeit müsste er zu Hause sein. Und was ist, wenn Ruby nach Mitternacht getötet wurde?»

«Das brächte uns vermutlich weiter. Zu der Zeit sind noch Gäste aus und ein gegangen. Angenommen, Gaskell war mit dem Mädchen irgendwo draußen verabredet, sagen wir, um zwanzig nach zwölf. Er schlüpft für ein paar Minuten hinaus, erwürgt sie, kommt wieder herein und schafft die Leiche später fort, zum Beispiel in den frühen Morgenstunden.»

«Er fährt über dreißig Meilen, um sie in Bantrys Bibliothek zu schaffen? Klingt verdammt unwahrscheinlich.»

Der Superintendent musste Melchett Recht geben.

Das Telefon klingelte. Der Colonel hob den Hörer ab.

«Hallo, sind Sie’s, Haydock? Es geht um Ruby Keene. Könnte es sein, dass sie erst nach Mitternacht getötet wurde?»

«Nein, zwischen zehn und zwölf, das hab ich Ihnen doch gesagt.»

«Ich weiß, aber könnte man den Zeitraum nicht doch ein bisschen strecken?»

«Da gibt es nichts zu strecken. Wenn ich sage, sie wurde vor Mitternacht getötet, dann meine ich auch vor Mitternacht. Versuchen Sie nicht, die medizinischen Beweise zurechtzubiegen.»

«Aber könnte es denn nicht irgendwelche physiologischen Faktoren geben – Sie wissen schon?»

«Ich weiß nur, dass Sie nicht wissen, wovon Sie reden. Das Mädchen war kerngesund und in keiner Weise anormal. Etwas anderes werden Sie von mir nicht hören, nur damit ihr Polizeileute irgendeinem armen Teufel, auf den ihr’s abgesehen habt, den Strick um den Hals legen könnt. Nein, protestieren Sie nicht, ich kenne doch Ihre Methoden. Im Übrigen hat sich das Mädchen ja nicht aus freien Stücken erwürgen lassen. Sie ist vorher betäubt worden. Starkes Narkotikum. Der Tod ist zwar durch Strangulieren eingetreten, aber zuvor ist sie betäubt worden.» Haydock legte auf.

«Da haben wir’s», sagte Melchett düster.

«Dachte, ich hätte noch einen Kandidaten in der Hinterhand, aber das war wohl ein Blindgänger.»

«Wie bitte? Wen?»

«Genau genommen fällt er in Ihr Ressort, Sir. Basil Blake. Wohnt in der Nähe von Gossington Hall.»

«Dieser unverschämte, eingebildete Fatzke!» Des Colonels Stirn umwölkte sich bei dem Gedanken an Basil Blakes haarsträubende Grobheit. «Was hat er mit der Sache zu tun?»

«Scheint Ruby Keene gekannt zu haben. War oft zum Dinner im Majestic – hat mit dem Mädchen getanzt. Erinnern Sie sich, was Josie zu Raymond gesagt hat, als Ruby nicht erschienen ist? ‹Meinst du, sie ist mit diesem Filmmenschen unterwegs?› Und damit hat sie Basil Blake gemeint, wie ich herausgefunden habe. Er arbeitet in den Lemville-Studios. Josie kann weiter nichts dazu sagen, sie glaubt nur, dass Ruby ziemlich von ihm angetan war.»

«Sehr viel versprechend, Harper, sehr viel versprechend.»

«Klingt aber besser, als es ist, Sir. Basil Blake war an dem Abend auf einem Fest in den Studios. Sie wissen ja. Das fängt um acht mit Cocktails an und geht dann endlos weiter, bis man vor lauter Rauch die Hand nicht mehr vor Augen sieht und einer nach dem anderen umkippt. Inspektor Slack hat Blake verhört: Er ist um Mitternacht gegangen. Um Mitternacht war Ruby aber bereits tot.»

«Kann das jemand bezeugen?»

«Die meisten werden wohl ziemlich, äh, hinüber gewesen sein. Aber die, äh, die junge Frau, die zurzeit bei ihm wohnt, Miss Dinah Lee, bestätigt seine Aussage.»

«Das muss nichts heißen!»

«Nein, Sir, wahrscheinlich nicht. Die Aussagen anderer Gäste stützen Mr. Blakes Aussage alles in allem zwar ebenfalls, aber die Zeitangaben bleiben doch recht vage.»

«Wo sind denn diese Studios?»

«In Lemville, Sir, dreißig Meilen südwestlich von London.»

«Hm – und etwa gleich weit entfernt von hier?»

«Ja, Sir.»

Colonel Melchett rieb sich die Nase und sagte unzufrieden: «Tja, sieht aus, als könnten wir ihn von der Liste streichen.»