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Miss Marple warf ihr einen Blick zu.

«Du glaubst mir nicht?», fragte Mrs. Bantry herausfordernd.

«Doch, Dolly, natürlich, wenn du’s sagst», erwiderte Miss Marple nachgiebig.

«Aber du hast doch eben gesagt, du glaubst überhaupt nichts. Na ja, es stimmt ja.» Mrs. Bantrys Stimme klang plötzlich bitter. «Ich bin ja nicht ganz dumm. Du denkst vielleicht, ich weiß nicht, wie die Leute in St. Mary Mead reden. Und nicht nur dort – in der ganzen Grafschaft! Kein Rauch ohne Feuer, sagen sie, einer wie der andere, und dass Arthur garantiert etwas weiß, weil die Tote in seiner Bibliothek gefunden wurde. Dass sie Arthurs Geliebte war, dass sie eine uneheliche Tochter von ihm war, dass sie ihn erpresst hat. Alles, was ihnen so in den Sinn kommt! Und das wird immer so weitergehen! Arthur wird erst nichts merken, und dann wird er sich’s nicht erklären können. Er ist ja so ein lieber alter Dummkopf, er käme gar nicht auf die Idee, dass man so etwas von ihm denken könnte. Die Leute werden ihm die kalte Schulter zeigen und ihn schief ansehen (was immer das heißen mag!), und ganz allmählich wird es ihm aufgehen, und er wird entsetzt sein und bis ins Mark getroffen, er wird sich in sein Schneckenhaus zurückziehen und nur noch in seinem Elend ausharren, Tag für Tag.

Und damit das nicht geschieht, bin ich hierher gekommen. Ich will so viel herauskriegen, wie ich nur irgend kann, und wenn es noch so unbedeutend ist! Dieser Mord muss aufgeklärt werden! Wenn nicht, dann ist Arthur verloren, und das lasse ich nicht zu. Das lasse ich nicht zu!»

Sie hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: «Ich lasse nicht zu, dass der Gute Höllenqualen leidet für etwas, das er gar nicht getan hat. Nur deshalb habe ich ihn allein gelassen und bin hierher gefahren – um die Wahrheit zu finden.»

«Ich weiß doch, meine Liebe. Ich bin ja aus dem gleichen Grund hier.»

Vierzehntes Kapitel

I

In einem ruhigen Hotelzimmer lauschte Edwards respektvoll Sir Henry Clitherings Worten.

«Es gibt da gewisse Fragen, die ich Ihnen gern stellen würde, Edwards, aber zuvor möchte ich unmissverständlich klarstellen, welche Position ich hier einnehme. Ich war früher Chef von Scotland Yard, habe mich aber inzwischen ins Privatleben zurückgezogen. Ihr Herr hat mich nach der Tragödie hierher gebeten, um mit Hilfe meiner Fähigkeiten und meiner Erfahrung der Wahrheit auf die Spur zu kommen.»

Sir Henry machte eine Pause. Edwards’ helle, kluge Augen ruhten auf seinem Gesicht. Dann neigte der Diener den Kopf und sagte: «Ganz recht, Sir Henry.»

Langsam und bedächtig fuhr Clithering fort: «In jedem Kriminalfall wird zwangsläufig einiges an Informationen zurückgehalten. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: Ein Familiengeheimnis droht ans Licht zu kommen, man sieht keinen Zusammenhang mit dem Verbrechen, oder man fürchtet, in eine peinliche Situation zu geraten.»

«Ganz recht, Sir Henry», wiederholte Edwards.

«So, Edwards, die wichtigsten Punkte der Angelegenheit dürften Ihnen nun deutlich geworden sein. Das tote Mädchen sollte Mr. Jeffersons Adoptivtochter werden. Zwei Personen hatten ein Motiv, das zu verhindern, und diese beiden sind Mr. Gaskell und Mrs. Jefferson.»

Die Augen des Dieners glommen einen Moment lang auf. «Darf ich fragen, ob sie unter Verdacht stehen?», erkundigte er sich.

«Verhaftung droht ihnen nicht, wenn Sie das meinen. Aber die Polizei muss sie verdächtigen, und sie wird es so lange tun, bis der Fall geklärt ist.»

«Eine unangenehme Situation für die beiden, Sir.»

«Höchst unangenehm. Um nun der Wahrheit näher zu kommen, müssen alle Fakten erfasst werden, ohne Ausnahme. Sehr viel – und das muss auch so sein – hängt von den Reaktionen, Worten und Gesten Mr. Jeffersons und seiner Familie ab. Wie war ihnen zumute, was hat man ihnen angemerkt, was ist gesagt worden? Was ich von Ihnen möchte, Edwards, sind interne Informationen – Informationen, über die nur Sie verfügen. Sie kennen die Stimmungen Ihres Herrn und können aufgrund Ihrer Erfahrung vermutlich auch sagen, wodurch sie hervorgerufen werden. Ich sage das nicht als Polizist, sondern als Freund von Mr. Jefferson. Wenn Sie mir also etwas mitteilen, was ich im Zusammenhang mit dem Fall für irrelevant halte, werde ich es nicht an die Polizei weitergeben.»

Er hielt inne.

«Ich verstehe, Sir», sagte Edwards ruhig. «Sie möchten, dass ich offen rede, dass ich Dinge sage, die ich normalerweise nicht sagen würde und die Sie sich – Sie verzeihen, Sir – auch ganz gewiss nicht anhören würden.»

«Sie sind ein kluger Mann, Edwards. Genau das wollte ich damit sagen.»

Edwards schwieg eine Weile und begann dann zu erzählen.

«Ich kenne Mr. Jefferson natürlich inzwischen recht gut, ich bin ja schon seit Jahren bei ihm. Und ich sehe ihn auch in seinen schlechten Phasen, nicht nur in seinen guten. Manchmal frage ich mich im Stillen, ob es sinnvoll ist, so gegen das Schicksal anzukämpfen, wie Mr. Jefferson es tut. Das fordert einen hohen Tribut, Sir. Hätte er sich hin und wieder einmal gehen lassen, sich zugestanden, ein unglücklicher, einsamer, gebrochener alter Mann zu sein – ich glaube, es wäre letzten Endes besser für ihn gewesen. Aber dazu ist er zu stolz! Sich niemals kampflos ergeben, das ist seine Devise.

Aber die Nerven, Sir Henry, die machen so etwas nicht ewig mit. Mr. Jefferson wirkt so ausgeglichen, aber ich habe auch schon erlebt, dass er vor Wut kaum noch sprechen konnte. Und ganz besonders bringt es ihn auf, wenn man ihn täuscht…»

«Denken Sie da an etwas Bestimmtes, Edwards?»

«Ja, Sir. Sie hatten mich gebeten, ganz offen zu sein?»

«So ist es.»

«Nun, Sir Henry, meiner Meinung nach war die junge Frau, die es Mr. Jefferson so angetan hatte, seiner Zuwendung nicht wert. Sie war, um es rundheraus zu sagen, eine ziemlich gewöhnliche Person. Und sie hat sich nicht das Geringste aus Mr. Jefferson gemacht. Ihre Zuneigung, ihre Dankbarkeit – das war alles gespielt. Sicher, sie war kein schlechter Mensch, aber sie war auch nicht entfernt das, wofür Mr. Jefferson sie gehalten hat. Seltsam, denn Mr. Jefferson kann man so leicht nichts vormachen. Er hat sich selten in jemandem geirrt. Aber wenn eine junge Frau im Spiel ist, setzt der Verstand eben aus. Sehen Sie, die junge Mrs. Jefferson, deren Zuneigung ihm immer so wichtig war, hat sich in diesem Sommer stark verändert. Das hat ihm schwer zu schaffen gemacht. Er mochte sie sehr, verstehen Sie? Für Mr. Mark hatte er nie viel übrig.»

«Und trotzdem war er ständig mit ihm zusammen?», warf Sir Henry ein.

«Ja, aber nur wegen Miss Rosamund, also Mrs. Gaskell. Sie war sein Augapfel. Er hat sie über alles geliebt. Mr. Mark war für ihn immer nur Rosamunds Mann.»

«Und wenn Mr. Mark wieder geheiratet hätte?»

«Dann wäre Mr. Jefferson wütend gewesen, Sir.»

Sir Henry zog die Brauen hoch. «So stark hätte er reagiert?»

«Ja, wenn er es sich auch nicht hätte anmerken lassen.»

«Und wenn Mrs. Jefferson wieder geheiratet hätte?»

«Das hätte ihm ebenso wenig gefallen, Sir.»

«Bitte fahren Sie fort, Edwards.»

«Ja, also, was ich sagen wollte: Mr. Jefferson fiel auf die junge Frau herein. Ich habe das bei meinen Herren oft erlebt. Es überkommt sie wie eine Krankheit. Sie möchten das Mädchen beschützen, es abschirmen, es mit Wohltaten überschütten, aber in neun von zehn Fällen kann das Mädchen sehr gut für sich selbst sorgen und hat ein sicheres Gespür für die große Chance.»

«Sie meinen also, Ruby Keene war eine Intrigantin?»

«Nun ja, Sir, sie war noch ziemlich unerfahren – sie war ja noch so jung –, aber sie hatte durchaus das Zeug dazu, sie hätte sozusagen nur richtig in Schwung kommen müssen! Noch fünf Jahre, und sie wäre Expertin auf diesem Gebiet gewesen!»