Mr. Gaskell bot natürlich weit mehr Angriffsfläche. Er war ein Spieler und hatte meiner Einschätzung nach keine allzu strengen moralischen Grundsätze. Aber aus bestimmten Gründen war ich der Überzeugung, dass eine Frau bei dem Verbrechen die Hand im Spiel hatte.
Im Hinblick auf das Motiv hatte der finanzielle Aspekt einiges für sich. Dummerweise hatten sowohl Mr. Gaskell als auch Mrs. Jefferson ein Alibi für den Zeitpunkt, zu dem Ruby Keene laut ärztlichem Befund getötet worden war. Doch dann wurde der ausgebrannte Wagen mit Pamela Reeves’ Leiche entdeckt. Damit war alles klar. Die Alibis waren wertlos.
Ich hatte jetzt zwei Hälften, beide recht überzeugend, aber sie passten nicht zusammen. Irgendeine Verknüpfung musste es geben, aber ich fand sie nicht. Die einzige Person, von der ich wusste, dass sie in das Verbrechen verwickelt war, hatte kein Motiv.
Es war dumm von mir», sagte Miss Marple nachdenklich, «aber ohne Dinah Lee wäre ich einfach nicht darauf gekommen, dabei war es das Naheliegendste der Welt. Das Einwohneramt! Die Ehe! Es ging nicht nur um Mr. Gaskell und Mrs. Jefferson – es gab noch andere Möglichkeiten. Wenn einer der beiden verheiratet war oder auch nur vorgehabt hatte zu heiraten, dann war die andere Partei des Ehevertrages ebenfalls betroffen. Raymond zum Beispiel hatte sich möglicherweise gute Chancen auf eine Heirat mit einer reichen Frau ausgerechnet. Er war sehr aufmerksam Mrs. Jefferson gegenüber, und vermutlich war es sein Charme, der sie aus dem langen Dornröschenschlaf ihrer Witwenschaft geweckt hat. Bis dahin war sie gar nicht ungern Mr. Jeffersons Tochter gewesen – wie bei Ruth und Noomi, nur dass Noomi, wie Sie sich vielleicht erinnern, einiges auf sich genommen hat, um eine standesgemäße Heirat für Ruth zu arrangieren.
Außer Raymond gab es da noch Mr. McLean. Mrs. Jefferson mochte ihn sehr, und es sah ganz danach aus, als würde sie ihn eines Tages heiraten. Er war nicht vermögend und hat sich in der fraglichen Nacht nicht weit von Danemouth entfernt aufgehalten. Eigentlich hätte es also jeder sein können, nicht wahr? Aber im Grunde wusste ich ja Bescheid. An den abgekauten Fingernägeln führte einfach kein Weg vorbei.»
«Abgekaut?», warf Sir Henry ein. «Hatte sie sich nicht einen Nagel eingerissen und die anderen dann kurz geschnitten?»
«Unsinn», sagte Miss Marple. «Abgekaute Nägel sehen ganz anders aus als kurz geschnittene! Wer nur das mindeste von Mädchenfingernägeln weiß, der sieht den Unterschied sofort. Sehr hässlich, solche abgekauten Nägel, wie ich den Mädchen in meiner Klasse immer sage. Die Nägel waren also ein Faktum. Und sie konnten nur eines bedeuten: Die Leiche in Colonel Bantrys Bibliothek war gar nicht Ruby Keene.
Und das führt uns geradewegs zu der einzigen Person, die letzten Endes in Frage kam: Josie! Josie hat die Leiche identifiziert. Sie wusste – sie muss gewusst haben –, dass es nicht Ruby Keene war. Aber sie hat gesagt, es sei Ruby. Sie war verblüfft, völlig verblüfft, die Tote an diesem Ort zu sehen. Damit hat sie sich praktisch verraten. Warum? Weil niemand besser wusste als sie, wo die Leiche eigentlich hätte sein müssen! In Basil Blakes Haus. Wer hat denn unsere Aufmerksamkeit auf Basil Blake gelenkt? Josie, als sie zu Raymond sagte, dass Ruby mit diesem Filmmenschen unterwegs sein könnte. Vorher hatte sie eine Fotografie von ihm in Rubys Handtasche geschmuggelt. Wer war denn so wütend auf das tote Mädchen, dass sie es nicht einmal angesichts der Leiche verbergen konnte? Josie! Josie war schlau, praktisch veranlagt, knallhart und nur aufs Geld aus.
Das habe ich gemeint, als ich vorhin von Leichtgläubigkeit gesprochen habe. Niemand kam auf die Idee, Josies Aussage, die Tote sei Ruby Keene, anzuzweifeln, einfach deshalb nicht, weil sie zu diesem Zeitpunkt gar kein Motiv für eine Lüge zu haben schien. Das Motiv war von Anfang an das Problem. Josie war offenkundig in den Fall verwickelt, aber Rubys Tod schien ihren Interessen eher zuwiderzulaufen. Erst als Dinah Lee das Einwohneramt erwähnte, hatte ich die Verknüpfung gefunden. Die Ehe! Wenn Josie und Mr. Gaskell verheiratet waren, dann war alles klar. Wie wir jetzt wissen, sind sie es seit einem Jahr, aber sie wollten es bis nach Mr. Jeffersons Tod geheim halten.
Es war wirklich sehr interessant, den ganzen Hergang zu rekonstruieren, genau zu sehen, wie der Plan ausgetüftelt worden war. Kompliziert und doch einfach. Als Erstes haben sie sich an Pamela Reeves herangemacht und ihr etwas von Probeaufnahmen für einen Film vorgegaukelt – da konnte das arme Mädchen natürlich nicht widerstehen. Nicht wenn es so überzeugend vorgebracht wurde, wie Mark Gaskell es tat. Er erwartet sie am Hotel, führt sie durch einen Seiteneingang hinein und stellt ihr Josie vor – als Maskenbildnerin! Das arme Kind – mir wird ganz schlecht, wenn ich dran denke! In ihrem Badezimmer färbt Josie ihr das Haar blond, schminkt sie, lackiert ihr Finger- und Zehennägel und lässt sie eines von Rubys alten Kleidern anziehen. Währenddessen geben sie ihr ein Betäubungsmittel, in einem Eisbecher wahrscheinlich. Sie verliert das Bewusstsein. Vermutlich haben sie sie in eines der leeren Zimmer auf der anderen Seite des Flurs gebracht – Sie erinnern sich, dass dort nur einmal in der Woche sauber gemacht wird.
Nach dem Abendessen ist Mark Gaskell im Auto weggefahren, angeblich zur Strandpromenade. In Wirklichkeit hat er Pamela in Basil Blakes Haus geschafft und auf den Kaminvorleger gelegt. Sie war bewusstlos, aber noch nicht tot, als er sie mit dem Gürtel des Kleides… Sehr unschön, wirklich, aber ich hoffe und bete, dass sie nichts mehr davon gemerkt hat. Der Gedanke, dass er gehängt wird, tut mir geradezu wohl… Das muss kurz nach zehn gewesen sein. Er ist dann mit Vollgas zurückgefahren und hat sich zu den anderen in den Gesellschaftsraum gesetzt, wo Ruby Keene gerade ihren Auftritt mit Raymond hatte.
Ich könnte mir vorstellen, dass Josie ihrer Kusine vorher bestimmte Anweisungen gegeben hatte. Ruby war es gewohnt zu tun, was Josie sagt. Sie sollte sich umziehen, in Josies Zimmer gehen und dort auf sie warten. Auch ihr hatten sie ein Betäubungsmittel verabreicht, wahrscheinlich mit dem Kaffee nach dem Essen. Wie wir wissen, hat Ruby im Gespräch mit dem jungen Bartlett gegähnt.
Später ist Josie mit Raymond hinaufgegangen, ‹um nach ihr zu sehen›, aber ihr eigenes Zimmer hat nur sie selbst betreten. Wahrscheinlich hat sie Ruby da den Rest gegeben, mit einer Injektion vielleicht oder einem Schlag auf den Hinterkopf. Sie ist wieder hinunter, hat mit Raymond getanzt, hat mit den Jeffersons zusammen überlegt, wo Ruby sein könnte, und ist schließlich zu Bett gegangen. Gegen Morgen hat sie der Leiche Pamelas Kleider angezogen und sie über die Seitentreppe hinuntergeschafft – sie ist ja eine recht kräftige Person. Sie hat George Bartletts Auto genommen, ist zum Steinbruch gefahren und hat den Wagen mit Benzin übergossen und angezündet. Dann ist sie zu Fuß zurück, vermutlich so, dass sie um acht oder neun wieder im Hotel war – früh auf den Beinen vor lauter Sorge um Ruby!»
«Sehr kompliziert, das Ganze», sagte Colonel Melchett.
«Nicht komplizierter als so mancher Tanzschritt», entgegnete Miss Marple.
«Stimmt auch wieder.»
«Sie hat an alles gedacht», sagte Miss Marple. «Sogar an die kurzen Fingernägel. Sie hat es so eingerichtet, dass Ruby sich an ihrem Tuch einen Nagel einriss, und konnte dann behaupten, Ruby hätte sich die Nägel kurz geschnitten.»
«Sie hat tatsächlich an alles gedacht», sagte Harper. «Und der einzige wirkliche Beweis, den Sie hatten, Miss Marple, waren die abgekauten Nägel eines Schulmädchens.»
«Nicht nur», erwiderte Miss Marple. «Die Menschen reden einfach zu viel. Mark Gaskell zum Beispiel. Rubys Zähne hätten nach innen gestanden, hat er gesagt, aber das tote Mädchen in Colonel Bantrys Bibliothek hatte vorstehende Zähne.»