Tschitschikow rechnete mit dem Schneider auf die vornehmste Weise ab und begann, als er allein geblieben, mit Muße, sich wie ein Künstler mit ästhetischem Gefühl und con amore, im Spiegel zu betrachten. Alles schien jetzt noch viel schöner als früher: die Wangen noch interessanter, das Kinn noch verführerischer, der weiße Kragen unterstrich den schönen Ton der Wange, die blaue Atlasbinde – den Ton des Kragens, das Vorhemd mit dem modernen Fältchen – die Farbe der Binde, und die prachtvolle Samtweste die Schönheit des Vorhemdes; aber der Frack von der Navarinoschen Flammenfarbe mit Pulverrauch glänzte wie Seide und gab allem den Ton. Er drehte sich nach rechts – wunderschön! Er drehte sich nach links – noch schöner! Die Taille war so schlank wie bei einem Kammerherrn oder einem Mann, der nur Französisch redet und selbst im Zorne kein russisches Schimpfwort gebraucht, sondern auf Französisch flucht: diese Vornehmheit! Er versuchte, den Kopf etwas auf die Seite zu neigen und eine Pose anzunehmen, als wende er sich an eine Dame in mittleren Jahren von modernster Bildung: es war einfach zum Malen! Künstler, nimm deinen Pinsel und verewige es auf der Leinwand! Vor Freude machte er einen leichten Sprung. Die Kommode erzitterte, und die Flasche mit Kölnischem Wasser fiel zu Boden: dies verursachte aber nicht die geringste Störung. Er nannte die Flasche, wie es sich gehörte, eine dumme Gans und fragte sich: – Zu wem soll ich jetzt zuallererst gehen? Am besten ... – Plötzlich ertönte im Vorzimmer etwas wie Sporengeklirr, und ins Zimmer trat ein Gendarm in voller Bewaffnung, als verkörpere er das ganze Heer. »Sie sollen sofort zum Generalgouverneur kommen!« Tschitschikow erstarrte zu Stein. Vor ihm stand ein Schreckbild mit Schnurrbart, mit einem Pferdeschweif auf dem Helm, einem Säbelriemen über der einen Schulter, einem Säbelriemen über der anderen Schulter und einem mächtigen Pallasch an der Hüfte. Tschitschikow kam es vor, als hinge an der anderen Hüfte ein Gewehr und weiß der Teufel was alles: ein ganzes Heer steckte in diesem einen Mann! Er versuchte etwas zu entgegnen, doch das Schreckbild fuhr ihn grob ah: »Sofort!« Durch die Türe sah er im Vorzimmer ein anderes Schreckbild stehen; er warf einen Blick durchs Fenster: draußen wartete ein Wagen. Was war da zu machen? So wie er war, im Frack von Navarinoscher Flammenfarbe mit Pulverrauch, mußte er in den Wagen steigen und, am ganzen Leibe zitternd, in Begleitung der Gendarme zum Generalgouverneur fahren.
Im Vorsaal ließ man ihn gar nicht zu sich kommen. »Gehen Sie! Der Fürst wartet schon!« sagte der diensthabende Beamte. Wie durch einen Nebel sah er das Vorzimmer mit den Kurieren, welche Pakete in Empfang nahmen, dann den Saal, den er passierte, und dachte sich nur: – Wie, wenn er mich verhaftet und ohne jede Gerichtsverhandlung direkt nach Sibirien schickt! – Sein Herz klopfte so heftig, wie es selbst beim eifersüchtigsten Liebhaber nicht klopft. Endlich ging die verhängnisvolle Türe auf: er sah vor sich das Kabinett mit dem Portefeuilles, Schränken und Büchern und den Fürsten so zornig, wie der Zorn selbst.
– Es ist das Verderben! – sagte sich Tschitschikow. – Er wird mich umbringen wie der Wolf das Lamm. – »Ich habe Sie geschont, ich habe Ihnen erlaubt, in der Stadt zu bleiben, während Sie ins Zuchthaus gesperrt zu werden verdienten; Sie haben sich aber wieder durch die ruchloseste Missetat befleckt, mit der sich je ein Mensch befleckt hat!« Die Lippen des Fürsten bebten vor Zorn.
»Durch welche ruchlose Missetat, Durchlaucht?« fragte Tschitschikow, am ganzen Leibe zitternd.
»Die Frau,« sagte der Fürst, etwas näher tretend und Tschitschikow gerade in die Augen blickend, »die Frau, die das Testament nach Ihrem Diktat unterschrieben hat, ist verhaftet worden und wird mit Ihnen konfrontiert werden.«
Tschitschikow wurde es finster vor den Augen.
»Durchlaucht! Ich will Ihnen die reinste Wahrheit sagen. Ich bin schuldig, in der Tat schuldig, doch nicht so schuldig: meine Feinde haben mich verleumdet.«
»Niemand kann Sie verleumden, denn in Ihnen steckt viel mehr Niedertracht, als der größte Lügner erfinden kann. Ich meine, Sie haben in Ihrem ganzen Leben keine Tat vollbracht, die nicht ruchlos wäre. Jede Kopeke, die Sie erworben haben, haben Sie auf die ruchloseste Weise erworben; es liegt Diebstahl und ein gemeines Verbrechen vor, auf das die Knute und Sibirien stehen! Nein, jetzt ist’s genug! Du wirst sofort ins Zuchthaus abgeführt werden und mit den schlimmsten Verbrechern und Räubern auf die Entscheidung deines Schicksals warten. Und das ist auch noch eine Gnade: denn du bist viel schlimmer als sie; sie tragen einfache Bauernröcke, du aber ...« Er warf einen Blick auf den Frack von der Navarinoschen Flammenfarbe mit Pulverrauch und zog die Glockenschnur.
»Durchlaucht,« rief Tschitschikow, »lassen Sie Gnade walten! Sie sind doch Familienvater. Erbarmen Sie sich nicht meiner, sondern meiner alten Mutter!«
»Du lügst!« schrie der Fürst zornig. »Ebenso hast du mich damals bei deinen Kindern und deiner Familie angefleht, die du niemals besessen hast, und jetzt kommst du mit deiner Mutter!«
»Durchlaucht! Ich bin ein Schurke, ein ruchloser Schuft!« sagte Tschitschikow mit einer Stimme, die . . . »Ich habe wirklich gelogen, ich habe weder Kinder noch Familie gehabt; doch Gott sei mein Zeuge: ich hatte immer den Wunsch, mich zu verheiraten, die Pflicht des Menschen und des Bürgers zu erfüllen, um dann tatsächlich die Achtung der Bürger und der Obrigkeit zu verdienen ... Aber dieses unglückliche Zusammentreffen widriger Umstände! Durchlaucht! Mit meinem Blut mußte ich mir mein tägliches Brot verdienen. Auf Schritt und Tritt Versuchungen und Verführungen ... Feinde, Widersacher, Räuber. Mein ganzes Leben war wie ein wilder Sturmwind oder wie ein Schiff inmitten der Wellen, allen Winden preisgegeben. Ich bin nur ein Mensch, Durchlaucht!«
Tränenbäche stürzten plötzlich aus seinen Augen. Er fiel dem Fürsten zu Füßen, so wie er war: im Frack von der Navarinoschen Flammenfarbe mit Pulverrauch, in der Samtweste mit der Atlasbinde, in der wunderbar sitzenden Hose und mit der sorgfältigen Frisur, der ein süßer Wohlgeruch vom feinsten Kölnischen Wasser entströmte, und schlug mit dem Kopf gegen den Fußboden.
»Fort von mir! Man rufe Soldaten her, damit sie ihn abführen!« sagte der Fürst zu den Eintretenden.
»Durchlaucht!« rief Tschitschikow und umfaßte mit beiden Händen einen Stiefel des Fürsten.
Ein Beben lief durch alle Adern des Fürsten.
»Fort von mir, sage ich Ihnen!« rief er, indem er sich bemühte, seinen Fuß aus der Umarmung Tschitschikows zu befreien.