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»Durchlaucht! Ich weiche nicht von diesem Fleck, bis ich Ihre Verzeihung erfleht habe!« sagte Tschitschikow, ohne den Stiefel des Fürsten loszulassen, und rutschte in seinem Frack von der Navarinoschen Flammenfarbe mit Pulverrauch zusammen mit dem Fuß des Fürsten über den Fußboden.

»Gehen Sie fort, sage ich Ihnen!« sagte der Fürst mit jenem unsagbaren Ekelgefühl, das der Mensch beim Anblick eines häßlichen Insekts empfindet, das er nicht zu zertreten wagt. Er schüttelte so heftig den Fuß, daß Tschitschikow einen Schlag mit dem Stiefel auf der Nase, den Lippen und dem rundlichen Kinn verspürte; aber er ließ den Stiefel nicht los und umklammerte ihn noch fester. Zwei kräftige Gendarmen schleppten ihn mit Mühe weg, nahmen ihn unter die Arme und führten ihn durch alle Zimmer. Er war blaß, wie erschlagen, und befand sich in jenem schrecklichen gefühllosen Zustand, in den der Mensch verfällt, wenn er vor sich den schwarzen, unabwendbaren Tod sieht, dieses Schreckbild, dem unsere ganze Natur widerstrebt.

In der Türe, die auf die Treppe führte, kam ihm Murasow entgegen. Es war wie ein Hoffnungsstrahl. Augenblicklich riß er sich mit einer beinahe unnatürlichen Kraft aus den Händen der beiden Gendarme und stürzte dem erstaunten Alten zu Füßen.

»Väterchen, Pawel Iwanowitsch! Was ist mit Ihnen los?«

»Retten Sie mich! Man führt mich ins Gefängnis, in den Tod ...« Die Gendarmen packten ihn und führten ihn weiter und ließen ihn gar nicht die Antwort Murasows hören.

Eine dumpfe feuchte Kammer mit dem Geruch von Stiefeln und Fußlappen der Garnisonsoldaten, ein ungestrichener Tisch, zwei elende Stühle, ein eisernes Gitter vor dem Fenster, ein baufälliger Ofen, aus dessen Ritzen nur Rauch, aber keine Wärme kam – das war die Behausung, in die unser Held kam, der schon begonnen hatte, die Süße des Lebens zu kosten und in seinem feinen neuen Frack von Navarinoscher Flammenfarbe mit Pulverrauch die Aufmerksamkeit der Mitbürger auf sich zu lenken. Man hatte ihm keine Zeit gelassen, seine Angelegenheiten zu ordnen, die notwendigen Sachen mitzunehmen, die Schatulle mit dem Geld, das er vielleicht . . . erworben hatte. Die Papiere, die Kaufverträge über die Toten – alles befand sich jetzt in Händen der Beamten. Er stürzte zu Boden, und eine hoffnungslose Trauer wand sich wie ein gieriger Wurm um sein Herz. Immer gieriger nagte sie an diesem wehrlosen Herzen. Noch solch ein Tag, nur noch ein Tag voll solcher Trauer, und Tschitschikow wäre vielleicht aus diesem Leben geschieden. Aber auch über ihm wachte eine rettende Hand. Nach einer Stunde ging die Kerkertüre auf, und vor Tschitschikow stand der alte Murasow.

Wenn man einem von brennendem Durst gequälten, mit dem Staube des Weges bedeckten, müden und erschöpften Wanderer frisches Brunnenwasser in die trockene Kehle gösse, so könnte ihn dies nicht so erquicken und erfrischen, wie der Besuch Murasows den armen Tschitschikow erquickte.

»Mein Retter!« sagte Tschitschikow, indem er plötzlich vom Fußboden aus, auf den er sich in seinem erdrückenden Schmerze hingeworfen hatte, nach seiner Hand griff, sie schnell küßte und an seine Brust drückte. »Gott lohne es Ihnen, daß Sie den Unglücklichen aufgesucht haben!«

Er brach in Tränen aus.

Der Alte sah ihn mit traurigen und schmerzlichen Blicken an und sagte bloß: »Ach, Pawel Iwanowitsch! Pawel Iwanowitsch, was haben Sie angestellt!«

»Was sollte ich machen! Sie hat mich zugrunde gerichtet, die Verfluchte! Ich konnte nicht Maß halten, ich konnte nicht zur rechten Zeit aufhören. Der verfluchte Satan hat mich verführt, hat mir die Vernunft genommen, hat mich aus den Grenzen der menschlichen Vernunft gelockt. Ich habe mich vergangen! Wie durfte aber er so handeln? Einen Edelmann, einen Edelmann ohne Gericht und ohne Untersuchung ins Gefängnis zu werfen! ... Einen Edelmann, Afanassij Wassiljewitsch! Durfte man mir denn keine Zeit lassen, nach Hause zu gehen und meine Sachen zu ordnen? Meine ganze Habe ist ja ohne jede Aufsicht geblieben. Meine Schatulle, Afanassij Wassiljewitsch, meine Schatulle! Mein ganzes Vermögen steckt doch in ihr. Ich habe es mit Schweiß und Blut erworben, durch viele Jahre von Mühe und Entbehrungen ... Meine Schatulle, Afanassij Wassiljewitsch! Man wird ja alles stehlen und fortschleppen! Oh, mein Gott!«

Er konnte den neuen Ansturm von Schmerz, der sein Herz zusammenpreßte, nicht überwinden und schluchzte laut mit einer Stimme, die durch die dicken Zuchthausmauern drang und dumpf in der Ferne widerhallte. Dann riß er sich die Atlasbinde vom Halse, ergriff mit der Hand den Kragen und zerriß den Frack von Navarinoscher Flammenfarbe mit Pulverrauch.

»Ach, Pawel Iwanowitsch! Wie hat Sie doch dieses Vermögen geblendet! Seinetwegen sahen Sie gar nicht das Schreckliche Ihrer Lage.«

»Wohltäter, retten Sie mich, retten Sie mich!« schrie der arme Pawel Iwanowitsch verzweifelt, ihm zu Füßen stürzend. »Der Fürst liebt Sie, für Sie wird er alles tun.«

»Nein, Pawel Iwanowitsch, ich kann es nicht, wie sehr ich es auch möchte. Sie sind unter die Gewalt eines unerbittlichen Gesetzes und nicht unter die eines Menschen geraten.«

»Er hat mich verführt, der listige Satan, der Verderber des Menschengeschlechts!«

Er schlug mit dem Kopf gegen die Wand und hieb so stark mit der Faust auf den Tisch, daß ihm die Hand blutete; er spürte aber weder den Schmerz im Kopfe noch den furchtbaren Schlag.

»Pawel Iwanowitsch, beruhigen Sie sich, denken Sie nur daran, wie Sie sich mit Gott aussöhnen könnten und nicht mit den Menschen; denken Sie doch an Ihre arme Seele.«

»Aber welch ein Schicksal, Afanassij Wassiljewitsch! Hat denn auch nur ein Mensch solch ein Schicksal erlebt? Ich habe doch sozusagen mit blutender Geduld jede Kopeke erworben, mit Mühe und Arbeit; ich habe niemand beraubt oder gar die Staatskasse bestohlen, wie es manche tun. Wozu habe ich aber Kopeke auf Kopeke gespart? Doch nur, um den Rest meiner Tage in Wohlstand zu verbringen, um meiner Frau und meinen Kindern, die ich zum Wohle des Vaterlandes, für den Staatsdienst hatte zeugen wollen, ein Vermögen zu hinterlassen. Nur das bewog mich, mich zu bereichern! Ich habe mich wohl vergangen, ich leugne es nicht ... Wie soll ich es auch? Aber ich tat es nur, als ich sah, daß man auf geradem Wege nichts erreichen kann und daß der krumme Weg der kürzere ist. Ich habe mich aber bemüht, ich habe meinen Geist angestrengt. Wenn ich etwas Fremdes genommen habe, so doch nur von den Reichen. Aber diese Schurken beim Gericht bestehlen den Staat um Tausende, berauben die Armen, nehmen einem, der nichts hat, die letzte Kopeke weg! ... Sagen Sie doch, was ist das für ein böses Verhängnis: jedesmal, wenn man die Früchte zu erreichen glaubt und sie sozusagen mit der Hand berührt, kommt ein Sturm, kommt ein Riff, an dem das ganze Schiff zerschellt! Ich besaß ja schon an die dreihunderttausend Rubel Kapital; einmal besaß ich auch ein zweistöckiges Haus; zweimal hatte ich mir Güter gekauft ... Ach, Afanassij, Wassiljewitsch! Wofür kommt denn dies . . . ? Wofür diese Schicksalsschläge? War denn mein Leben nicht schon ohnehin wie ein Schiff inmitten der Wellen? Wo bleibt die himmlische Gerechtigkeit? Wo der Lohn für die Geduld, für die beispiellose Ausdauer? Dreimal habe ich schon von neuem angefangen; nachdem ich alles verloren, fing ich immer wieder mit der Kopeke an, während ein anderer an meiner Stelle vor Verzweiflung dem Trunke verfallen und in der Schenke verfault wäre. Wieviel mußte ich in mir unterdrücken, wieviel ertragen! Jede Kopeke ist ja, sozusagen, mit allen Kräften meiner Seele erworben! ... Die anderen haben es leicht gehabt, für mich war aber ›jede Kopeke mit einem Dreikopekennagel festgenagelt‹, wie das Sprichwort sagt, und diese mit dem Dreikopekennagel festgenagelte Kopeke errang ich mir, bei Gott, mit einer eisernen Unermüdlichkeit! ...«

Er fing vor unerträglichem Herzweh laut zu schluchzen an, fiel vom Stuhl, riß den herabhängenden zerfetzten Frackschoß ganz ab, schleuderte ihn weit von sich, fuhr sich mit beiden Händen in die Haare, um deren Erhaltung er sonst so sehr besorgt war, und raufte unbarmherzig daran, sich am Schmerze weidend, mit dem er das unstillbare Herzweh betäuben wollte.