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Murasow saß lange stumm vor ihm und blickte auf dieses ungewöhnliche . . ., das er zum erstenmal sah. Der unglückliche, erbitterte Mensch, der erst vor kurzem mit der ungezwungenen Gewandtheit eines Salonmenschen oder Militärs herumgesprungen war, warf sich jetzt zerzaust, in einem unanständigen Aufzug, im zerrissenen Frack, in aufgeknöpfter Hose, mit blutender Faust hin und her und stieß Lästerungen gegen die feindlichen Mächte aus, die dem Menschen alles verderben!

»Ach, Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch! Was wäre doch aus Ihnen für ein Mensch geworden, wenn Sie die gleiche Kraft und die gleiche Geduld auf ein nützlicheres Werk verwendeten und ein besseres Ziel verfolgten! Mein Gott, wieviel Gutes hätten Sie tun können! Wenn nur einer von den Menschen, die das Gute lieben, die Mühe darauf verwendete, mit der Sie jede Kopeke erwarben, und es verstünde, für das Gute seinen Ehrgeiz und seine Eigenliebe so selbstlos zu opfern, wie Sie es taten, als Sie jede Kopeke erwarben – mein Gott, wie würde dann unser Land aufblühen! ... Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch! Es ist weniger zu bedauern, daß Sie sich an den anderen, als daß Sie sich an sich selbst vergangen haben, an den reichen Gaben und Fähigkeiten, die Ihnen zuteil wurden. Ihre Bestimmung war, ein großer Mann zu werden, Sie aber haben sich selbst zugrunde gerichtet.«

Es gibt merkwürdige Rätsel in der Menschenseele: wie weit auch ein Mensch vom geraden Weg abgeirrt ist, wie verstockt ein unverbesserlicher Verbrecher in seinen Gefühlen auch ist, wie hartnäckig er an seinem verbrecherischen Leben auch festhält – wenn man ihm seine eigenen, von ihm geschändeten Tugenden vorhält, so kommt in ihm alles ins Wanken, und er wird unwillkürlich aufs tiefste erschüttert.

»Afanassij Wassiljewitsch«, sagte der arme Tschitschikow und ergriff mit beiden Händen seine Hände. »Oh, wenn es mir gelänge, freizukommen und mein Vermögen wiederzubekommen! Ich schwöre Ihnen, ich würde ein ganz neues Leben anfangen! Retten Sie mich, Wohltäter, retten Sie mich!«

»Wie kann ich das machen? Ich müßte gegen das Gesetz kämpfen. Selbst wenn ich mich dazu entschließen würde – der Fürst ist gerecht – er wird niemals nachgeben.«

»Wohltäter! Sie können alles erreichen. Das Gesetz schreckt mich nicht – gegen das Gesetz werde ich schon Mittel finden; aber daß ich unschuldig ins Gefängnis geworfen bin, daß ich hier wie ein Hund zugrunde gehe, daß mein ganzes Vermögen, meine Papiere, meine Schatulle ... Retten Sie mich!«

Er umschlang die Füße des Alten mit den Armen und benetzte sie mit seinen Tränen.

»Ach, Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch!« sagte der alte Murasow, den Kopf schüttelnd: »Wie furchtbar hat Sie dieses Vermögen geblendet! Seinetwegen dachten Sie nicht an Ihre arme Seele.«

»Ich werde auch an meine Seele denken, aber retten Sie mich!«

»Pawel Iwanowitsch!...« begann der alte Murasow und hielt inne. »Sie zu retten, liegt nicht in meiner Macht – das sehen Sie selbst. Ich werde aber jede Mühe aufwenden, um Ihr Los zu erleichtern und Sie zu befreien. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, aber ich werde mir Mühe geben. Wenn es mir aber, was ich nicht glaube, gelingen wird, so werde ich Sie um eine Belohnung für meine Mühe bitten, Pawel Iwanowitsch: geben Sie ihre Jagd nach Erwerb auf. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort: wenn ich mein ganzes Vermögen verlöre – und es ist bedeutend größer als das Ihrige – ich würde nicht weinen. Bei Gott, es kommt nicht auf dieses Vermögen an, das man bei mir konfiszieren kann, sondern auf andere Dinge, die mir niemand stehlen und nehmen kann! Sie haben lange genug auf der Welt gelebt. Sie selbst nennen Ihr Leben ein Schiff inmitten der Wellen. Sie haben genug, um den Rest Ihrer Tage leben zu können. Lassen Sie sich in einem stillen Winkel, in der Nähe einer Kirche, in der Nähe von einfachen, guten Menschen nieder; oder, wenn Sie schon ein so großes Bedürfnis haben, Nachkommen zu hinterlassen, so heiraten Sie ein armes, gutes Mädchen, das an ein mäßiges und einfaches Leben gewöhnt ist. Vergessen Sie diese lärmende Welt und alle ihre verführerischen Launen: soll auch die Welt Sie vergessen; in der Welt können Sie keine Ruhe finden. Sie sehen: alles in der Welt ist uns feind, alles ist Versuchung oder Verrat.«

»Unbedingt, unbedingt! Ich hatte schon langst die Absicht, ein ordentliches Leben zu beginnen, mich der Wirtschaft zu widmen, meine Lebensweise einzuschränken. Doch der Dämon der Versuchung hat mich verführt, der Satan, der Teufel, die Ausgeburt der Hölle!«

Neue, ihm bisher unbekannte Gefühle, die er sich gar nicht erklären konnte, erfüllten plötzlich seine Seele, als wollte in ihm etwas erwachen, etwas Fernes, etwas . . . etwas, was in seiner frühesten Kindheit von den strengen toten Predigten, von der Freudlosigkeit der langweiligen Kinderjahre, der Öde des Vaterhauses, der Einsamkeit, der Armut der ersten Eindrücke erstickt worden war; als wollte sich das, was . . . war, vom strengen Auge des Schicksals, das ihn traurig durch ein trübes, schneeverwehtes Fenster angeblickt hatte, nun in die Freiheit drängen. Ein Stöhnen entrang sich seinen Lippen, er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und sagte mit schmerzlicher Stimme: »Es ist wahr, es ist wahr!«

»Auch die Menschenkenntnis und Ihre ganze Erfahrung haben Ihnen auf dem Wege des Unrechts nicht helfen können. Wenn Sie aber auf dem Wege des Rechts stünden! ... Ach, Pawel Iwanowitsch, warum haben Sie sich zugrunde gerichtet? Erwachen Sie doch: es ist noch nicht zu spät, es ist noch Zeit! ...«

»Nein, es ist zu spät, es ist zu spät!« stöhnte er mit einer Stimme, vor der Murasows Herz beinahe entzweiriß. »Ich fange an zu fühlen, daß ich einen falschen Weg gehe, daß ich mich vom wahren Wege weit entfernt habe, aber ich kann nicht mehr zurück! Nein, ich bin nicht so erzogen. Mein Vater erteilte mir Lehren, schlug mich, zwang mich schöne Moralvorschriften abzuschreiben; dabei stahl er vor meinen Augen bei den Nachbarn Holz und zwang mich, ihm dabei zu helfen. Vor meinen Augen strengte er einen falschen Prozeß an und verführte ein Waisenkind, dessen Vormund er war. Das Beispiel ist immer stärker als jede Vorschrift. Ich sehe, ich fühle, Afanassij Wassiljewitsch, daß ich nicht so lebe, wie man leben muß, doch mein Abscheu vor dem Laster ist nicht groß genug: meine Natur ist verroht, mir fehlt die Liebe für das Gute, jene schöne Neigung zu gottgefälligen Werken, die bald zur zweiten Natur, zur Gewohnheit wird ... Ich habe nicht den gleichen Eifer, für das Gute zu wirken, wie in meinem Streben nach Gewinn. Ich spreche die Wahrheit – was soll ich machen!«

Der Alte seufzte tief auf ...

»Pawel Iwanowitsch! Sie haben doch soviel Willenskraft, soviel Geduld. Die Arznei ist bitter, aber der Kranke nimmt sie, weil er weiß, daß er anders nicht genesen kann. Ihnen fehlt die Liebe für das Gute – tun Sie dann das Gute gewaltsam, ohne es zu lieben. Das wird Ihnen noch höher angerechnet werden, als einem, der das Gute aus Liebe für das Gute tut. Zwingen Sie sich nur einigemal dazu, dann wird auch die Liebe kommen. Glauben Sie mir, das kommt vor. Es ist uns gesagt worden: ›Jedermann dringt in das Reich Gottes mit Gewalt hinein.‹ Nur indem man es sich erkämpft ... Man muß gewaltsam nach ihm streben, man muß es mit Gewalt erzwingen. Ach, Pawel Iwanowitsch! Sie haben doch diese Kraft, Pawel Iwanowitsch! Sie haben doch diese Kraft, die die anderen nicht haben, diese eiserne Geduld – ist es möglich, daß Sie es nicht erringen? Sie würden, glaube ich, die Kräfte eines Helden aufbringen. Sonst sind die Menschen heute so willenlos und schwach.«

Man sah, wie diese Worte Tschitschikow tief in die Seele drangen und auf ihrem Grunde etwas wie Ehrgeiz weckten. Aus seinen Augen leuchtete etwas: wenn es auch kein Entschluß war, so war es doch etwas Mächtiges, was einem Entschlusse ähnlich sah ...

»Afanassij Wassiljewitsch!« sagte er mit fester Stimme. »Wenn Sie mir nur die Freiheit und die Möglichkeit erwirken, von hier auch mit dem kleinsten Vermögen zu entkommen, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich ein neues Leben beginnen werde: ich kaufe mir damit ein kleines Gut, werde Landwirt; werde Geld sparen, doch nicht für mich, sondern um den anderen zu helfen, werde nach Kräften Gutes tun; ich werde mich selbst und alle die städtischen Schlemmereien und Trinkgelage vergessen und ein einfaches, nüchternes Leben führen.«