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»Gott gebe Ihnen die Kraft zu diesem Entschluß!« sagte der Alte erfreut. »Ich will mein möglichstes tun, um beim Fürsten Ihre Befreiung zu erwirken. Ob es mir gelingen wird, weiß Gott allein. Jedenfalls wird Ihr Los erleichtert werden. Ach, mein Gott! Umarmen Sie mich! Lassen Sie sich umarmen. Eine große Freude haben Sie mir bereitet! Nun, mit Gott, ich gehe sofort zum Fürsten.«

Tschitschikow blieb allein.

Sein ganzes Wesen war erschüttert und erweicht. Selbst das Platin, das härteste der Metalle, das dem Feuer am längsten widersteht, schmilzt, wenn man die Flammen mit dem Blasebalg zur unerträglichen Glut anfacht – das eigensinnige Metall wird weiß und verwandelt sich in Flüssigkeit; auch der stärkste Mensch gibt im Schmelzofen der Schicksalsschläge nach, wenn sie, immer stärker werdend, seine verhärtete Natur mit ihren Flammen belecken ...

›– Ich verstehe und fühle es zwar nicht, werde aber alle Kräfte aufwenden, damit es die anderen fühlen; ich selbst bin schlecht und . . . nichts, werde aber alle Kräfte aufwenden, um die anderen umzustimmen; ich bin selbst ein schlechter Christ, werde aber alle Kräfte aufwenden, um kein Ärgernis zu geben. Ich werde mich bemühen, werde auf dem Lande im Schweiße meines Angesichts arbeiten und rechtschaffen sein, um einen guten Einfluß auf die anderen auszuüben. Tauge ich denn wirklich zu nichts mehr? Ich habe doch Fähigkeiten, die man in der Landwirtschaft braucht; ich bin sparsam, geschickt, vernünftig, sogar ausdauernd. Ich muß nur den Entschluß fassen ...‹ –

So dachte Tschitschikow und schien mit den halb erwachten Kräften seiner Seele etwas zu erfassen. Seine Natur schien dunkel zu ahnen, daß es eine Pflicht gibt, die der Mensch auf Erden erfüllen muß, die er überall, in jedem Winkel erfüllen kann, trotz aller widrigen Umstände, Verwirrungen und Einflüsse, die den Menschen umschwirren, wo er auch steht. Er sah schon das fleißige Leben, fern vom Lärm der Städte, fern von den Versuchungen, die der müßige, der Arbeit entwöhnte Mensch erfunden hat, so deutlich vor sich, daß er das Unangenehme seiner Lage beinahe vergaß und vielleicht auch bereit war, der Vorsehung für diesen harten Schlag zu danken, wenn man ihn nur herausließe und ihm auch nur einen Teil seines Vermögens zurückgäbe ... Die schmale Türe seiner schmutzigen Zelle ging aber auf, und herein trat eine beamtete Person – Ssamoswitow, ein Epikuräer, ein flotter Kerl mit breiten Schultern und langen Beinen, ein guter Kamerad, Bummler und eine geriebene Bestie, wie ihn seine Kollegen nannten. Zu Kriegszeiten hätte der Mensch wahre Wunder vollbringen können; ihn könnte man beauftragen, sich durch eine unwegsame und gefährliche Gegend durchzuschlagen, dem Feinde eine Kanone vor der Nase zu stehlen – das wäre was für ihn. Doch aus Ermanglung einer kriegerischen Schaubühne, auf der er vielleicht ein ehrlicher Mensch geworden wäre, verwendete er alle seine Kräfte auf schlechte Streiche. Eine seltsame Sache! So sonderbar waren seine Überzeugungen und Moralregeln: seinen Kameraden gegenüber benahm er sich tadellos; er verriet niemand und hielt stets sein Wort; doch die Vorgesetzten betrachtete er als eine Art feindliche Batterie, durch die er sich durchschlagen mußte, indem er sich jede schwache Stelle, jede Bresche und Nachlässigkeit zunutze machen durfte.

»Wir sind über Ihre Lage unterrichtet, wir haben alles gehört!« sagte er, nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Türe hinter ihnen fest verschlossen war. »Macht nichts, macht nichts! Verzagen Sie nicht: alles kommt in Ordnung. Wir alle werden für Sie arbeiten und stehen zu Ihren Diensten. Dreißigtausend Rubel für alle, und fertig.«

»Wirklich?« rief Tschitschikow aus. »Und ich werde ganz freigesprochen?«

»Vollkommen! Sie werden sogar eine Entschädigung für Ihre Verluste bekommen.«

»Und für Ihre Mühe?«

»Dreißigtausend. Für alle: für die Unserigen, für die Beamten des Generalgouverneurs und für den Sekretär.«

»Aber erlauben Sie, wie kann ich es machen? ... Alle meine Sachen ... die Schatulle ... alles ist versiegelt und beschlagnahmt ...«

»In einer Stunde haben Sie alles wieder. Also abgemacht?«

Tschitschikow schlug ein. Sein Herz klopfte, und er traute nicht recht, daß es möglich sei ...

»Inzwischen leben Sie wohl! Unser gemeinsamer Freund ließ Ihnen sagen, daß das Wichtigste jetzt Ruhe und Geistesgegenwart sind.«

– Hm! – dachte sich Tschitschikow, – ich verstehe: der Rechtsbeistand! –

Ssamoswitow verschwand. Als Tschitschikow allein geblieben war, konnte er seinen Worten noch immer nicht trauen; aber es war keine halbe Stunde nach diesem Gespräch vergangen, als ihm seine Schatulle gebracht wurde: die Papiere, das Geld – alles war in der schönsten Ordnung. Ssamoswitow erschien in der Rolle eines Aufsichtsbeamten: er erteilte den Wachtposten eine Rüge, weil sie nicht wachsam genug seien, befahl dem Aufseher, noch einige Soldaten zur Verstärkung kommen zu lassen, nahm nicht nur die Schatulle, sondern auch alle Papiere, die Tschitschikow irgendwie kompromittieren konnten, zu sich, schnürte alles zusammen, versiegelte es und schickte das alles mit einem Soldaten zu Tschitschikow unter der Vorspiegelung, daß es Dinge seien, die der Verhaftete für die Nacht brauche; so erhielt Tschitschikow zugleich mit den Papieren auch noch warme Sachen, um seinen sterblichen Leib zu bedecken. Diese schnelle Zustellung machte ihm unsagbare Freude. Er faßte Hoffnung, und schon schwebten ihm allerlei schöne Dinge vor: am Abend Theater und die Tänzerin, der er die Cour machte. Das Landleben und die Stille erschienen ihm wieder blasser, die Stadt und der Lärm dagegen leuchtender und klarer ... Oh, Leben!

Unterdessen war in den Gerichten und Kanzleien eine Affäre von grenzenlosen Dimensionen entstanden. Die Federn der Schreiber arbeiteten unermüdlich; gewitzigte Rechtsverdreher mühten sich ab, hier und da eine Prise nehmend und jede knifflige Zeile mit einem geradezu künstlerischen Genuß betrachtend. Der Rechtsbeistand lenkte wie ein verborgener Magier den ganzen Mechanismus; ehe sich es jemand versah, hatte er schon alle mit seinen Netzen umgarnt. Der Wirrwarr wurde immer größer. Ssamoswitow übertraf sich selbst an Kühnheit und unerhörter Frechheit. Nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, wo die verhaftete Frau saß, ging er direkt hin und trat so keck als Vorgesetzter auf, daß der Posten salutierte und stramm stand. »Stehst du schon lange hier?« – »Seit heute früh, Euer Wohlgeboren.« – »Wann kommt die Ablösung?« – »In drei Stunden, Euer Wohlgeboren.« – »Ich werde dich brauchen. Ich will dem Offizier sagen, daß er statt deiner einen anderen herkommandiert.« – »Zu Befehl, Euer Wohlgeboren!« Ssamoswitow fuhr sofort nach Hause und verkleidete sich selbst, um niemand anderen in die Sache zu verwickeln, als Gendarm; plötzlich hatte er Schnurr- und Backenbart – der Teufel selbst würde ihn nicht erkennen. Er ging ins Haus, wo Tschitschikow wohnte, packte das erste beste Weib, das ihm in die Hände fiel, übergab es zwei geschickten Beamten, die ebenso gerieben waren wie er selbst, und begab sich mit seinem Schnurrbart und mit dem Gewehr, ganz wie es sich gehört, zu dem Wachtposten: »Geh zu . . . Der Kommandant hat mich hergeschickt, um dich abzulösen!« Er löste ihn ab und stellte sich selbst mit dem Gewehr hin. Das war alles, was er brauchte. Währenddessen kam an die Stelle des früheren Weibes ein anderes, das nichts wußte und nichts verstand. Das erste Weib versteckte man inzwischen so gründlich, daß man auch später nicht mehr erfahren konnte, wo es hingekommen war. Während Ssamoswitow sich in der Verkleidung eines Kriegers auf diese Weise betätigte, vollbrachte der Rechtsbeistand wahre Wunder auf dem Gebiete der Zivilverwaltung: er ließ den Gouverneur auf Umwegen wissen, daß der Staatsanwalt eine geheime Anzeige gegen ihn schreibe; dem Gendarmerieoberst ließ er mitteilen, daß ein sich in der Stadt geheim aufhaltender Beamter gegen ihn Anzeigen schreibe; den sich geheim aufhaltenden Beamten überzeugte er, daß es einen noch geheimeren Beamten gebe, der ihn denunziere – so versetzte er alle in eine solche Lage, daß sie sich von ihm Ratschläge holen mußten. Es gab einen furchtbaren Wirrwarr: eine geheime Anzeige folgte der anderen, und es kamen solche Dinge an den Tag, wie sie die Sonne nie gesehen hatte, und selbst solche, die überhaupt nicht existierten. Alles kam auf und wurde mit verwertet: wer unehelich geboren war, aus welchem Stande wer stammte, wer eine Geliebte hatte und wessen Frau wem nachlief. Zahllose ärgerniserregende Skandalgeschichten wurden bekannt, und alles vermengte sich dermaßen mit dem Falle Tschitschikows und mit den toten Seelen, daß man unmöglich entscheiden konnte, welche von diesen Affären die unsinnigste war: beide schienen von gleicher Güte. Schließlich liefen auch beim Generalgouverneur allerlei Papiere ein, und der arme Fürst konnte nichts begreifen. Ein sehr kluger und geschickter Beamter, der beauftragt war, einen Auszug aus allen Akten zu machen, wurde beinahe verrückt, da er unmöglich den Kern der Sache erfassen konnte. Der Fürst hatte um jene Zeit auch noch verschiedene andere Sorgen, eine unangenehmer als die andere. In einem Teil des Gouvernements herrschte Hungersnot. Die Beamten, die man hingeschickt hatte, um Brot zu verteilen, führten diesen Auftrag nicht so aus, wie sie sollten. Im anderen Teil des Gouvernements regten sich die Sektierer. Jemand ließ unter ihnen das Gerücht los, daß der Antichrist erschienen sei, der auch die Toten nicht in Ruhe lasse und tote Seelen aufkaufe. Sie taten Buße und sündigten und brachten unter dem Vorwande, den Antichrist einfangen zu wollen, mehrere Nichtantichristen um. In einer anderen Gegend empörten sich die Bauern gegen die Gutsbesitzer und die Polizeihauptleute. Irgendwelche Vagabunden verbreiteten unter ihnen das Gerücht, daß die Zeit anbreche, wo die Bauern Gutsbesitzer werden und Fräcke anziehen müßten; die Gutsbesitzer würden aber Bauernkittel anziehen und Bauern werden; eine ganze große Gemeinde weigerte sich, ohne zu überlegen, daß es dann viel zu viele Gutsbesitzer und Polizeihauptleute geben würde . . . die Steuern zu bezahlen. Man mußte zu Zwangsmaßregeln greifen. Der arme Fürst war in der übelsten Laune. Da meldete man ihm den Besuch des Branntweinpächters. »Soll er nur kommen«, sagte der Fürst. Der Alte trat ein.