»Da haben Sie Ihren Tschitschikow! Sie sind immer für ihn eingetreten und haben ihn verteidigt. Jetzt hat man ihn aber bei einer Sache erwischt, für die auch der schlimmste Gauner nicht zu haben wäre.«
»Gestatten Sie mir die Bemerkung, Durchlaucht, daß ich diese ganze Angelegenheit nicht recht verstehe.«
»Die Fälschung eines Testaments, und was für eine! ... Darauf steht öffentliche Knutenstrafe!«
»Durchlaucht, ich will Tschitschikow nicht verteidigen, aber ich muß sagen, daß die Sache noch nicht bewiesen ist: die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.«
»Es gibt Beweise: die Frau, die die Rolle der Verstorbenen spielen mußte, ist verhaftet. Ich will sie sofort in Ihrer Gegenwart vernehmen.« Der Fürst klingelte und befahl die Frau zu holen.
Murasow schwieg.
»Eine ganz ehrlose Sache! Zu unserer Schande sind auch die höchsten Beamten der Stadt verwickelt, sogar der Gouverneur. Er dürfte doch nichts mit den Dieben und Spitzbuben zu tun haben!« sagte der Fürst erregt.
»Der Gouverneur ist ja auch Erbe; er durfte wohl gewisse Ansprüche erheben; und daß die anderen sich von allen Seiten an die Affäre geklammert haben, ist doch nur menschlich, Durchlaucht! Eine reiche Frau ist, ohne eine kluge und gerechte letztwillige Verfügung zu hinterlassen, gestorben; nun sind von allen Seiten Leute herbeigestürzt, die gern einen Bissen erwischen möchten – das ist nur menschlich ...«
»Aber wozu alle die Gemeinheiten? ... Diese Schurken!« sagte der Fürst empört. »Ich habe keinen einzigen anständigen Beamten, alle sind Schurken!«
»Durchlaucht! Wer von uns ist denn wirklich anständig? Alle Beamten unserer Stadt sind nur Menschen; alle haben ihre Vorzüge, viele sind in ihrem Fach sehr tüchtig, sündigen kann aber ein jeder!«
»Hören Sie, Afanassij Wassiljewitsch: sagen Sie mir – ich kenne Sie als einen ehrlichen Menschen – was haben Sie für eine merkwürdige Leidenschaft, alle Schurken in Schutz zu nehmen?«
»Durchlaucht,« sagte Murasow, »wenn Sie jemand auch einen Schurken nennen, so ist er doch immerhin ein Mensch. Wie soll man den Menschen nicht verteidigen, wenn man weiß, daß er die Hälfte seiner Verbrechen aus Roheit und Unbildung verübt? Wir alle begehen auf Schritt und Tritt Ungerechtigkeiten und verschulden jeden Augenblick das Unglück unserer Mitmenschen, selbst ohne jede böse Absicht. Auch Eure Durchlaucht haben eine große Ungerechtigkeit begangen.«
»Wie!« rief der Fürst erstaunt aus, bestürzt über diese unerwartete Wendung des Gesprächs.
Murasow schwieg eine Weile, als überlegte er sich etwas und sagte schließlich: »Nun, zum Beispiel in der Affäre Djerpjennikow.«
»Afanassij Wassiljewitsch! Das war doch ein Verbrechen gegen die Grundgesetze des Staates, beinahe Landesverrat!«
»Ich verteidige ihn nicht. War es aber gerecht, einen Jüngling, der sich in seiner Unerfahrenheit von anderen hatte verführen und verlocken lassen, ebenso zu bestrafen, wie einen der Rädelsführer? Djerpjennikow hat ja dasselbe Schicksal erfahren, wie ein Woronnoj-Drjannoj; ihre Verbrechen waren aber nicht gleich.«
»Um Gottes willen ...« sagte der Fürst in sichtbarer Erregung. »Wissen Sie etwas darüber? Sagen Sie es mir. Ich habe erst kürzlich nach Petersburg geschrieben und um die Milderung seines Loses gebeten.«
»Nein, Durchlaucht, ich will nicht gesagt haben, daß ich etwas weiß, was Sie nicht wissen. Obwohl es wirklich einen Umstand gibt, der ihm nützen könnte; er wird aber von ihm keinen Gebrauch machen wollen, weil darunter ein anderer leiden könnte. Ich frage mich bloß, ob Sie damals nicht doch etwas voreilig gehandelt haben? Entschuldigen Sie, Durchlaucht, ich urteile nur nach meinem schwachen Verstande. Sie haben mich mehrmals aufgefordert, aufrichtig zu sprechen. Als ich noch selbst Vorgesetzter war, hatte ich allerlei Arbeiter unter mir, gute und schlechte. Man muß auch das Vorleben eines Menschen mit in Betracht ziehen. Wenn man nicht alles kaltblütig untersucht, sondern gleich zu schreien anfängt – so schüchtert man den Menschen nur ein und bekommt von ihm kein Geständnis zu hören; wenn man ihn aber mit Teilnahme, wie einen Bruder, ausfragt – so sagt er alles von selbst und bittet nicht mal um Milderung der Strafe; er ist auch gegen niemand erbittert, denn er sieht klar, daß nicht ich ihn bestrafe, sondern das Gesetz.«
Der Fürst wurde nachdenklich. In diesem Augenblick trat ein junger Beamter ins Zimmer und blieb respektvoll mit seinem Portefeuille in der Hand stehen. Sorge und Anstrengung spiegelten sich in seinem jugendlichen, noch frischen Gesicht. Offenbar wurde er nicht umsonst für besondere Aufträge verwendet. Er war einer der wenigen Beamten, die ihr Amt con amore versahen. Weder von Ehrgeiz noch von Habgier bewegt, auch nicht um es den anderen gleichzutun, tat er seinen Dienst nur aus dem Grunde, weil er überzeugt war, daß er für diese und keine andere Stellung geschaffen war, daß er überhaupt nur dazu lebte. Eine Sache erforschen, in allen Teilen untersuchen, alle Fäden eines verwickelten Falles entwirren – das war seine Sache. Er war für alle seine Mühen, alle schlaflosen Nächte und Anstrengungen reichlich belohnt, wenn die Sache sich zu klären begann, wenn die verborgensten Gründe ans Licht kamen und er sich imstande fühlte, das Ganze mit wenigen Worten deutlich und klar darzustellen, so daß es einem jeden offenbar und verständlich sein würde. Man kann wohl sagen, kein Schüler hat sich noch so sehr gefreut, wenn es ihm gelang, irgendeinen schwierigen Satz zu entwirren und den Sinn des Gedankens eines großen Schriftstellers zu erfassen, wie er sich freute, wenn sich vor seinen Blicken eine verworrene Sache klärte . . .