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Im großen Saale des Hauses des Generalgouverneurs versammelten sich sämtliche Beamte der Stadt, vom Gouverneur bis zum Titullarrat abwärts: die Kanzleivorstände, die Abteilungsvorstände, die Räte, die Assessoren, Kislojedow, Krasnonossow, Ssamoswitow, solche, die man bestechen konnte, solche, die man nicht bestechen konnte, Gauner, halbe Gauner und keine Gauner. Alle warteten nicht ohne Aufregung auf das Erscheinen des Generalgouverneurs. Der Fürst kam zu ihnen heraus; er war weder düster noch heiter: seine Blicke waren ebenso sicher wie seine Schritte. Die versammelten Beamten verneigten sich, viele sehr tief. Der Fürst dankte mit einer leichten Verbeugung und begann:

»Vor meiner Abreise nach Petersburg hielt ich es für angemessen, Sie alle noch einmal zu sehen und Ihnen zum Teil auch die Gründe zu erklären. Bei uns ist eine sehr ärgerniserregende Sache im Gange. Ich glaube, viele von den Anwesenden wissen, was für eine Sache ich meine. Diese Sache hat zur Aufdeckung anderer, nicht weniger schmachvoller Sachen geführt, in die schließlich auch solche Menschen verwickelt sind, die ich bisher für ehrlich hielt. Mir ist auch das geheime Ziel der Machenschaften bekannt: alles dermaßen zu verwirren, daß es gänzlich unmöglich werde, eine Entscheidung auf formalem Wege zu treffen. Ich weiß sogar, wer der Haupträdelsführer ist und durch wessen geheime . . . obwohl er seine Teilnahme sehr geschickt zu verheimlichen gewußt hat. Die Sache ist nun die, daß ich mich entschlossen habe, das Verfahren nicht auf formalem Aktenwege, sondern durch das schnelle Kriegsgericht wie in Kriegszeiten durchzuführen, und ich hoffe, vom Kaiser die Ermächtigung dazu zu erwirken, wenn ich ihm den ganzen Fall darlege. In einem solchen Falle, wo keine Möglichkeit besteht, die Sache mit Hilfe der bürgerlichen Gesetze zu erledigen, wenn Schränke mit Akten verbrennen und wenn man sich auch noch bemüht, durch eine Menge von falschen Aussagen, die mit der Sache nichts zu tun haben, und durch falsche Anzeigen diesen auch ohnehin dunklen Fall noch mehr zu verdunkeln – so halte ich das Kriegsgericht für das einzige Mittel. Nun möchte ich gerne auch Ihre Meinung darüber hören.«

Der Fürst hielt inne, als erwartete er eine Antwort. Alle standen da, den Blick zu Boden gesenkt. Viele waren blaß.

»Es ist mir auch noch eine andere Sache bekannt, obwohl die Beteiligten fest davon überzeugt sind, daß sie niemals an den Tag kommen wird. Auch dieser Fall wird nicht auf dem Aktenwege behandelt werden, weil ich hier selbst Bittsteller und Supplikant bin und offensichtliche Beweise vorlegen werde.«

In der Beamtenversammlung zuckte einer zusammen; auch manche andere von den Ängstlichen wurden verlegen.

»Es versteht sich von selbst, daß die Hauptschuldigen ihre Titel und Vermögen verlieren und dann auch ihrer Posten enthoben sein werden. Es versteht sich von selbst, daß dabei auch viele Unschuldige leiden werden. Aber was ist zu machen? Der Fall ist zu schmachvoll und schreit nach Gerechtigkeit. Obwohl ich weiß, daß dadurch nicht mal ein Exempel statuiert wird, weil an die Stelle der Bestraften sofort andere kommen werden, weil die, die bisher ehrlich waren, unehrlich werden und die, denen ich Vertrauen schenken werde, mich betrügen und verraten werden – trotz alledem muß ich hart vorgehen, denn die verletzte Gerechtigkeit schreit zum Himmel. Ich weiß, daß man mir Härte und Grausamkeit vorwerfen wird, aber ich weiß auch, daß diese . . . solche muß ich zu gefühllosen Werkzeugen der Gerechtigkeit machen, das auf die Häupter der . . . herabfallen soll ...«

Über alle Gesichter lief unwillkürlich ein Zittern.

Der Fürst war ruhig. Sein Gesicht drückte weder Zorn noch seelische Empörung aus.

»Derjenige, in dessen Hand das Schicksal vieler liegt und den keinerlei Bitten erweichen können, richtet jetzt selbst eine Bitte an euch. Alles soll vergessen, getilgt und vergeben werden, ich selbst will euer Fürsprecher sein, wenn ihr meine Bitte erfüllt. Ich bitte um folgendes. Ich weiß, daß man das Unrecht durch keinerlei Mittel, keinerlei Einschüchterung und keinerlei Strafen ausrotten kann: es hat schon zu tiefe Wurzeln gefaßt. Die schmachvolle Bestechlichkeit ist schon zu einer Notwendigkeit und einem Bedürfnis selbst bei solchen Leuten geworden, die nicht als Ehrlose geboren sind. Ich weiß, daß es vielen beinahe unmöglich ist, gegen den Strom zu schwimmen. Doch jetzt, in dem entscheidenden und heiligen Augenblick, wo es das Vaterland zu retten gilt, wo jeder Bürger alles trägt und seine ganze Habe opfert, muß ich wenigstens diejenigen anrufen, die noch ein russisches Herz in ihrer Brust haben und denen das Wort Edelmut verständlich ist. Was soll man noch davon reden, wer von uns die meiste Schuld hat? Vielleicht habe ich die größte Schuld; vielleicht habe ich euch anfangs zu streng empfangen; vielleicht habe ich durch übertriebenen Argwohn diejenigen abgestoßen, die aufrichtig bestrebt waren, mir nützlich zu sein, obwohl ich auch meinerseits hätte erreichen können, daß . . . Wenn es Ihnen tatsächlich um die Gerechtigkeit und um das Wohl Ihres Landes zu tun war, so hätten Sie sich durch meine hochmütige Haltung nicht verletzt fühlen dürfen; Sie hätten Ihren Ehrgeiz unterdrücken und alles Persönliche zum Opfer bringen müssen. Es wäre undenkbar, daß ich Ihre Selbstaufopferung und Ihre hohe Liebe zum Guten übersehen und Ihre nützlichen und klugen Ratschläge nicht angenommen hätte. Der Untergebene muß sich doch eher dem Charakter seines Vorgesetzten anpassen, als der Vorgesetzte dem des Untergebenen. Das wäre jedenfalls natürlicher und leichter, denn die Untergebenen haben nur einen Vorgesetzten, doch der Vorgesetzte hat hundert Untergebene. Aber lassen wir jetzt die Frage beiseite, wer der Schuldige ist. Es handelt sich darum, daß wir jetzt unser Land retten müssen; daß unser Land nicht an der Invasion von zwanzig feindlichen Völkern zugrunde geht, sondern an uns selbst; daß neben der rechtmäßigen Regierung eine andere Regierung entstanden ist, die viel mächtiger ist als jede rechtmäßige Regierung. Es sind bestimmte Satzungen aufgestellt worden, für alles hat man Preise festgesetzt, und diese Preise sind sogar allen bekannt. Kein Regent, und wäre er auch weiser als alle Gesetzgeber und Regenten, kann das Übel ausrotten, und wenn er auch die Willkür der schlechten Beamten dadurch zu beschränken suchte, daß er sie von anderen Beamten überwachen ließe. Alles wird vergeblich bleiben, solange nicht ein jeder von uns das Gefühl hat, daß er sich ebenso gegen das Unrecht erheben muß, wie er sich in der Zeit der Erhebung der Völker gegen . . . erhoben hat. Als Russe, der mit euch durch die Bande der Blutsverwandtschaft, durch das gleiche Blut verbunden ist, wende ich mich jetzt an euch. Ich wende mich an diejenigen unter euch, die eine Ahnung davon haben, was edle Gesinnung ist. Ich fordere euch auf, an die Pflicht zu denken, die der Mensch auf jedem Posten zu erfüllen hat. Ich fordere euch auf, auf die Pflicht und Schuldigkeit eures irdischen Amtes zu achten, weil wir es schon alle dunkel ahnen und weil wir kaum . . .

Nachbemerkung des Herausgebers

Der I. Band der »Toten Seelen« wurde 1835 begonnen und 1841 beendet; das Buch erschien im Mai 1842. An Varianten existieren nur eine veränderte Fassung der letzten Hälfte des 9. Kapitels und zwei Fassungen der »Geschichte vom Hauptmann Kopejkin« (im 10. Kapitel).

Der II. Band wurde 1840 begonnen. Von der ersten Fassung sind einige Fragmente erhalten geblieben. Im Jahre 1842 arbeitete Gogol die ersten Kapitel dieser neuen Fassung um und schrieb sie ins reine. Der vollständige Text dieser umgearbeiteten Fassung ist uns nicht erhalten geblieben: Gogol verbrannte ihn im Jahre 1845. Alles, was von dieser Reinschrift, die zahlreiche kleine und große Lücken aufweist, erhalten blieb, bildet den »Zweiten Teil« der vorliegenden Ausgabe.