»Aghan, Hamad, durchsucht das Haus!«, rief Bashere.
»Matoun, formiert die Lanzenreiter! Sie werden sich auf uns stürzen, so schnell sie können!« Zwei Soldaten rammten ihre Lanzen in die Erde, sprangen aus den Sätteln und stürmten mit gezogenen Schwertern ins Haus, während der Rest in zwei Reihen Aufstellung bezog.
Ayako warf sich förmlich aus dem Sattel und eilte zu Sand omere; dabei achtete sie nicht einmal auf ihre Röcke, die durch den Schlamm schleiften. Merise ritt zu Narishma, bevor sie direkt vor ihm zu Boden glitt und wortlos seinen Kopf zwischen die Hände nahm. Er bäumte sich auf und hätte fast den Kopf losgerissen, während sie ihn Heilte. Sie kannte sich kaum in Nynaeves Heilungsmethode aus.
Nynaeve ignorierte die Aufregung, raffte die Röcke mit blutverschmierten Händen und eilte zu Rand. »Oh, Rand«, sagte sie, als sie den Arm erblickte, »es tut mir so leid. Ich… ich werde tun, was ich kann, aber ich werde ihn nicht wieder so hinbekommen, wie er war.« In ihren Augen lag Qual.
Wortlos streckte er den linken Arm aus. In ihm pulsierte der Schmerz. Seltsamerweise konnte er noch immer seine Hand spüren. Er schien Finger, die nicht länger da waren, zu einer Faust formen zu können. Seine Gänsehaut wurde intensiver, als sie viel mehr Saidar schöpfte, und der Qualm verschwand von seinem Ärmel. Sie ergriff den Arm oberhalb des Handgelenks. Der ganze Arm fing an zu kribbeln, und der Schmerz verschwand. Langsam wich geschwärzte Haut glatter Haut, die nach unten zu quellen schien, bis sie den kleinen Höcker umgab, der sein Handballen gewesen war. Ein wunderbarer Anblick. Auch der Drache mit den scharlachroten und goldenen Schuppen wuchs wieder, soweit das möglich war, und endete in einem Stück goldener Mähne. Rand konnte noch immer die ganze Hand fühlen.
»Es tut mir so leid«, sagte Nynaeve erneut. »Lass mich nach anderen Verletzungen Ausschau halten.« Sie fragte, aber natürlich wartete sie keine Antwort ab. Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände, und ein Schauder durchfuhr ihn.
»Da stimmt etwas nicht mit deinen Augen«, sagte sie stirnrunzelnd. »Ich habe Angst, das zu Heilen, ohne es vorher zu studieren. Der kleinste Fehler könnte dich erblinden lassen. Wie gut kannst du sehen? Wie viele Finger halte ich hoch?«
»Zwei. Ich kann gut sehen«, log er. Die schwarzen Flecken waren verschwunden, aber alles schien immer noch unter Wasser zu liegen, und er wollte die Augen zusammenkneifen, um sie vor einer Sonne zu schützen, die scheinbar zehnmal heller als zuvor zu sein schien. Die alten Wunden in seiner Seite verkrampften sich vor Schmerz.
Bashere stieg vor ihm von seinem stämmigen Braunen und betrachtete den linken Armstumpf stirnrunzelnd. Er löste den Helmriemen, nahm ihn ab und hielt ihn unter dem Arm. »Wenigstens seid Ihr noch am Leben«, sagte er rau. »Ich habe schon schlimmer verletzte Männer gesehen.«
»Ich auch«, erwiderte Rand. »Aber ich werde den Schwertkampf noch einmal erlernen müssen.« Bashere nickte. Für die meisten Formen brauchte man zwei Hände. Rand beugte sich vor, um die Krone von Illian aufzuheben, aber Min ließ seinen Arm los und gab ihm hastig die Krone. Er setzte sie sich auf. »Ich werde alles neu lernen müssen.«
»Du musst einen Schock haben«, sagte Nynaeve langsam.
»Du hast gerade eine ernsthafte Verletzung erlitten. Vielleicht solltest du dich hinlegen. Lord Davram, einer Eurer Männer soll einen Sattel bringen, auf dem er die Füße hochlegen kann.«
»Er hat keinen Schock«, sagte Min traurig. Der Bund war erfüllt von Niedergeschlagenheit. Sie hielt wieder seinen Arm, als wollte sie ihn stützen. »Er hat eine Hand verloren, aber da kann man nichts machen, also hat er das bereits hinter sich gelassen.«
»Wollköpfiger Narr«, murmelte Nynaeve. Ihre noch mit Sandomeres Blut beschmierte Hand griff unwillkürlich nach dem dicken Zopf, der über ihrer Schulter hing, aber sie riss sie zurück. »Du bist schlimm verletzt worden. Zu trauern ist völlig in Ordnung. Sich betäubt zu fühlen ist völlig in Ordnung. Das ist normal!«
»Dazu habe ich keine Zeit«, sagte er zu ihr. Mins Niederg eschlagenheit drohte alles im Bund zu übertönen. Beim Licht, er war in Ordnung! Warum war sie bloß so traurig?
Nynaeve murmelte etwas wie »Wollschädel« und »Narr« und »stur wie ein Mann«, aber sie war noch nicht fertig.
»Diese alten Wunden in deiner Seite sind wieder aufgebrochen«, knurrte sie beinahe. »Du blutest zwar nicht schlimm, aber du blutest. Vielleicht kann ich endlich etwas dagegen unternehmen.«
Aber sosehr sie sich auch bemühte — und sie versuchte es drei Mal —, es funktionierte nicht. Er spürte den langsamen Blutstrom seine Rippen hinuntertröpfeln. Die Wunden waren noch immer ein pulsierender Knoten des Schmerzes. Schließlich drängte er sanft ihre Hand zur Seite.
»Du hast getan, was du konntest, Nynaeve. Es reicht.«
»Narr.« Diesmal knurrte sie tatsächlich. »Wie kann es reichen, wenn du noch immer blutest?«
»Wer ist die große Frau?«, fragte Bashere. Wenigstens er verstand es. Man verschwendete keine Zeit mit Sachen, die man nicht reparieren konnte. »Sie haben doch wohl nicht versucht, sie als die Tochter der Neun Monde auszugeben, oder? Nicht nachdem sie mir gesagt hatten, sie sei recht klein.«
»Das haben sie«, erwiderte Rand und erklärte schnell alles.
»Semirhage?«, murmelte Bashere ungläubig. »Wie könnt Ihr da so sicher sein?«
»Sie ist Anath Dorje, nicht… nicht jene, die Ihr behauptet«, sagte da eine blonde Sul'dam mit schleppendem Akzent. Ihre dunklen Augen waren schräg, und ihr Haar war mit grauen Strähnen durchsetzt. Sie sah wie die älteste der Sul'dam aus und die am wenigsten verängstigte. Es war nicht so, dass sie keine Angst zu haben schien, aber sie hatte sie gut unter Kontrolle. »Sie ist die Wahrheitssprecherin der Hochlady.«
»Falendre, sei still«, sagte Semirhage kalt und blickte über die Schulter. Ihr Blick versprach Schmerzen. Die Herrin des Schmerzes war gut darin, ihre Versprechen zu halten. Gefangene hatten sich umgebracht, nachdem sie erfahren hatten, wer sie da gefangen hielt, Männer und Frauen, die es geschafft hatten, mit Zähnen oder Fingernägeln Adern zu öffnen.
Falendre schien ihn aber nicht zu bemerken. »Ihr habt mir nichts zu befehlen«, sagte sie verächtlich. »Ihr seid nicht einmal So'jhin.«
»Wie könnt Ihr so sicher sein?«, wollte Cadsuane wissen. Die goldenen Monde und Sterne, Fische und Vögel baumelten, als sie ihren durchdringenden Blick von Rand zu Semirhage und zurück schweifen ließ.
Semirhage ersparte ihm die Mühe, sich eine Lüge einfall en lassen zu müssen. »Er ist wahnsinnig«, sagte sie kühl. Wie sie da so stand, steif wie eine Statue, mit Mins Messergriff, der noch immer neben ihrem Schlüsselbein herausragte, und der blutverschmierten Kleiderbrust, hätte sie genauso gut eine Königin auf ihrem Thron sein können. »Graendal könnte es besser erklären als ich. Wahnsinn war ihre Spezialität. Aber ich werde es versuchen. Ihr habt von Leuten gehört, die Stimmen hören? Manchmal, ganz selten, sind die Stimmen, die sie hören, die Stimmen früherer Leben. Lanfear behauptete, er wüsste Dinge aus unserem Zeitalter, Dinge, die nur Lews Therin Telamon wissen konnte. Er hört eindeutig Lews Therins Stimme. Es macht aber keinen Unterschied, dass seine Stimme real ist. Tatsächlich verschlimmert das seine Situation noch. Selbst Graendal ist meistens darin gescheitert, eine Reintegration bei jemandem zu erreichen, der eine echte Stimme hörte. Soviel ich weiß, kann der Sturz in den echten Wahnsinn… ganz plötzlich erfolgen.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das die schwarzen Augen nie erreichte.