»Euer Plan verlässt sich auf eine Menge Glück«, sagte Teslyn nicht zum ersten Mal. Selbst in den Schatten sah ihr Gesicht hart aus. Sie rutschte auf ihrem Sattel herum, richtete den Umhang. »Es ist zu spät, um alles zu verändern, aber dieser Teil ist auf jeden Fall unnötig.« Er hätte es vorg ezogen, Bethamin oder Seta dabeizuhaben, die nicht an die Drei Eide gebunden waren und beide wussten, welche Gewebe die Damane als Waffen benutzten, etwas, das die Aes Sedai entsetzte. Nicht die Gewebe, nur dass Bethamin und Seta sie kannten. Zumindest glaubte er, dass sie ihm lieber gewesen wären. Leilwin hatte sich schlicht geweigert, außer in Selbstverteidigung gegen Seanchaner zu kämpfen. Bethamin und Seta hätten möglicherweise das Gleiche getan oder in letzter Minute herausgefunden, dass sie nicht gegen ihre Landsmänner vorgehen konnten. Aber wie dem auch sei, die Aes Sedai hatten nicht erlaubt, dass die beiden Frauen darin verwickelt wurden, und keine von ihnen hatte auch nur einen Ton gesagt, nachdem das verkündet worden war. Die beiden waren in Anwesenheit von Aes Sedai zu eingeschüchtert, um auch nur einen Mucks zu machen.
»Verzeiht, Teslyn Sedai, aber Lord Mat hat Glück«, sagte Hauptmann Mandevwin. Der stämmige, einäugige Mann war seit den ersten Tagen der Bande in Cairhien dabei, und er hatte sich die grauen Strähnen im Haar verdient, das jetzt unter dem grün lackierten Helm verborgen lag, einem einfachen, offenen Infanteristenhelm, und zwar in Schlachten gegen Tear und Andor. »Ich erinnere mich an Zeiten, in denen wir in der Minderzahl waren, und er hat die Bande um sie herumtanzen lassen. Nicht um sich zu verdrücken, nein, sondern um sie zu schlagen. Wunderbare Schlachten.«
»Eine wunderbare Schlacht ist eine, die man nicht schlag en muss«, sagte Mat schärfer als beabsichtigt. Er mochte Schlachten nicht. In einer Schlacht konnte es passieren, dass jemand Löcher in einen hineinstach. Er wurde nur immer wieder darin verwickelt, das war alles. Die meisten dieser Tänze waren der Versuch gewesen, sich zu verdrücken. Aber das würde es heute Nacht nicht geben, und auch nicht in den kommenden Tagen. »Unsere Aufgabe ist wichtig, Teslyn.« Was hielt Aludra bloß auf, sollte sie doch zu Asche verbrennen! Der Angriff auf das Nachschublager musste bereits im Gange sein, gerade heftig genug, dass die Verteidigung der Meinung war, durchhalten zu können, bis Hilfe eintraf, heftig genug, dass sie zu dem Schluss kamen, Hilfe zu benötigen. Die anderen würden von Anfang an mit voller Kraft durchgeführt werden, um die Verteidiger zu überwältigen, bevor sie überhaupt wussten, wie ihnen geschah. »Ich will die Seanchaner bluten lassen, sie so hart und schnell und oft bluten lassen, dass sie auf unsere Aktionen reagieren, statt ihre eigenen Pläne zu machen.« Sobald die Worte aus seinem Mund waren, wünschte er, er hätte das anders ausgedrückt.
Tuon beugte sich zu Selucia herüber, und die hochgewachsene Frau senkte ihr mit einem Kopftuch verhülltes Haupt, um ein Flüstern austauschen zu können. Es war zu dunkel für ihre verfluchte Fingersprache, aber er konnte kein Wort von dem verstehen, was sie sagten. Er konnte es sich vorstellen. Sie hatte versprochen, ihn nicht zu verraten, und damit war auch gemeint gewesen, nicht zu versuchen, seine Pläne zu verraten, aber sie musste sich wünschen, von diesem Versprechen entbunden zu werden. Er hätte sie bei Reimon oder einem der anderen lassen sollen. Das wäre sicherer gewesen, als sie mitzunehmen. Das wäre auch machbar gewesen, er hätte sie bloß fesseln müssen, sie und Selucia. Und vermutlich auch Setalle. Die verdammte Frau schlug sich jedes Mal auf Tuons Seite.
Mandevwins Brauner stampfte mit dem Huf auf, und er tätschelte den Hals des Tieres mit seiner in einem Panzerhandschuh steckenden Hand. »Ihr könnt nicht abstreiten, dass es so etwas wie Schlachtenglück gibt, wenn man eine Schwäche in den gegnerischen Reihen findet, mit der man nie gerechnet hat, wenn man den Gegner gegen einen Angriff aus dem Norden aufgestellt findet, man aber aus dem Süden kommt. Das Schlachtenglück reitet auf Eurer Schulter, mein Lord. Ich habe es erlebt.«
Mat grunzte und rückte gereizt den Hut zurecht.
»Eine grüne Nachtblume«, rief ein Mann aus der Höhe.
»Zwei! Beide grün!« Ein Schaben verriet ihm, dass jemand schnell nach unten kletterte.
Mat stieß einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus. Der Raken war weg und in südlicher Richtung unterwegs. Er hatte sich darauf verlassen — die nächste große Abteilung Soldaten, die treu zu den Seanchanern standen, befand sich im Westen — und sogar gemogelt, indem er so weit nach Westen geritten war, wie er es wagte. Nur weil man davon überzeugt war, dass der Gegner auf eine gewisse Weise reagierte, bedeutete das nicht, dass er es auch tat. Reimon würde jede Minute das Nachschublager überrennen und die Verteidiger mit zehnfacher Übermacht erdrücken und dringend benötigten Proviant sicherstellen.
»Geht, Vanin«, sagte er, und der Dicke trieb seinen Falben an und ritt im Galopp in die Nacht hinein. Er konnte nicht schneller als der Raken sein, aber solange er die Botschaft rechtzeitig überbrachte… »Es ist Zeit, Mandevwin.«
Ein schlanker Bursche sprang das letzte Stück von einem niedrigen Ast herunter und hielt sorgfältig ein Fernglas fest, das er zu dem Cairhiener hochhielt.
»Aufsitzen, Londraed«, sagte Mandevwin und stopfte das Fernglas in den an seinem Sattel festgebundenen Lederzylinder. »Connl, die Männer in Viererreihen antreten lassen.«
Ein kurzer Ritt brachte sie zu einer schmalen Straße, die sich durch niedrige Hügel schlängelte und die Mat zuvor gemieden hatte. In dieser Gegend gab es nur wenige Bauernhöfe und noch weniger Dörfer, aber er wollte nicht, dass sich Gerüchte über große Gruppen bewaffneter Männer verbreiteten. Jedenfalls nicht, bevor er wollte, dass sie sich verbreiteten. Jetzt brauchte er Schnelligkeit, und heute Nacht konnten ihn die Gerüchte nicht mehr überholen. Die meisten der Bauernhäuser, an denen sie vorbeikamen, waren dunkle Umrisse im Mondlicht, wo Kerzen und Lampen bereits gelöscht waren. Das Dröhnen der Hufe und das Ächzen des Sattelleders waren abgesehen vom gelegentlichen Ruf eines Nachtvogels oder einer Eule die einzigen Laute, aber ungefähr zweitausend Pferde machten schon einen gewissen Lärm. Sie kamen durch ein kleines Dorf, in dem bloß in einer Hand voll strohgedeckter Häuser und einer winzigen Schenke Licht brannte, aber Leute steckten die Köpfe aus Türen und Fenstern und starrten in die Nacht. Zweifellos glaubten sie Soldaten zu sehen, die loyal zu den Seanchanern standen. In Altara schien es nicht mehr viele andere zu geben. Jemand jubelte, aber niemand stimmte ein.
Mat ritt an Mandevwins Seite, und Tuon und die anderen Frauen dahinter, und gelegentlich warf er einen Blick über die Schulter. Nicht um sicherzugehen, dass sie noch da war. So seltsam das auch war, er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass sie ihr Wort halten und nicht fliehen würde, nicht einmal jetzt. Und auch nicht, um sich zu vergewissern, dass sie mitkam. Die Rasierklinge lief mühelos, und sie war eine gute Reiterin. Pips hätte Akein nicht überholen können. Nein, er sah sie einfach nur gern an, selbst im Mondlicht. In der Nacht zuvor hatte er versucht, sie noch einmal zu küssen, und sie hatte ihn so hart in die Seite geschlagen, dass er zuerst glaubte, sie hätte ihm eine Rippe gebrochen. Aber an diesem Abend hatte sie ihn kurz vor ihrem Aufbruch erneut geküsst. Nur einmal, und als er versucht hatte, einen zweiten Kuss zu bekommen, hatte sie ihm bloß befohlen, nicht gierig zu sein. Die Frau schmolz in seinen Armen dahin, wenn er sie küsste, und verwandelte sich in dem Augenblick zurück in Eis, in dem sie zurücktrat. Was sollte er nur von ihr halten? Eine große Eule flog über ihnen hinweg, ihre Schwingen schlugen lautlos. Würde sie darin ein Omen sehen? Vermutlich.
Er hätte nicht so viel Zeit damit verbringen sollen, über sie nachzudenken, nicht heute Nacht. In Wahrheit verließ er sich bis zu einem gewissen Ausmaß auf sein Glück. Bei den dreitausend Lanzenreitern, die Vanin aufgespürt hatte, größtenteils Altaraner und ein paar Seanchaner, mochte es sich um jene handeln, die Meister Roidelle auf seiner Karte markiert hatte, oder auch nicht, obwohl sie nicht weit von der Stelle entfernt waren, die er markiert hatte, aber man konnte unmöglich mit Sicherheit sagen, in welche Richtung sie seitdem marschiert waren. Mit an Sicherheit grenzender Wahrs cheinlichkeit nach Nordosten, auf den Malvidedurchgang und die dahinter liegende Molvainekluft zu. Es hatte den Anschein, als hätten die Seanchaner die Lugardstraße nicht für Truppenbewegungen benutzt — einmal abgesehen von ihrem letzten Stück —, zweifellos, um ihre Zahl und Ziele auf den Landstraßen zu verbergen. Aber mit ziemlicher Sicherheit bedeutete nicht mit absoluter Sicherheit. Wenn sie nicht zu weit marschiert waren, war das die Straße, die sie benutzen würden, um das Nachschublager zu erreichen. Wenn. Aber falls sie weiter marschiert waren, als er erwartet hatte, benutzten sie möglicherweise eine andere Straße. Darin lag keine Gefahr; es wäre bloß eine verschwendete Nacht gewesen. Aber ihr Befehlshaber konnte sich möglicherweise auch entscheiden, den direkten Weg durch die Hügel zu nehmen. Das konnte dann hässlich werden, falls er an der falschen Stelle auf diese Straße abbog.