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»Galina ist fort«, sagte Faile bitter. Die Frau hätte geantw ortet, stände sie noch immer da oben oder hätte die Absicht, ihnen zu helfen. »Da wir hier unten gefangen oder möglicherweise tot sind, hat sie die perfekte Entschuldigung, uns zurückzulassen. Davon abgesehen weiß ich gar nicht, ob eine Aes Sedai diese Trümmer überhaupt allein bewegen könnte.« Sie wollte nicht die Möglichkeit erwähnen, dass Galina diese Entschuldigung selbst arrangiert hatte. Beim Licht, sie hätte diese Frau niemals schlagen dürfen. Aber jetzt war es zu spät für Selbstvorwürfe.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Arrela.

»Uns den Weg freigraben«, sagten Faile und Maighdin gleichzeitig. Faile sah die andere Frau überrascht an. Das schmutzige Gesicht ihrer Dienerin trug die Entschlossenheit einer Königin.

»Ja«, sagte Alliandre und richtete sich wieder auf. Sie drehte sich um, und auch wenn sich Tränenbahnen durch den Staub auf ihrem Gesicht gruben, kamen doch keine frischen Tränen mehr. Sie war wirklich eine Königin, und es konnte ihr nicht gefallen, durch den Mut einer Dienerin beschämt zu werden. »Wir graben uns allein aus. Und wenn wir es nicht schaffen… Wenn wir es nicht schaffen, werde ich nicht hiermit sterben!« Sie nahm den goldenen Gürtel ab und schleuderte ihn verächtlich in eine Kellerecke. Der goldene Kragen folgte ihm.

»Wir brauchen sie, um durch das Shaido-Lager zu komm en«, sagte Faile sanft. »Galina bringt uns vermutlich nicht aus dem Lager, aber ich habe vor, heute zu verschwinden.« Dairaine machte das unumgänglich. Bain und Chiad konnten sie nicht lange verstecken. »Jedenfalls sobald wir uns ausgegraben haben. Wir behaupten, zum Beerenpflücken losgeschickt worden zu sein.« Dennoch wollte sie die mutige Geste ihrer Lehnsfrau nicht herabwürdigen. »Aber wir brauchen sie jetzt nicht zu tragen.« Sie nahm Gürtel und Kragen ab, rückte den Korb zurecht und legte sie auf die schmutzigen Gai'schain-Gewänder. Die anderen taten es ihr nach. Alliandre holte ihren Gürtel und Kragen mit einem reuevollen Lachen zurück. Immerhin konnte sie wenigstens wieder lachen. Faile wünschte sich, sie hätte es auch gekonnt.

Das Chaos aus verkohlten Balken und zur Hälfte verbrannten Dielen, das die Treppe füllte, ähnelte einem der Geschicklichkeitsspiele, die ihr Perrin so sehr liebte. Fast alles schien etwas anderes zu stützen. Und was noch schlimmer war, die schwereren Balken lagen möglicherweise jenseits ihrer gemeinsamen Kräfte. Aber wenn sie genug wegräumen konnten, dass sie sich an den dicken Balken vorbeiwinden konnten… Das würde gefährlich sein. Aber wenn ein gefährlicher Pfad der einzige Weg in die Sicherheit war, dann musste man ihn nehmen.

Ein paar Dielen lösten sich leicht und wurden weiter hinten aufgestapelt, aber danach mussten sie jedes Holzstück mit Sorgfalt auswählen, mussten es untersuchen, um zu sehen, ob etwas nachrutschen würde; sollten sie es entfernen, mussten sie so weit in die Trümmer hineintasten, wie es ging, nach Nägeln tasten, die möglicherweise hängen blieben, durften nicht daran denken, dass der ganze Berg in sich zusammenfall en und einen Arm einklemmen und zerquetschen konnte. Erst dann konnten sie mit dem Herausziehen beginnen, manchmal zu zweit, zogen immer stärker, bis das Holz plötzlich nachgab. Die Arbeit ging nur langsam voran, und die Masse ächzte gelegentlich oder verlagerte sich etwas. Wenn das geschah, schössen alle zurück, hielten den Atem an. Niemand bewegte sich, bis sie sicher waren, dass das ineinander verkantete Holz nicht zusammenbrechen würde. Die Arbeit wurde zum Mittelpunkt ihrer Welt. Einmal glaubte Faile Wolfsgeheul zu hören. Wölfe ließen sie immer an Perrin denken, aber diesmal nicht. Diesmal gab es nur die Arbeit.

Dann riss Alliandre ein verbranntes Dielenbrett frei, und alles verlagerte sich mit einem lauten Ächzen. Auf sie zu. Jeder rannte auf den hinteren Teil des Kellers zu, während die Trümmer mit einem ohrenbetäubenden Krachen in sich zusammenfielen und weitere Staubwolken emporwallten.

Als sie aufhörten zu husten und wieder sehen konnten, jedenfalls etwas, da der Staub noch immer dicht in der Luft hing, war etwa ein Viertel des Kellers mit Trümmern gefüllt. Ihre ganze Arbeit war zunichte gemacht worden, und was noch schlimmer war, die Trümmermasse beugte sich ihnen bedrohlich entgegen. Sie ächzte, sackte noch ein Stück in ihre Richtung und kam zur Ruhe. Alles daran verkündete, dass die Trümmer bei der ersten gezogenen Diele auf sie herabregnen würden. Arrela fing leise an zu weinen. Quälend lockende Lücken ließen Sonnenlicht herein und gestatteten ihnen den Blick auf die Straße und den Himmel, aber keine war groß genug, um hindurchkriechen zu können, nicht einmal für Lacile. Faile konnte das rote Tuch sehen, mit dem Galina das Haus markiert hatte. Es flatterte einen Augenblick lang im Wind.

Sie starrte das Tuch an und ergriff Maighdins Schulter.

»Ich will, dass Ihr versucht, das Tuch etwas machen zu lassen, das der Wind nicht schaffen kann.«

»Ihr wollt die Aufmerksamkeit auf uns lenken?«, sagte Alliandre heiser. »Das dürften doch wohl zuerst Shaido sein.«

»Besser, als hier unten zu verdursten«, erwiderte Faile gröber als beabsichtigt. Wenn das geschah, würde sie Perrin niemals wiedersehen. Wenn Sevanna sie in Ketten legen ließ, würde sie immerhin noch am Leben sein, und er konnte sie retten. Er würde sie retten; das wusste sie. Ihre Pflicht bestand nun darin, die Frauen, die ihr folgten, am Leben zu halten. Und wenn das Gefangenschaft bedeutete, dann sollte es eben so sein. »Maighdin?«

»Ich könnte den ganzen Tag versuchen, die Quelle zu umarmen, und es nie schaffen«, sagte die blonde Frau dumpf. Sie stand mit hängenden Schultern da, starrte ins Leere. Ihrer Miene war abzulesen, dass sie zu ihren Füßen nur einen Abgrund sah. »Wenn ich es schaffe, sie zu umarmen, kann ich fast nie etwas weben.«

Faile ließ Maighdin los und strich ihr stattdessen über das Haar. »Ich weiß, dass es schwierig ist«, sagte sie beruhigend.

»Nun, eigentlich weiß ich es nicht. Ich habe das nie getan. Aber Ihr schon. Und Ihr könnt es wieder schaffen. Unser Leben hängt von Euch ab, Maighdin. Ich kenne die Kraft, die Ihr habt. Ich habe sie immer wieder gesehen. Ihr gebt niemals auf. Ich weiß, dass Ihr es schaffen könnt, und Ihr wisst das auch.«

Maighdin richtete sich langsam auf, die Verzweiflung vers chwand aus ihrem Gesicht. Möglicherweise sah sie noch immer den Abgrund, aber wenn sie schon hineinstürzte, würde sie es ohne eine Miene zu verziehen tun. »Ich versuche es«, sagte sie.

Sie starrte eine lange Weile zu dem Tuch hoch, dann schüttelte sie deprimiert den Kopf. »Die Quelle ist da, als wäre sie die Sonne, die man aus dem Augenwinkel sieht«, flüsterte sie, »aber jedes Mal, wenn ich versuche, sie zu umarmen, ist das wie der Versuch, Rauch mit den Fingern fangen zu wollen.«

Faile zog schnell die Gafsc/iam-Gewänder aus ihrem Korb und einem anderen, und es war ihr egal, dass der Goldgürtel und der Kragen zu Boden fielen. »Setzt Euch«, sagte sie und legte die Gewänder übereinander. »Macht es Euch bequem. Ich weiß, dass Ihr es schaffen könnt, Maighdin.« Sie drückte die Dienerin nach unten, dann setzte sie sich mit überkreuzten Beinen neben sie.

»Ihr könnt es schaffen«, sagte Alliandre leise und setzte sich auf Maighdins andere Seite.

»Ja, Ihr könnt es«, flüsterte Lacile und gesellte sich zu ihnen.

»Ich weiß, dass Ihr es könnt«, sagte Arrela, als sie sich setzte. Zeit verging; Maighdin starrte das Tuch an. Faile flüsterte ihr aufmunternd zu und klammerte sich an der Hoffnung fest. Plötzlich wurde das Tuch ganz steif, als hätte es jemand straff gezogen. Ein erstauntes Lächeln erschien auf Maighdins Gesicht, als das Tuch wie ein Pendel hin und herschwang. Es pendelte sieben, acht Mal. Dann flatterte es wieder im Wind und fiel schlaff herunter.

»Das war wunderbar«, sagte Faile.

»Wunderbar«, sagte Alliandre. »Ihr werdet uns retten, Maighdin.«