Endlich stolzierte Alliandre an Kinhuin vorbei, und auch wenn sie sich nicht das Hinterteil rieb, sprach die frostige Wut auf ihrem Gesicht doch Bände. Kinhuin glitt rückwärts aus der Öffnung und stand auf, während sich Rolan aus dem gefährlichen Trümmerhaufen arbeitete.
»Meine Lady«, rief Aravine entsetzt, und Faile drehte sich um und fand die Frau mit dem unscheinbaren Gesicht auf den Pflastersteinen kniend vor, wo sie Maighdins Kopf auf den Schoß bettete. Maighdins Lider flatterten, aber sie bekam sie nie weiter als bis zur Hälfte geöffnet. Ihre Lippen bewegten sich schwach, aber es ertönte bloß ein unverständliches Gemurmel.
»Was ist passiert?«, fragte Faile und eilte zu ihnen, kniete nieder.
»Ich weiß es nicht, meine Lady. Sie trank, als wollte sie den Schlauch leeren, dann taumelte sie auf einmal. Dann brach sie einfach so zusammen.« Aravines Hände bewegten sich wie fallende Blätter.
»Sie muss sehr müde sein«, sagte Faile, glättete das Haar ihrer Dienerin und versuchte nicht darüber nachzudenken, wie sie die Frau aus dem Lager schaffen sollten, wenn sie nicht gehen konnte. Dann würden sie sie eben tragen müssen. Beim Licht, ihr war selbst leicht schwindelig. »Sie hat uns gerettet, Aravine.« Die Amadicianerin nickte ernst.
»Ich werde dich bis heute Abend an einem sicheren Ort verstecken, Faile Bashere«, sagte Rolan und schloss die letzten Schnallen seines Futteralgeschirrs. Seine braune Sho ufa war bereits um seinen Kopf geschlungen. »Dann bringe ich dich in den Wald.« Er nahm von Jhoradin drei kurze Speere entgegen, die er auf dem Rücken in das Geschirr steckte, sodass die langen Speerspitzen hinter seinem Kopf emporragten und in der Sonne funkelten.
Faile brach vor Erleichterung beinahe neben Maighdin zusammen. Sie würde nichts vor Perrin verbergen müssen. Aber sie konnte sich jetzt keine Schwächen leisten. »Unsere Ausrüstung«, fing sie an, und als wäre der Klang ihrer Stimme der letzte Strohhalm gewesen, gab das Gebäude ein schauriges Ächzen von sich und stürzte mit einem Krachen ein, das einen Augenblick lang sogar die Explosionen übertönte.
»Ich werde dafür sorgen, dass du alles hast, was du brauchst«, sagte Rolan und schob sich den schwarzen Schleier vors Gesicht. Jhoradin gab ihm noch einen Speer und seinen Rundschild, den er an seinem Gürtelmesser aufhängte, bevor er nach ihrem rechten Arm griff und sie auf die Beine zog.
»Wir müssen uns beeilen. Ich weiß nicht, mit wem wir die Speere tanzen, aber die Mera'din werden heute tanzen.«
»Aldin, tragt Ihr Maighdin?«, war alles, was sie hervorstoßen konnte, bevor Rolan sich in Bewegung setzte und sie einfach mitschleifte.
Sie schaute über die Schulter und sah Aldin sich die schlaffe Maighdin auf die Arme laden. Jhoradin hielt Lacile so fest am Arm wie Rolan sie. Die drei Bruderlosen führten eine Parade weiß gekleideter Männer und Frauen an. Und einen Jungen. Theril hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck. Sie tastete trotz Rolans großer Hand um den Arm in ihrem Ärmel herum, schloss die Finger um den Dolchgriff. Was auch immer außerhalb der Stadtmauern geschah, möglicherweise würde sie diese Klinge noch vor dem Abend brauchen.
Perrin rannte die gewundene Straße zwischen den Zelten entlang. Nichts bewegte sich in seinem Sichtfeld, aber er konnte trotz des Donnerns der explodierenden Feuerbälle und der Blitze den zusätzlichen Schlachtenlärm hören. Stahl krachte gegen Stahl. Männer brüllten, als sie töteten oder starben. Männer schrien. Von einem Schnitt auf seinem Kopf rann Blut seine linke Gesichtshälfte herunter, und er konnte es über seine rechte Seite tröpfeln spüren, wo ihn ein Speer gestreift hatte, seinen linken Oberschenkel herunterlaufen, wo ein Speer tiefer getroffen hatte. Das Blut an ihm war nicht alles seines. Im Eingang eines niedrigen, dunklen Zeltes erschien ein Gesicht und zog sich schnell wieder zurück. Ein Kindergesicht, verängstigt, nicht das erste, das er gesehen hatte. Die Shaido wurden so hart bedrängt, dass eine Menge Kinder zurückgeblieben waren. Aber das würde ein Problem für später sein. Über den Zeltspitzen konnte er die Tore kaum mehr als hundert Schritte voraus sehen. Dahinter warteten die Festung und Faile.
Zwei verschleierte Shaido schössen hinter einer schmutzig braunen Zeltwand hervor, die Speere bereit. Aber nicht für ihn. Sie blickten auf etwas zu seiner Linken. Ohne einen Schritt langsamer zu werden, rannte er in sie hinein. Beide waren größer als er, aber die Wucht seines Aufpralls riss sie alle zu Boden, und er fiel kämpfend. Sein Hammer krachte unter das Kinn des einen Mannes, während er immer wieder auf den anderen Mann einstach und die Klinge sich tief ins Fleisch grub. Der Hammer hob sich und zerschmetterte das Gesicht des ersten Mannes, verspritzte Blut, hob und senkte sich erneut, während er zugleich zustach. Der Mann mit dem zerschlagenen Gesicht zuckte einmal, während sich Perrin erhob. Der andere starrte blicklos in den Himmel.
Die Andeutung einer Bewegung im linken Augenwinkel ließ ihn sich nach rechts werfen. Ein Schwert durchteilte die Luft, wo sich eben noch sein Hals befunden hatte. Arams Schwert. Auch der ehemalige Kesselflicker hatte Wunden davongetragen. Blut beschmierte sein Gesicht wie eine seltsame Maske, sein rot gestreifter Mantel wies blutfeuchte Schnitte auf, und seine Augen sahen beinahe gläsern aus, wie die einer Leiche, aber er schien noch immer mit dieser Klinge in seinen Händen zu tanzen. Sein Geruch war der Geruch des Todes, ein Tod, den er suchte.
»Seid Ihr verrückt geworden?«, knurrte Perrin. Stahl traf auf Stahl, als er das Schwert mit dem Hammerkopf parierte.
»Was tut Ihr da?« Er blockierte einen weiteren Stich der Klinge, versuchte den anderen Mann zu packen, und sprang gerade noch schnell genug zurück, um bloß mit einem Schnitt auf den Rippen davonzukommen.
»Der Prophet hat es mir erklärt.« Aram klang wie benommen, aber sein Schwert bewegte sich mit anmutiger Leichtigkeit, Hiebe, die weder der Hammer noch das Gürtelmesser kaum abwehren konnten, während Perrin zurückwich. Er konnte bloß hoffen, nicht über ein Zeltseil zu stolpern oder gegen eine Plane zu prallen. »Deine Augen. Du bist wirklich Schattengezücht. Du warst es, der die Trollocs zu den Zwei Flüssen geholt hat. Er hat alles erklärt. Diese Augen. Ich hätte es wissen müssen, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Du und Elyas mit Schattengezüchtaugen. Ich muss Lady Faile vor dir retten.«
Perrin sammelte sich. Er konnte zehn Pfund Stahl nicht so schnell wie Aram sein Schwert bewegen, das nur ein Drittel davon wog. Irgendwie musste er nahe herankommen, an dieser Klinge vorbeikommen, die durch die Schnelligkeit ihrer Bewegungen verschwamm. Das war unmöglich zu schaffen, ohne getroffen zu werden, und zwar vermutlich schlimm, aber wenn er zu lange wartete, würde der Mann ihn töten. Etwas stieß gegen seine Ferse, und er taumelte rückwärts, wäre um ein Haar gefallen.
Aram schoss vor, das Schwert in seiner Hand fuhr herab. Da erstarrte er mitten in der Bewegung, und die Klinge fiel ihm aus den Händen. Er stürzte vornüber aufs Gesicht, zwei Pfeile ragten aus seinem Rücken. Dreißig Schritte entfernt hatten zwei verschleierte Shaido bereits neue Pfeile eingespannt und die Sehnen durchgezogen. Perrin sprang zur Seite, hinter ein grünes Spitzzelt, rollte sich ab und kam wieder auf die Füße. Ein Pfeil hatte die Zeltecke durchbohrt und zitterte noch. Geduckt suchte er sich seinen Weg an dem grünen Zelt vorbei und dann an einem verblichenen blauen, vorbei an einem niedrigen, schäbigen braunen, den Hammer in der einen, das Gürtelmesser in der anderen Hand. Das war heute nicht das erste Mal, dass er dieses Spiel spielte. Vorsichtig spähte er um die Ecke des braunen Zelts. Die beiden Shaido waren nirgendwo zu sehen. Möglicherweise schlichen sie ihm nach oder jagten bereits jemand anderen. Er konnte Aram sehen, der da lag, wo er gestürzt war. Der Hauch einer Brise zerzauste die dunkle Befiederung der Pfeile, die aus seinem Rücken ragten. Elyas hatte Recht behalten. Er hätte Aram niemals dieses Schwert ergreifen lassen dürfen. Er hätte ihn mit den Karren wegschicken sollen oder ihn dazu bringen müssen, zu den Kesselflickern zurückzukehren. Er hätte so viele Dinge tun müssen. Jetzt war es dafür zu spät.