Das Wagenbett ächzte, als jemand einstieg. Birgitte. Der Bund übertrug kurz aufblitzende Freude. In wenigen Augenblicken fielen die Fesseln ab, und Birgittes Hände kümmerten sich um den Knoten des Knebels. Mit etwas steifen Bewegungen nahm Elayne die Augenbinde selbst ab. Beim Licht, sie würde üble Schmerzen erleiden, bis sie um eine Heilung bitten konnte. Das erinnerte sie daran, dass sie die Windsucherinnen würde fragen müssen, und wieder stieg die Trauer wegen Vandene und Sareitha in ihr auf.
Sobald sie den Knebel ausspucken konnte, wollte sie um Wasser bitten, um den öligen Geschmack herunterzuspülen, aber stattdessen sagte sie: »Was hat dich aufgehalten?« Ihr Gelächter über die Verblüffung ihrer Freundin wurde von einem weiteren Niesen unterbrochen. »Lass uns hier verschwinden, Birgitte. Die Kusinen?«
»Windsucherinnen«, antwortete Birgitte und schlug die Plane am hinteren Teil des Wagens zur Seite. »Chanelle entschied, Zaida lieber nicht zu beichten, dass sie für das Scheitern des Handels verantwortlich ist.«
Elayne schnaubte verächtlich, was ein Fehler war. Sie nieste mehrmals und stieg so schnell aus dem Wagen, wie sie konnte. Ihre Beine waren so steif wie ihre Arme. Sollte man sie doch zu Asche verbrennen, aber sie sehnte sich nach einem heißen Bad. Und einer Haarbürste. Birgittes roter Mantel mit dem weißen Kragen sah irgendwie zerknittert aus, aber Elayne vermutete, dass ihre Behüterin im Gegensatz zu ihr wie frisch aus dem Ankleidezimmer erschien.
Als ihre Füße den Boden berührten, jubelten die beritten en Gardisten laut auf, die den Wagen in einem breiten Ring umgaben, und schwenkten die Lanzen. Auch die Gardistinnen schrien, und anscheinend war jede Einzelne von ihnen anwesend. Zwei der Männer trugen Andors Weißen Löwen und ihre Goldene Lilie. Das ließ sie lächeln. Die Königliche Garde leistete den Schwur, Andor zu verteidigen, genau wie die Königin und die Tochter-Erbin, aber es musste Charlz Guybons Entscheidung gewesen sein, ihr persönliches Banner zu tragen. Er saß auf einem großen Braunen und hatte den Helm über den Sattelknauf gestülpt, und er verneigte sich vor ihr, ein breites Lächeln auf den Lippen. Der Mann war erfreulich anzusehen. Vielleicht würde er einen guten dritten Behüter abgeben. Jenseits der Gardisten erhoben sich Hausbanner und die Banner der Söldnerkompanien, eines nach dem anderen. Beim Licht, wie viele Männer hatte Birgitte mitgebracht? Aber die Frage konnte später beantwortet werden. Zuerst wollte Elayne ihre Gefangenen sehen.
Asne lag mit ausgebreiteten Gliedmaßen auf der Straße und starrte mit leerem Blick in den Himmel; die Abschirmung bei ihr war unnötig. Die anderen lagen genauso still da, mit Strömen aus Luft gefesselt, die ihre Arme an die Seiten banden und die abgenähten Reitröcke gegen die Beine pressten. Eine viel bequemere Position, als ihre es gewesen war. Die meisten erschienen erstaunlich beherrscht, wenn man ihre Situation bedachte, obwohl Temaile sie böse anstarrte und Falion kurz davor stand, sich zu übergeben. Shiaines schlammverschmiertes Gesicht hätte jede Aes Sedai stolz gemacht. Die drei mit Luft gefesselten Männer waren alles andere als beherrscht. Sie wanden sich und kämpften, starrten die sie umgebenden Reiter an, als hätten sie sie am liebsten alle angegriffen. Das reichte, um sie als Asnes Behüter zu identifizieren, wenn auch nicht unbedingt als Schattenfreunde. Ob sie das nun waren oder nicht, man würde sie trotzdem einsperren müssen, um andere vor der Todesraserei zu beschützen, in die Asnes Tod sie gestürzt hatte. Sie würden alles tun, um die ihrer Ansicht nach Verantwortlichen töten zu können.
»Wie haben sie uns gefunden?«, verlangte Chesmal zu wissen. Hätte sie nicht mit dreckigem Gesicht auf der Straße gelegen, hätte sie niemand für eine Gefangene gehalten.
»Meine Behüterin«, sagte Elayne und lächelte Birgitte an.
»Sie ist eine von ihnen.«
»Eine Frau als Behüter?«, sagte Chesmal verächtlich. Marillin erbebte kurz vor lautlosem Gelächter in ihren Fess ein. »Ich hatte es gehört«, sagte sie, als sie sich wieder beruhigt hatte, »aber es erschien zu unglaublich, um wahr zu sein.«
»Ihr habt es gehört und nie erwähnt?«, sagte Temaile und verrenkte sich, um jetzt Marillin böse anzustarren. »Blöde Närrin!«
»Ihr vergesst Euch«, sagte Marillin scharf, und im nächsten Augenblick stritten sie sich darum, ob Temaile sich ihr zu unterwerfen hatte oder nicht! Eigentlich hätte Temaile es tun müssen — Elayne konnte jeweils ihre Stärke in der Macht spüren —, aber es schien kaum das Thema zu sein, über das sie jetzt diskutieren mussten!
»Jemand soll diese Frauen knebeln«, befahl Elayne. Caseille stieg vom Pferd, überreichte ihre Zügel einer anderen Gardistin, kam heran und fing an, mit dem Dolch Stoffstreifen aus Temailes Röcken zu schneiden. »Schafft sie in den Wagen, und schneidet das tote Pferd ab. Ich will wieder hinter den Stadtmauern sein, bevor Arymillas Leute jenseits des Hügels in Versuchung geraten.« Eine Schlacht war jetzt das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Wie auch immer sie ausgehen würde, Arymilla konnte es sich leisten, mehr Männer als sie zu verlieren. »Wo sind die Windsucherinnen?«
»Noch immer auf dem Hügel. Meiner Meinung nach glauben sie, abstreiten zu können, an der Sache teilgenommen zu haben, wenn sie sich von dem Gemetzel fernhalten. Aber du musst dir keine Sorgen machen, hier angegriffen zu werden. Die Lager hinter dem Hügel sind verlassen.« Caseille warf sich Temaile über die Schulter und stolperte zum Wagen, um sie dort wie einen Hafersack hineinzuwerfen. Gardistinnen kümmerten sich um die anderen Frauen. Die sich windenden Behüter überließen sie klugerweise den Gardisten. Man benötigte zwei, um einen zu bändigen. Zwei Männer schirrten den Pferdekadaver ab.
»Ich habe nur Pferdeknechte und dergleichen gesehen«, warf Charlz ein.
»Ich glaube, alle ihre Lager sind leer«, fuhr Birgitte fort.
»Sie hat heute Morgen die Nordmauer massiv angegriffen, um so viele unserer Männer wie möglich zu beschäftigen, und sie hat zwanzigtausend weitere oder mehr in Niedercaemlyn unterhalb vom Far-Madding-Tor versammelt. Ein paar der Söldner haben den Herrn gewechselt und es von innen angegriffen, aber ich habe Dyelin mit allem losgeschickt, was ich entbehren konnte. Sobald du wieder sicher hinter den Mauern bist, werde ich ihr mit dem Rest zu Hilfe kommen. Und um die guten Nachrichten zu vervollständigen, Luan und der Rest dieses Haufens reiten nach Norden. Sie könnten heute Nachmittag hier sein.«
Elayne stockte der Atem. Um Luan und die anderen würde man sich kümmern müssen, wenn sie auftauchten, aber das andere… ! »Erinnerst du dich an Frau Harfors Bericht, Birgitte? Arymilla und die anderen wollten bei der ersten Gruppe sein, die in Caemlyn einreitet. Sie müssen auch vor dem Far-Madding-Tor sein. Wie viele Männer hast du hier?«
»Wie sieht die Verlustrechnung aus, Guybon?«, fragte Birgitte und musterte Elayne misstrauisch. Auch der Bund vermittelte Misstrauen. Großes Misstrauen.
»Ich habe die genaue Zählung noch nicht, meine Lady. Einige der Leichen . ..« Charlz zog eine Grimasse. »Ich würde sagen, es sind fünf oder sechshundert Tote, vielleicht auch mehr. Doppelt so viele Verwundete. Die übelsten paar Minuten, die ich je gesehen habe.«
»Sagen wir zehntausend, Elayne«, sagte Birgitte, und der dicke Zopf schwankte, als sie den Kopf schüttelte. Sie schob die Daumen hinter den Gürtel, und Entschlossenheit füllte den Bund. »Arymilla muss mindestens doppelt so viele vor dem Far-Madding-Tor haben, vielleicht dreimal so viele, wenn sie wirklich die Lager geräumt hat. Wenn du glaubst, was ich glaube, dass du glaubst… Ich habe Dyelin befohlen, das Tor zurückzuerobern, falls es gefallen sein sollte, aber es ist viel wahrscheinlicher, dass sie in der Stadt gegen Arymilla kämpft. Falls das Tor durch ein Wunder halten sollte, rechnest du besser damit, dass es zwei zu eins gegen uns steht.«