Dann erschienen zwei Gardisten mit einer Frau in schlicht em Blau, die kaum älter als Elayne sein konnte, eine Frau, die sie zu erkennen glaubte. Allem Anschein nach bestand ihr einziger Schmuck aus einer Emaillebrosche, auf der ein roter Stern und ein silbernes Schwert auf schwarzem Grund funkelten. Aber warum brachte man Sylvase Caeren zu ihr? Die hübsche Frau mit den lebhaften blauen Augen, deren Blick fest auf Elaynes Gesicht haftete, war Lord Nasins Erbin und nicht die Hohe Herrin von Caeren.
»Caeren steht für Trakand«, sagte Sylvase schockierenderw eise, sobald sie ihr Pferd zügelte. Der Bund spiegelte Elaynes Überraschung wider. Arymilla starrte Sylvase an, als hätte sie den Verstand verloren. »Mein Großvater hatte einen Schlaganfall, Arymilla«, sagte die junge Frau ruhig, »und meine Cousins haben sich überschlagen, mich als Hohe Herrin zu bestätigen. Ich werde es vor aller Augen schriftlich niederlegen, Elayne, falls Ihr es wünscht.«
»Das wäre vermutlich das Beste«, sagte Elayne langsam. Die öffentliche Unterschrift würde ihre Unterstützung unwiderruflich machen. Es würde nicht das erste Mal sein, dass ein Haus die Seiten gewechselt hatte, selbst ohne den Tod des Hohen Herrn, aber es war besser, in diesem Fall sicherzugehen. »Trakand heißt Caeren erfreut willkommen, Sylvase.« Es war auch besser, nicht zu distanziert zu sein. Sie wusste nicht viel über Sylvase Caeren.
Sylvase nickte und akzeptierte es. Also hatte sie wenigst ens einen Funken Intelligenz. Ihr war klar, dass man ihr nicht völlig vertrauen würde, bis sie ihre Loyalität demonstriert hatte, indem sie ihre Unterstützung öffentlich verkündete. »Wenn Ihr mir ein wenig Vertrauen entgegenbringt, darf ich die Obhut über Arymilla, Naean und Elenia übernehmen? Natürlich im Königlichen Palast oder wo auch immer Ihr mich sonst unterbringen werdet. Ich glaube, mein neuer Sekretär Meister Lounalt könnte sie davon überzeugen, Euch zu unterstützen.«
Aus irgendeinem Grund stieß Naean einen lauten Schrei aus und wäre aus dem Sattel gefallen, hätte ein Gardist sie nicht am Arm gepackt und sie gestützt. Arymilla und Elenia sahen beide aus, als müssten sie sich gleich übergeben.
»Ich glaube nicht«, sagte Elayne. Keine vorgeschlagene Unterhaltung mit einem Sekretär rief eine solche Reaktion hervor. Anscheinend hatte Sylvase einen stahlharten Kern.
»Naean und Elenia haben ihre Unterstützung für Arymilla bekundet. Sie werden sich wohl kaum selbst vernichten, indem sie sie wiederrufen.« Das würde sie wirklich vernichten. Die ihnen verschworenen kleineren Häuser würden abfallen, bis ihre eigenen Häuser in Vergessenheit geraten waren. Außerdem, wenn sie verkündeten, dass sie jetzt für Trakand standen, würden sie möglicherweise nicht in ihren Positionen als Hohe Herrinnen überleben. Und was Arymilla anging… Elayne würde nicht zulassen, dass Arymilla jetzt ihr Lied änderte. Sie würde die Unterstützung dieser Frau selbst dann ablehnen, wenn sie ihr angeboten würde!
Etwas Grimmiges trat in Sylvases Blick, als sie die drei Frauen betrachtete. »Möglicherweise schon, mit der richtigen Überredung.« O ja, ein sehr harter Kern. »Aber wie Ihr wünscht, Elayne. Doch nehmt Euch vor ihnen in Acht. Verrat liegt ihnen im Blut und in den Knochen.«
»Baryn steht für Trakand«, verkündete Lir plötzlich.
»Auch ich werde es öffentlich niederlegen.«
»Anshar steht für Trakand«, sagte Karind entschlossen.
»Ich werde die Proklamation noch heute aufsetzen lassen.«
»Verräter!«, schrie Arymilla. »Ihr seid tot!« Sie fummelte an ihrem Gürtel herum, wo die juwelenbesetzte leere Dolchscheide baumelte, als wollte sie die Sache selbst erledigen. Elenia fing an zu lachen, aber sie klang nicht amüsiert. Eigentlich klang es wie ein Schluchzen.
Elayne holte tief Luft. Jetzt hatte sie neun der zehn Häus er, die sie brauchte. Sie gab sich keinen Illusionen hin. Welche Gründe auch immer Sylvase bewegten, Lir und Karind versuchten zu retten, was zu retten war, indem sie sich von einer verlorenen Sache lossagten und sich dem Haus anschlossen, das plötzlich aufzusteigen schien. Sie würden von ihr erwarten, eine Vorzugsbehandlung zu bekommen, weil sie sie vor ihrer Thronbesteigung unterstützt hatten, während sie gleichzeitig vergaß, dass sie je Arymilla unterstützt hatten. Sie würde keines von beiden tun. Aber sie konnte sie auch nicht so einfach ablehnen. »Trakand heißt Baryn willkommen.« Aber nicht erfreut. Das niemals. »Trakand heißt Anshar willkommen. Hauptmann Guybon, bringt die Gefangenen so schnell in die Stadt, wie Ihr könnt. Waffenmänner von Caeren, Baryn und Anshar erhalten ihre Waffen und die Ausrüstung zurück, sobald die Proklamationen verschickt wurden, aber sie können ihre Banner jetzt sofort zurückhaben.« Er salutierte und zog den Braunen herum, rief bereits Befehle.
Als Elayne die graue Stute in Richtung Dyelin in Beweg ung setzte, die gefolgt von Catalyn und den drei jungen Narren in ihren vergoldeten Rüstungen aus einer Seitenstraße kam, schlossen sich Sylvase, Lir und Karind ihr hinter Birgitte an. Sie verspürte kein Unbehagen, sie im Rücken zu haben, nicht mit hundert Gardistinnen um sie herum. Bis zu diesen Proklamationen würde man sie genau im Auge behalten. Sylvase eingeschlossen. Elayne dachte bereits an die Zukunft.
»Du bist schrecklich still«, sagte Birgitte leise. »Du hast gerade einen großen Sieg davongetragen.«
»Und in ein paar Stunden«, erwiderte sie, »werde ich erfahren, ob ich noch einen erringen muss.«
34
Eine Tasse Kaf
Furyk Karede drückte die Faust in dem Panzerhandschuh ans Herz, erwiderte den Salut des Wachtpostens und ignorierte die Tatsache, dass der Mann ausspuckte, als er an ihm vorbeiritt. Er hoffte, dass die achtzig Männer und einundzwanzig Ogier hinter ihm es ebenfalls ignorierten. Sie taten es besser, wenn sie wussten, was gut für sie war. Er wollte hier Informationen erhalten, und jedes Blutvergießen würde das nur schwerer machen. Seit sein Leibdiener Ajimbura wegen einer angeblichen Beleidigung seines Herrn einem Standartenträger sein Messer ins Herz gerammt hatte — es hatte sich um eine echte Beleidigung gehandelt, aber Ajimbura hätte sein Temperament genauso zügeln müssen, wie er es auch tat —, hatte er den drahtigen kleinen Bergnomaden im Wald bei den Sul’dam und Damane und einigen der Totenwächter bei der Bewachung der Lasttiere zurückgelassen, wann immer er ein Lager betrat. Er hatte einen langen Weg von Ebou Dar zurückgelegt und den Wind gejagt, war beinahe vier Wochen hinter Gerüchten hergehetzt, bis ihn die Hinweise hier in dieses Lager im östlichen Zentral-A ltara gebracht hatte.
Die ordentlichen Reihen heller Zelte und Pferdeleinen standen in einer Waldlichtung, die groß genug für landende Raken gewesen wäre, aber es gab keine Anzeichen von Raken oder Fliegern, keine Bodenmannschaft mit ihren Wagen und Rafcenbetreuern. Aber er hatte schon seit längerem keinen Raken mehr am Himmel gesehen. Angeblich hatte man sie alle nach Westen geschickt. Den Grund dafür kannte er nicht, und er war ihm auch egal. Die Hochlady war sein Ziel und seine ganze Welt. Ein hoher, schmaler Nachrichtenpfosten warf seinen langen Schatten in der frühen Morgensonne, also musste es hier irgendwo Raken geben. Seiner Einschätzung nach umfasste das Lager eintausend Männer, die Hufschmiede und Köche und dergleichen nicht mit eingerechnet. Interessanterweise trug jeder Soldat, den er sehen konnte, die vertraute Rüstung der Heimat und nicht diese zweiteiligen Harnische und Helme mit Visierstangen. Normalerweise verstärkte man die Streitkräfte mit Männern von dieser Seite des Ozeans. Es war auch bemerkenswert, dass sie alle die Rüstungen trugen. Nur selten ließ ein Kommandant seine Soldaten die Rüstungen tragen, solange er nicht bald mit einem Einsatz rechnete. Den Gerüchten nach zu urteilen, die er aufgeschnappt hatte, konnte das hier der Fall sein.