»Ich habe kein Recht, auf diesem Thron zu sitzen, Ellorien«, erwiderte sie ruhig. Beim Licht, hoffentlich spielten ihre Stimmungen jetzt nicht wieder verrückt. »Noch nicht.« Das hatte einen ungewollten Biss. Vielleicht war sie doch nicht so ruhig, wie sie es wünschte.
Ellorien lächelte hämisch. »Wenn Ihr darauf wartet, dass Danine Eure Zehn voll macht, dann könnt Ihr lange warten. Danine hat die letzte Thronfolge damit verbracht, ihre Herrenhäuser zu besuchen. Sie hat sich nie für jemanden erklärt.«
Elayne lächelte, aber es fiel schwer. Eine Thronfolge war, wenn ein Haus ein anderes auf dem Thron ablöste. »Ich nehme Tee.«
Ellorien blinzelte, aber es veranlasste die anderen, ihre Wünsche anzumelden. Nur Elayne, Birgitte, Branlet und Perival nahmen Tee. Jeder roch an seinem Gefäß, ob es silberne Weinbecher oder Porzellantassen waren, bevor er einen Schluck nahm. Elayne fühlte sich nicht beleidigt. Essen und Wein konnte in der Küche völlig in Ordnung sein und verdorben, wenn es auf den Tisch kam. Man konnte nicht vorhersehen, wann und ob etwas verdarb. Der Tee wies einen feinen Nachgeschmack von Ingwer auf, aber das reichte nicht aus, um den Geschmack eines guten, tremalkingschen Schwarzen zu übertönen.
»Wie ich sehe, habt Ihr Euch Eure Unterstützung größt enteils unter den Kindern und Arymillas Hinterlassenschaft geholt«, sagte Ellorien. Catalyn wurde so rot wie ihr Kleid, und Branlet nahm wütend die Schultern zurück, bis Perival ihm eine Hand auf den Arm legte und den Kopf schüttelte. Ein vernünftiger Junge, dieser Perival, und klüger, als sein Alter vermuten ließ. Lir schaffte es diesmal, sich zu beherrschen, aber Conail setzte zu einer scharfen Erwiderung an, bevor Elaynes strenger Blick ihn den Mund zuschnappen ließ. Karind erwiderte Elloriens gehässigen Blick stoisch. Karind war nicht besonders intelligent, aber sie brachte nur wenig aus der Ruhe.
»Ihr müsst einen Grund gehabt haben, um dieses Treffen zu bitten«, sagte Elayne. »Wenn es bloß darum ging, Beleidigungen auszutauschen…« Sie beendete den Satz nicht. Sie hatte ihre eigenen Gründe, dieses Treffen zu wünschen. Hätten sie sie gebeten, zu ihnen zu kommen, hätte sie es getan. Ohne um sicheres Geleit zu bitten. Sie fühlte Wut im Bund pulsieren und brachte die ihre fest unter Kontrolle. Birgitte sah Ellorien finster an. Wenn sie anfingen, sich gegenseitig aufzustacheln… Daran durfte sie gar nicht denken, nicht hier, nicht jetzt.
Ellorien öffnete erneut den Mund, und diesmal kam Luan ihr zuvor. »Wir sind gekommen, um einen Waffenstillstand zu erbitten, Elayne.« Ein Blitz zuckte auf und erhellte die nördlichen Fenster und die in der Decke, aber die Dauer bis zum Donner verriet, dass er ein ganzes Stück entfernt eingeschlagen war.
»Ein Waffenstillstand? Befinden wir uns im Krieg, Luan?
Hat jemand Anspruch auf den Thron erhoben, von dem ich nichts weiß?« Sechs Augenpaare richteten sich auf Dyelin, die bloß grunzten »Narren. Ich habe es euch immer wieder gesagt, und ihr wolltet mir nicht glauben. Als Sylvase, Karind und Lir die Proklamationen ihrer Unterstützung schickten, habe ich meine eigene losgeschickt. Taravin steht für Trakand, und das wird bald ganz Andor wissen.«
Ellorien errötete wütend und schaffte es, selbst das kalt aussehen zu lassen. Aemlyn nahm einen großen Schluck und sah nachdenklich aus. Arathelle zeigte einen Funken Enttäuschung, bevor ihre Miene wieder eine fast so harte Maske wie bei Ellorien wurde.
»Das ist ja schön und gut«, sagte Luan, »wir wollen trotzd em .. . wenn nicht einen Waffenstillstand, dann eine zeitweilige Übereinkunft.« Er trank einen kleinen Schluck Wein und schüttelte traurig den Kopf. »Selbst wenn wir alles sammeln, was wir haben, dürfte es uns schwerfallen, die Grenzländer zu besiegen, aber wenn wir nicht gemeinsam handeln, dann werden sie Andor unter sich aufteilen, sobald sie losschlagen. Ehrlich gesagt überrascht es mich, dass sie so lange an einem Ort geblieben sind. Selbst nach einem Tausend-Meilen-Marsch müssten ihre Männer nun ausgeruht sein.« Blitze erhellten die Südfenster, und der Donner krachte so laut, dass es den Anschein hatte, die Scheiben würden erzittern. Der war sehr nahe gewesen.
»Ich hätte selbst erwartet, dass sie mittlerweile in Murandy sind«, sagte Elayne. »Aber ich glaube, sie sitzen noch an dem einen Ort, weil sie Angst haben, einen Krieg auszulösen, sollt en sie Caemlyn zu nahe kommen. Sie scheinen zu versuchen, einen Weg nach Murandy über Landstraßen zu finden. Ihr wisst, in welchem Zustand die zu dieser Jahreszeit sind. Sie wollen keinen Krieg mit uns. Als ich ihnen die Erlaubnis gab, Andor zu durchqueren, haben sie mir gesagt, dass sie auf der Suche nach dem Wiedergeborenen Drachen sind.«
Ellorien stotterte; Eisstücke hätten aus ihrem Mund komm en müssen. »Als Ihr wast Ihr gebt damit an, dass Ihr kein Recht habt, auf dem Thron zu sitzen, jedenfalls noch nicht, und dann maßt Ihr Euch das Recht an…!«
»Das einer Aes Sedai, Ellorien.« Elayne hielt die rechte Hand hoch, damit sie den Großen Schlangenring an ihrem dritten Finger nicht übersehen konnten. Ihre Stimme klang trotz ihrer ganzen Bemühungen frostig. »Ich habe nicht als Tochter-Erbin gesprochen, nicht einmal als Hohe Herrin von Haus Trakand. Ich habe als Elayne Aes Sedai der Grünen Ajah gesprochen. Hätte ich das nicht getan, wären sie trotzdem gekommen. Ihnen mangelte es an Proviant und Futter. Hätte ich versucht, sie aufzuhalten, hätte irgendjemand versucht, sie aufzuhalten, dann hätte es Krieg gegeben. Sie sind entschlossen, den Wiedergeborenen Drachen zu finden. Es wäre ein Krieg gewesen, den Andor kaum hätte gewinnen können. Ihr sprecht davon, gemeinsam zu handeln, Luan? Sammelt ganz Andors Kräfte, und wir könnten fast ihrer Zahl entsprechen, aber zwei von drei unserer Männer würden Männer sein, die zwar mit einem Speer oder einer Hellbarde umgehen könnten, die aber die meisten ihrer Tage hinter einem Pflug verbringen. Jeder ihrer Männer ist ein lang gedienter Waffenmann, den es nicht überraschen würde, jeden Tag seines Lebens Trollocs entgegenzutreten. Statt einen Krieg zu führen, der Andor in Blut tränken und es für eine Generation verkrüppeln würde, durchqueren die Grenzländer unsere Nation friedlich. Ich habe sie beobachten lassen. Sie bezahlen für die Nahrungsmittel und das Futter, das sie brauchen, und sie zahlen gut.« Zu einem anderen Zeitpunkt und bei anderen Zuhörern hätte sie darüber gelacht. Andoranische Bauern würden versuchen, dem Dunklen König hohe Preise abzupressen. »Das Schlimmste, was sie getan haben, ist ein paar Pferdediebe auszupeitschen, und auch wenn sie sie dem Magistrat hätten übergeben sollen, kann ich es ihnen doch nicht zum Vorwurf machen. Und jetzt verratet mir, Ellorien: Was hättet Ihr anders gemacht, und wie?«
Ellorien blinzelte, mit eisiger Griesgrämigkeit, dann schnaubte sie verächtlich und trank von ihrem Wein.
»Und was plant Ihr für die Schwarze Burg?«, fragte Abelle leise. »Ich .. . ich vermute, Ihr habt auch für sie einen Plan?« Glaubte er, sie hätte andere Gründe gehabt, die Grenzländer Andor durchqueren zu lassen? Konnte er ruhig, solange er es nicht zur Sprache brachte. Solange er schwieg, schienen ihre Motive nur zu Andors Bestem zu sein. Das war Heuchelei, keine Frage, aber es war auch realistisch. Sie hatte die Wahrheit gesagt, was ihre anderen Beweggründe anging, aber hätte man das laut ausgesprochen, hätte sie das viel kosten können. Sie brauchte noch immer ein Haus, und es sah so aus, als müsste es Candraed sein, aber Danine würde sich nie bewegen, wenn sie glaubte, Elayne wollte sie dazu zwingen.
»Nichts«, sagte sie zu ihm. »Ich schicke regelmäßig Gard isten, die das Gelände der Schwarzen Burg abreiten und sie daran erinnern, dass sie Andor und seinen Gesetzen unterworfen sind, aber davon abgesehen kann ich nicht mehr tun, als wenn die Weiße Burg irgendwie nach Caemlyn versetzt werden würde.« Sie starrten sie einen langen Augenblick an.
»Pendar steht für Trakand«, sagte Abelle plötzlich, und dann sagte Luan: »Norwelyn steht für Trakand.« Blitze zuckten über den Himmel, erhellten die bunten Fenster in der Decke.