»Erste Reihe!«, rief Mandevwin, als die Reiter vierhund ert Schritte weit weg waren. »Feuer!« Etwa tausend Bolzen flogen, dunkle Streifen in der Luft. Augenblicklich beugte sich die erste Reihe, um die Winden an den Armbrüsten zu befestigen, und die zweite Reihe hob die Waffen. »Zweite Reihe!«, rief Mandevwin. »Feuer!« Noch einmal flogen tausend Bolzen den herankommenden Reitern entgegen.
Auf diese Entfernung konnten sie keinen Brustharnisch durchschlagen, trotz ihrer Spitzen, die dazu konstruiert waren, aber Männer mit gebrochenen Beinen stürzten aus den Sätteln, und Männer mit zerfetzten Armen zügelten hektisch die Pferde, um den Blutstrom zu stillen. Und die Pferde… Ach, beim Licht, die armen Pferde. Pferde stürzten zu Hunderten, manche um sich tretend und schrill wiehernd, die versuchten, sich wieder auf die Beine zu kämpfen, andere bewegten sich nicht mehr, und viele von ihnen brachten andere Pferde zu Fall. Abgeworfene Reiter rollten über den grasigen Boden, bis sie von den nachfolgenden Reitern zertrampelt wurden.
»Dritte Reihe! Feuer!«, rief Mandevwin, und sobald die Bolzen in der Luft waren, erhob sich die erste Reihe wieder.
»Erste Reihe!«, rief Mandevwin. »Feuer!« Und weitere tausend Bolzen trugen ihren Teil zum Gemetzel bei. »Zweite Reihe! Feuer!«
Natürlich war es kein so einseitiger Kampf wie bei einem Hinterhalt. Ein paar der galoppierenden Reiter hatten die Lanzen weggeworfen und die Reiterbogen aus den Futteralen gerissen. Pfeile schössen auf die Armbrustmänner zu. Von einem galoppierenden Pferd zu zielen und zu treffen war nicht leicht, und die Entfernung war zu groß, dass die Pfeile zu Anfang töten konnten, aber mehr als nur ein Mann hatte mit einem Pfeil im Arm mit seiner Armbrust zu kämpfen. Noch beschützte der Wall ihre Beine. Zu weit, um zu töten, es sei denn, das Ziel hatte das Glück verlassen. Mat sah einen Mann mit einem Pfeil im Auge fallen, ein anderer mit einem Schaft im Hals. Es gab noch weitere Lücken in den Reihen. Männer eilten nach vorn, um sie zu füllen.
»Ihr könntet jederzeit mitmachen, Joline«, sagte er.
»Dritte Reihe! Feuer!«
Die Aes Sedai schüttelte gereizt den Kopf. »Ich muss in Gefahr sein. Ich fühle mich noch nicht in Gefahr.« Teslyn nickte. Sie beobachtete den Sturmangriff, als wäre es eine Parade, und keine besonders interessante.
»Würdet Ihr Seta und mir erlauben«, fing Bethamin an, aber Joline blickte kalt über die Schulter, und die seanchanische Frau gab nach und senkte den Blick auf ihre Hände. Seta lächelte nervös, aber das Lächeln erlosch bei Jolines finsterer Miene.
»Erste Reihe! Feuer!«
Mat verdrehte die Augen und murmelte ein Gebet, das zur Hälfte ein Fluch war. Die verdammte Frau fühlte sich nicht gefährdet! Er fühlte sich, als läge sein Kopf auf dem Richtblock!
»Zweite Reihe! Feuer!«
Talmanes war jetzt in Schussweite und verkündete seine Anwesenheit mit einer Salve aus viertausend Bogen auf dreihundert Schritte, die Sättel leer fegte. Sie überbrückten die Distanz und schössen erneut. Und erneut. Die Reihen der Feinde schienen zu schwanken. Ein paar Männer rissen die Pferde herum und stürmten mit gesenkten Lanzen auf Talmanes’ Reihe zu. Andere fingen an, den Pfeilregen mit ihren Bögen zu erwidern. Die meisten ritten jedoch einfach weiter.
»Bildet das Karree!«, rief Mandevwin einen Herzschlag, bevor Mat es tun konnte. Er hoffte, dass der Mann den Befehl nicht zu spät gegeben hatte.
Aber die Bande war gut ausgebildet. Die Männer an den Flanken fielen rennend zurück, so ruhig, als würden keine Pfeile auf sie herabregnen, die auf Helme und Harnische prasselten. Und manchmal auch nicht. Männer fielen. Aber die drei Ränge verloren niemals ihre Geschlossenheit, als sie sich zu einem hohlen Kasten mit Mat als Zentrum aufstellten. Musenge und die anderen Totenwächter hatten die Schwerter gezogen, und die Ogier hoben ihre langen Äxte.
»Schleudermänner!«, rief Mandevwin. »Feuert nach Gutd ünken! Erste Reihe im Westen! Feuer!« Die Schleudermänner auf der westlichen Position hoben die Schleuderstäbe heran, dass sie die Zündschnüre aus den Zylindern zu den langsam brennenden Spänen zwischen ihren Zähnen führen konnten, und als die Salve von den Armbrüsten schoss, rissen sie die Stäbe nach hinten und dann nach vorn. Die dunklen Zylinder flogen mehr als hundert Schritte, um zwischen den heranstürmenden Reitern zu landen. Die Schleudermänner klemmten bereits neue Zylinder auf ihre Schleudern, bevor die ersten gelandet waren. Aludra hatte jede Zündschnur mit Fäden markiert, die verschiedene Brennzeiten anzeigten, und jeder Zylinder explodierte in einem Flammenball, manche auf dem Boden, andere auf der Höhe der Köpfe der Reiter. Die Explosion war nicht die eigentliche Waffe, obwohl ein Mann, der im Gesicht getroffen wurde, plötzlich keinen Kopf mehr hatte. Er blieb noch drei Schritte lang im Sattel, bevor er fiel. Nein, Aludra hatte um den Pulverkern eines jeden Zylinders eine Schicht harter Kieselsteine gepackt, und die bohrten sich tief ins Fleisch, wenn sie trafen. Kreischende Pferde stürzten zu Boden und wanden sich dort. Reiter fielen und blieben reglos liegen.
Ein Pfeil zupfte an Mats linkem Ärmel, ein anderer durchbohrte den rechten Ärmel, und nur die Befiederung verhinderte, dass es ein sauberer Durchschuss wurde, und ein dritter riss seine rechte Mantelschulter auf. Er steckte einen Finger unter das Tuch um seinen Hals und zerrte daran. Plötzlich kam ihm das verdammte Ding ausgesprochen eng vor. Vielleicht sollte er doch mal darüber nachdenken, bei solchen Gelegenheiten eine Rüstung zu tragen. Die feindlichen Reihen schlossen sich und bereiteten sich darauf vor, die Armbrustmänner hinter dem Wall in die Zange zu nehmen. Talmanes’ Männer beschossen sie noch immer von hinten mit Pfeilen, aber mehrere hundert Männer waren gezwungen, die Bogen fallen zu lassen, um sich mit ihren Schwertern zu verteidigen, und es war unwahrscheinlich, dass alle Pferde mit leeren Sätteln dort draußen Tarabonern oder Amadicianern gehört hatten. Er hatte in der Mitte der Reihe eine Lücke gelassen, einen Pfad für jeden, der die Flucht ergreifen wollte, aber bis jetzt hatte noch keiner das Angebot angenommen. Sie konnten diese hunderttausend Goldkronen riechen.
»Ich glaube«, sagte Joline langsam, »ja, jetzt fühle ich mich in Gefahr.« Teslyn nahm einfach die Hand zurück und warf einen Feuerball größer als ein Pferdekopf. Die Explosion schleuderte Erde und Teile von Männern und Tieren durch die Luft. Es war auch verdammt noch mal Zeit!
Die Aes Sedai teilten sich in drei Richtungen auf und fingen an, so schnell sie konnten, Feuerbälle zu schleudern, aber die Vernichtung, die sie anrichteten, half nicht, den Angriff zu verlangsamen. Die Männer hätten mittlerweile sehen müssen, dass sich in dem Karree keine Frau mit Tuons Beschreibung befand, aber zweifellos stand mittlerweile ihr Blut in Flammen, und sie hatten den Geruch von Reichtum in der Nase. Mit hunderttausend Goldkronen konnte ein Mann für den Rest seines Lebens wie ein Adliger leben. Das Karree war eingekreist, und sie kämpften darum, näher zu kommen, kämpften und starben, als Bolzensalven auf sie herabregneten und Schleudermänner sie töteten. Ein neuer Wall türmte sich auf, einer aus toten und sterbenden Männern und Pferden, ein Wall, den einige überwinden wollten und sich dabei dazugesellten. Andere rutschten aus den Sätteln und versuchten darüber hinwegzuklettern. Armbrustbolzen warfen sie zurück. Aus dieser Nähe durchdrangen Bolzen Harnische wie heiße Messer, die in Butter stachen. Sie kamen und starben.
Die Stille schien ganz plötzlich einzutreten. Keine richtige Stille. Die Luft war vom Keuchen der Männer erfüllt, die die Winden so schnell bedient hatten, wie sie nur konnten. Und da war das Stöhnen der Verwundeten. Irgendwo wieherte ein Pferd. Aber Mat konnte zwischen dem Totenwall und Talmanes niemanden mehr auf den Füßen sehen, niemand saß mehr im Sattel außer Männer mit grünen Helmen und Harnischen. Männer, die Bögen und Schwerter gesenkt hatten. Die Aes Sedai falteten die Hände auf den hohen Sattelknäufen. Auch sie atmeten schwer.