»Es ist vollbracht, Mat!«, ertönte Talmanes’ Ruf. »Jene, die nicht tot sind, sterben. Nicht einer der Narren hat vers ucht zu entkommen.«
Mat schüttelte den Kopf. Er hatte damit gerechnet, dass sie vor Goldgier halb verrückt geworden waren. Aber sie hatten völlig den Verstand verloren.
Es würde nötig sein, tote Männer und Pferde wegzuschleifen, damit Mat und die anderen hier rauskamen, und Talmanes schickte die Männer an die Arbeit, befestigte Seile an Pferden, um sie wegzuschleifen. Darüber wollte niemand hinwegsteigen. Niemand bis auf die Ogier.
»Ich will sehen, ob ich den Verräter finden kann«, sagte Hartha, und er und die anderen sechs Gärtner schulterten die Äxte und stiegen über die Leichen, als wären sie Erde.
»Nun, wenigstens haben wir das geregelt«, sagte Joline und tupfte das Gesicht mit einem spitzenbesetzten Taschentuch ab. Ihre Stirn war schweißbedeckt. »Ihr schuldet uns etwas, Mat.
Aes Sedai mischen sich grundsätzlich nicht in Privatkriege ein. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen, wie Ihr sie bezahlt.« Mat hatte eine ziemliche genaue Vorstellung, was sie sich einfallen lassen würde. Sie musste verrückt sein, wenn sie glaubte, dass er darin einwilligen würde.
»Armbrüste haben das geregelt, Marath’damane«, sagte Musenge. Er hatte Helm, Harnisch und Mantel abgelegt, sodass einer der Wächter einen Verband anlegen konnte, wo ein Pfeil eingedrungen war. Der Ärmel war sauber abgetrennt, als wäre die Naht schwach gewesen. Er hatte einen Raben auf die Schulter tätowiert. »Armbrüste und Männer mit Mut. Ihr hattet nie mehr zur Verfügung, oder, Euer Hoheit?« Das war keine Frage. »Nur diese und welche Verluste auch immer Ihr erlitten habt.«
»Ich habe es Euch gesagt«, entgegnete Mat. »Ich hatte genug.« Er würde dem Mann nicht mehr enthüllen, als unbedingt nötig war, aber Musenge nickte, als hätte er alles bestätigt.
Als man eine Öffnung geschaffen hatte, damit Mat und die anderen hindurchreiten konnten, waren Hartha und die Gärtner zurückgekehrt. »Ich habe den Verräter gefunden«, sagte Hartha und hielt einen abgetrennten Kopf an den Haaren hoch.
Beim Anblick des schwarzen, hakennasigen Gesichts schössen Musenges Brauen in die Höhe. »Sie wird sehr interessiert sein, das zu sehen«, sagte er leise. So leise, wie ein aus der Scheide gezogenes Schwert leise war. »Wir müssen ihn ihr bringen.«
»Ihr kennt ihn?«, fragte Mat.
»Wir kennen ihn, Euer Hoheit.« Musenges Miene, die plötzlich wie aus Stein gemeißelt schien, verriet, dass er nicht mehr zu dem Thema sagen würde.
»Hört mal, könntet Ihr nicht aufhören, mich so zu nennen? Mein Name ist Mat. Und nach dem heutigen Tag habt Ihr ein Recht, ihn zu benutzen.« Mat überraschte sich selbst, indem er die Hand ausstreckte.
Die steinerne Maske wich Erstaunen. »Das könnte ich unmöglich tun, Euer Hoheit«, sagte Musenge entsetzt. »Als sie Euch geheiratet hat, seid Ihr der Prinz der Raben geworden. Euren Namen auszusprechen würde meinen Blick für immer senken.«
Mat nahm den Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er hatte jedem gesagt, der zuhören wollte, dass er keine Adligen mochte und auch keiner sein wollte, und er hatte es auch so gemeint. Er meinte es noch immer. Und jetzt war er verdammt noch mal selber einer! Er tat das Einzige, was er tun konnte. Er lachte, bis ihm der Bauch wehtat.
EPILOG
Bedenkt das alte Sprichwort
Der mit roten Wänden versehene Raum, dessen Decke mit Vögeln und Fischen bemalt war, die zwischen Wolken und Wellen umhertollten, wimmelte vor braun gekleideten Schreibern, die zwischen den langen Tischen umhereilten. Niemand schien zuzuhören — die meisten sahen wie betäubt aus, und das mit gutem Grund —, aber Suroth verabscheute ihre Anwesenheit. Sie mussten einiges von dem mitbekommen, was gesagt wurde, und es waren potenziell schlimme Neuigkeiten. Aber Galgan hatte darauf bestanden. Sie mussten sich auf ihre Arbeit konzentrieren, um sich von den verheerenden Neuigkeiten aus der Heimat abzulenken, und bei ihnen handelte es sich alles um vertrauenswürdige Männer und Frauen. Er hatte darauf bestanden! Wenigstens war der weißhaarige alte Mann heute Morgen nicht wie ein Soldat gekleidet. Die blauen Pluderhosen und der kurze rote Mantel mit dem hohen Kragen und den Reihen von Goldknöpfen, in die sein Siegel geprägt war, stellten die neueste seanchanische Mode dar, die aktuelle Mode im Kaiserreich. Wenn er Rüstung trug oder auch nur seine rote Uniform, drängte sich ihr manchmal der Eindruck auf, dass sie eine Soldatin unter seinem Kommando war!
Nun, sobald Elbar die Nachricht brachte, dass Tuon tot war, konnte sie Galgan töten lassen. Seine Wangen waren mit Asche beschmiert, genau wie die ihren. Das von Semirhage versprochene Schiff hatte die Nachricht vom Tod der Kaiserin gebracht und dass das Reich von Rebellion erschüttert wurde. Es gab keine Kaiserin, keine Tochter der Neun Monde. Für die einfachen Untertanen erzitterte die Welt am Rand des Untergangs. Für einige Angehörige des Blutes auch. Sobald Galgan und ein paar andere tot waren, würde keiner mehr Einspruch erheben, wenn Suroth Sabelle Meldarath sich zur Kaiserin ausrief. Sie versuchte nicht daran zu denken, welchen neuen Namen sie annehmen würde. Sich vorher einen neuen Namen auszusuchen brachte Unglück.
Mit einem Stirnrunzeln betrachtete Galgan die vor ihnen ausgebreitete Karte und tippte mit einem rot lackierten Fingernagel auf die Berge an der südlichen Küste von Arad Doman. Suroth wusste nicht, wie die Berge hießen. Die Karte zeigte ganz Arad Doman und enthielt drei Markierungen, einen roten Keil und zwei weiße Kreise, die in einer langen Linie von Norden nach Süden aufgestellt waren. »Hat Turan genaue Zahlen, wie viele Männer aus diesen Bergen kamen, um sich Ituralde anzuschließen, als er nach Arad Doman kam, Yamada?«
Efraim Yamada trug ebenfalls Asche, da er dem Blut angeh örte, wenn auch nur dem Niederen Blut, und er trug das Haar als Schopf und Pferdeschwanz, statt als schmalen Kamm auf einem ansonsten kahl rasierten Kopf. Nur die einfachen Untertanen um den Tisch trugen keine Asche, ganz egal, welchen Rang sie einnahmen. Yamada, hochgewachsen mit breiten Schultern und schmalen Hüften, mit einem blauen und goldenen Harnisch, wies noch immer Spuren von der Schönheit seiner Jugend auf, obwohl seine Haare langsam grau wurden. »Er berichtet von mindestens einhunderttausend, Generalhauptmann. Vielleicht ist es auch nur die Hälfte.«
»Und wie viele kamen heraus, nachdem Turan die Grenze überschritten hat?«
»Möglicherweise zweihunderttausend, Generalhauptmann.« Galgan seufzte und richtete sich wieder auf. »Also hat Turan ein Heer vor sich und eins hinter sich, vermutlich alles, was Arad Doman aufbieten kann, und zwischen ihnen ist er in der Minderzahl.« Dieser Narr! Das Offensichtliche in Worte zu fassen.
»Turan hätte jedes Schwert und jede Lanze aus Tarabon abziehen sollen!«, fauchte Suroth. »Wenn er dieses Debakel überlebt, werde ich seinen Kopf fordern!«
Galgan hob die Brauen. »Ich glaube kaum, dass Tarabon schon loyal genug ist, um so etwas machen zu können«, sagte er trocken. »Außerdem hat er Damane und Raken. Das sollte seine geringere Zahl wieder wettmachen. Und da wir gerade von Damane und Raken sprechen, ich habe den Befehl unterschrieben, der Tylee Khirgan zum Generalleutnant und zum Niederen Blut erhebt, da Ihr das immer wieder verzögert habt, und ich habe Befehle gegeben, dass die meisten dieser Raken nach Amadicia und Altara zurückkehren. Chisen hat noch immer nicht herausfinden können, wer diese kleine Unruhe im Norden angezettelt hat, und mir gefällt die Vorstellung nicht, dass wer auch immer das war, wieder aus der Deckung kommt, sobald Chisen in die Molvainekluft zurückkehrt.«