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Ihre Gedanken rasten. Es schien keine Möglichkeit zu geben, ihn davon abzubringen, aber vielleicht konnte sie ihn hinhalten. Zumindest das musste sie schaffen. »Könntet Ihr mit Eurem Angriff wenigstens warten? Ich könnte meine Mission möglicherweise in ein paar Tagen abschließen, vielleicht in einer Woche.« Eine Frist sollte Failes Anstrengungen fördern. Zuvor wäre es gefährlich gewesen; eine leere Drohung verlor alle Macht, und das Risiko, dass es die Frau nicht schaffen würde, den Eidstab zu besorgen, war zu groß gewesen. Jetzt war dieses Risiko notwendig geworden. »Wenn ich das tun kann und Eure Frau und andere dort raushole, wird es keine Notwendigkeit mehr geben, dass Ihr sinnloserweise sterbt. Eine Woche.«

Auf Aybaras Gesicht zeichnete sich Frustration ab, er hieb hart genug mit der Faust auf den Tisch, dass er einen Satz machte. »Ihr könnt ein paar Tage haben«, knurrte er, »vielleicht sogar eine Woche oder mehr, wenn…« Er unterbrach sich. Diese seltsamen Augen richteten sich auf sie. »Aber ich kann nicht versprechen, wie viele Tage es sein werden«, fuhr er fort. »Könnte ich, wie ich will, würde ich jetzt angreifen. Ich werde Faile keinen Tag länger eine Gefangene sein lassen, als ich muss, weil ich darauf warte, dass Aes Sedai-Pläne für die Shaido Früchte tragen. Ihr behauptet, sie steht unter Eurem Schutz, aber für welchen Schutz könnt Ihr wirklich in diesem Gewand sorgen? Im Lager gibt es Anzeichen für Trunkenheit. Sogar einige ihrer Wachtposten trinken. Sind die Weisen Frauen auch dafür anfällig?«

Der plötzliche Themenwechsel hätte sie beinahe blinzeln lassen. »Die Weisen Frauen trinken nur Wasser, also braucht Ihr Euch nicht einbilden, sie alle im Rausch vorzufinden«, sagte sie trocken. Und ziemlich ehrlich. Es amüsierte sie immer, wenn die Wahrheit ihren Zwecken nutzte. Nicht, dass das Beispiel der Weisen Frauen viel Erfolg hatte. Unter den Shaido war Trunkenheit weit verbreitet. Jeder Raubzug brachte sämtlichen Wein, den sie finden konnten. Dutzende kleiner Destillen produzierten widerwärtiges Gebräu aus Getreide, und jedes Mal, wenn die Weisen Frauen eine Destille zerstörten, gab es an ihrer Stelle zwei neue. Aber ihn das wissen zu lassen würde ihn nur noch mehr ermutigen.

»Was die anderen angeht, bin ich zuvor schon bei anderen Heeren gewesen und habe dort mehr Trunkenheit erlebt als bei den Shaido. Wenn von Zehntausenden hundert betrunken sind, was bringt Euch das? Wirklich, es wird besser sein, wenn Ihr mir eine Woche versprecht. Zwei wären allerdings besser.«

Sein Blick fuhr zur Karte, seine rechte Hand ballte sich wieder zur Faust, aber in seiner Stimme lag keine Wut. »Begeben sich die Shaido oft in die Stadt?«

Sie stellte den Weinbecher auf dem Tisch ab und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Diesen gelben Blick zu erwidern erforderte Mühe, aber sie schaffte es, ohne zu schwanken. »Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass Ihr den nötigen Respekt zeigt. Ich bin eine Aes Sedai, keine Dienerin.«

»Begeben sich die Shaido oft in die Stadt?«, wiederholte er in genau demselben Tonfall. Sie hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht.

»Nein«, fauchte sie. »Sie haben sich dort alles geholt, was sich zu stehlen lohnt, und einige Dinge, die es nicht tun.« Sie bedauerte die Worte in dem Moment, in dem sie sie ausgesprochen hatte. Sie waren ihr unverfänglich erschienen, bis ihr wieder die Männer einfielen, die durch Löcher in der Luft springen konnten. »Das heißt nicht, dass sie sie niemals betreten. An den meisten Tagen gehen ein paar hinein. Zu jeder Zeit halten sich dort zwanzig oder dreißig von ihnen auf, gelegentlich auch mehr, in Gruppen aus zwei oder drei Männern.« War er schlau genug, um zu verstehen, was das zu bedeuten hatte? Es war besser, dafür zu sorgen, dass er es tat. »Ihr könntet sie nicht alle erwischen. Einige werden unweigerlich entkommen können, um das Lager zu warnen.«

Aybara nickte bloß. »Wenn Ihr Faile seht, dann sagt Ihr, dass sie und die anderen sich an dem Tag, an dem sie Nebel auf dem Kamm sieht und Wölfe bei Tageslicht heulen hört, in Lady Cairens Festung am nördlichen Ende der Stadt begeben und dort verstecken sollen. Sagt ihr, dass ich sie liebe. Sagt ihr, dass ich sie holen komme.«

Wölfe? War der Mann verrückt? Wie wollte er erreichen, dass Wölfe… ? Plötzlich war sie sich nicht länger sicher, ob sie es wissen wollte, nicht mit diesen auf sie gerichteten Wolfsaugen.

»Ich richte es ihr aus«, log sie. Vielleicht wollte er nur die Männer in den schwarzen Mänteln benutzen, um seine Frau zu holen? Aber warum dann überhaupt warten? Diese gelben Augen verbargen Geheimnisse, die sie gern erfahren hätte. Mit wem wollte er zusammentreffen? Offensichtlich nicht mit Sevanna. Dafür hätte sie dem Licht gedankt, hätte sie mit diesem Unsinn nicht schon vor langer Zeit aufgehört. Wer war bereit, sofort zu ihm zu kommen? Ein Mann war erwähnt worden, aber das bedeutete vermutlich ein König mit einem Heer. Oder handelte es sich um al’Thor selbst? Sie betete, ihm niemals wieder zu begegnen.

Ihr Versprechen schien den jungen Mann von einer Last zu befreien. Er atmete langsam aus, eine Anspannung, die ihr gar nicht aufgefallen war, wich aus seinem Gesicht. »Das Problem mit einem schmiedeeisernen Rätselspiel ist immer, das Schlüsselstück an den richtigen Platz zu setzen«, sagte er leise und tippte auf die Umrisse von Maiden. »Nun, das ist erledigt. Oder wird es bald sein.«

»Bleibt Ihr zum Abendessen?«, fragte Berelain. »Die Stunde ist nah.«

Das Licht im Türeingang wurde schwächer. Eine schlanke Dienerin in dunkler Wolle, die das weiße Haar in einem Knoten trug, trat ein und fing an, die Lampen zu entzünden.

»Werdet Ihr mir zumindest eine Woche versprechen?«, verlangte Galina zu wissen, aber Aybara schüttelte den Kopf.

»In diesem Fall zählt jede Stunde.« Sie hatte nie vorgehabt, einen Moment länger als nötig zu bleiben, aber die nächsten Worte musste sie hervorzwingen. »Lasst Ihr mich von einem Eurer… Männer… zurückbringen, so nahe ans Lager heran wie möglich?«

»Neald, erledigt das«, befahl Aybara. »Und versucht wenigstens, höflich zu sein.« Das musste ausgerechnet er sagen!

Sie holte tief Luft und schlug die Kapuze zurück. »Ich möchte, dass Ihr mich schlagt, hierhin.« Sie berührte ihre Wange. »Hart genug, damit es Spuren hinterlässt.«

Endlich hatte sie etwas gesagt, das zu dem Mann durchdrang. Diese gelben Augen weiteten sich, und er steckte die Daumen hinter den Gürtel, als wollte er seine Hände sichern.

»Das werde ich nicht«, sagte er und klang, als wäre sie verrückt.

Dem Ghealdaner stand der Mund offen, und die Dienerin starrte sie an; der brennende Span in ihrer Hand hing in gefährlicher Nähe zu ihren Röcken.

»Ich brauche das«, sagte Galina fest. Bei Therava würde sie jeden Fetzen Glaubwürdigkeit brauchen, den sie beibringen konnte. »Tut es!«

»Ich glaube nicht, dass er das tun wird«, sagte Berelain und kam mit gerafften Röcken heran. »Er kann seine Herkunft vom Lande nicht verleugnen. Erlaubt Ihr?«

Galina nickte ungeduldig. Es ließ sich nicht ändern, obwohl die Frau vermutlich keine sehr überzeugende…

Alles wurde schwarz, und als sie wieder sehen konnte, schwankte sie leicht. Sie schmeckte Blut. Sie tastete nach ihrer Wange, und sie zuckte zusammen.

»Zu hart?«, fragte Berelain besorgt.

»Nein«, nuschelte Galina und kämpfte darum, keine Miene zu verziehen. Hätte sie die Macht lenken können, hätte sie der Frau den Kopf abgerissen! Andererseits, hätte sie die Macht lenken können, wäre nichts hiervon nötig gewesen. »Jetzt die andere Wange. Und lasst mein Pferd holen.«

Sie ritt mit dem Murandianer in den Wald, an eine Stelle, an der mehrere große Bäume umgestürzt und seltsam zerteilt lagen, bestimmt würde es ihr schwer fallen, dieses Loch in der Luft zu benutzen, aber als der Mann einen senkrechten silberblauen Riss produzierte, der sich zu einem Ausblick auf steiles Gelände vergrößerte, dachte sie überhaupt nicht an das verschmutzte Saidin, als sie Schnell durch die Öffnung trieb. Da war nur der Gedanke an Therava.