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»Ich glaube, die Kräuter benebeln noch immer ihre Sinne«, murmelte Katerine und warf Egwene einen unwirschen Blick zu. »Sie scheint ihre Situation nicht zu erkennen.« Barasine, die noch Egwenes Arm hielt, schüttelte sie kräftig, aber nach einem kurzen Stolpern erlangte sie das Gleichgewicht zurück, behielt eine reglose Miene bei und ignorierte die Blicke der größeren Frauen.

»Unter Schock«, sagte die mollige Rote und nickte. Sie hörte sich nicht unbedingt verständnisvoll an, aber nach Katerine kam sie dem doch sehr nahe. »Ich habe so etwas schon zuvor gesehen.«

»Wie ist es am Südhafen gelaufen?«, fragte Barasine.

»Anscheinend nicht so erfolgreich wie bei euch. Alle haben beim Anblick von uns beiden wie Schweine beim Metzger gequiekt. Ich fürchte, wir haben die verjagt, die wir einfangen wollten. Es war gut, dass da zwei von uns waren, die miteinander reden. Wir haben bloß eine Wilde gefangen, aber nicht, bevor sie die halbe Hafenkette in Cuendillar verwandeln konnte. Wir haben beinahe die Pferde zu Tode gehetzt, weil wir so schnell zurückgaloppiert sind, als hätten wir, nun, euren Fang gemacht. Zanica hat darauf bestanden und sogar den Kutscher durch ihren Behüter ersetzt.«

»Eine Wilde«, sagte Katerine verächtlich.

»Nur die Hälfte?« Barasine war deutlich ihre Erleichterung anzuhören. »Dann ist der Südhafen nicht blockiert.«

Melares Brauen hoben sich erneut, als ihr die Bedeutung klar wurde. »Wir werden am Morgen sehen, wie weit er frei ist«, sagte sie langsam, »wenn sie die Hälfte senken, die noch aus Eisen besteht. Der Rest ist stocksteif wie, nun, wie eine Stange Cuendillar. Ich persönlich bezweifle, dass größere Schiffe da durchkommen.« Sie schüttelte mit einem verblüfften Gesichtsdruck den Kopf. »Aber da war etwas Seltsames. Sogar mehr als seltsam. Wir konnten die Wilde zuerst nicht finden. Wir konnten sie die Macht nicht lenken fühlen. Kein Glühen hüllte sie ein, und wir konnten ihre Gewebe nicht sehen. Die Kette fing einfach an, sich weiß zu verfärben. Hätte Arebis' Behüter nicht das Boot entdeckt, hätte sie ihr Werk vollenden und entkommen können.«

»Die kluge Leane«, murmelte Egwene. Einen Augenblick lang kniff sie die Augen fest zusammen. Leane hatte beizeiten alles vorbereitet, bevor der Hafen in Sicht kam; sie hatte ihre Fähigkeiten verschleiert. Wäre sie so klug gewesen, hätte sie vermutlich entkommen können. Aber im Nachhinein war man immer klüger.

»Das ist der Name, den sie angegeben hat«, sagte Melare. Sie runzelte die Stirn. Ihre Augenbrauen, die an dunkle Raupen erinnerten, waren sehr ausdrucksstark. »Leane Sharif. Von der Grünen Ajah. Zwei sehr dumme Lügen. Desala prügelt sie in der Zelle von oben bis unten, aber sie will nicht nachgeben. Ich bin nach oben gekommen, um Luft zu schnappen. Ich konnte Prügel noch nie leiden, nicht einmal für so etwas. Kennt Ihr ihre Tricks, Kind? Wie man Gewebe verbirgt?«

Oh, beim Licht! Sie glaubten, Leane sei eine Wilde, die sich als Aes Sedai ausgab. »Sie sagt die Wahrheit. Die Dämpfung kostete sie das alterslose Aussehen und ließ sie jünger erscheinen. Sie ist von Nynaeve al'Meara Geheilt worden, und da sie nicht länger zu den Blauen gehörte, hat sie eine neue Ajah gewählt. Stellt ihr Fragen, die nur Leane Sharif beantworten kann…« Ihre Worte wurden abgeschnitten, als eine Kugel Luft ihren Mund ausfüllte und ihren Kiefer so weit aufzwang, dass er knackte.

»Wir müssen uns diesen Unsinn nicht anhören«, knurrte Katerine.

Aber Melare starrte Egwene in die Augen. »Es hört sich sinnlos an, das stimmt«, sagte sie nach einem Augenblick, »aber ich schätze, es kann nicht schaden, ein paar andere Fragen als ›Wie heißt du‹ zu stellen. Schlimmstenfalls macht es die Antworten der Frau weniger langweilig. Sollen wir sie runter in die Zellen bringen, Katerine? Ich wage es nicht, Desala zu lange mit der anderen allein zu lassen. Sie verabscheut Wilde, und sie hasst Frauen, die sich als Aes Sedai ausgeben, abgrundtief.«

»Sie kommt noch nicht in die Zelle«, erwiderte Katerine.

»Elaida will, dass sie zu Silviana gebracht wird.«

»Nun, solange ich von diesem Kind oder der anderen diesen Trick erfahre.« Melare holte tief Luft und ging die Treppe wieder hinunter, eine Frau, auf die eine Arbeit wartete, auf die sie sich nicht freute. Aber sie gab Egwene Hoffnung für Leane. Leane war jetzt »die andere«, und nicht mehr »die Wilde«.

Katerine setzte sich mit schnellen Schritten in Bewegung, stumm, aber Barasine stieß Egwene vor sich her und murmelte kaum hörbar etwas in dem Sinn, wie albern die Ansicht doch war, dass eine Schwester etwas von einer Wilden lernen konnte, oder von einer hochnäsigen Aufgenommenen, die dumme Lügen erzählte.

Es fiel schwer, wenigstens einen Funken Würde zu bewahren, wenn man von einer Frau mit langen Beinen einen Korridor entlanggeschubst wurde, während einem der Mund so weit aufklaffte, wie es gerade ging, und einem der Speichel das Kinn hinuntertropfte, aber Egwene schaffte es, so gut sie konnte. In Wahrheit dachte sie kaum darüber nach. Melare hatte ihr zu viel verraten, über das sie nachdenken musste. Wenn man Melare zu den Schwestern in der Kutsche hinzurechnete. Eigentlich konnte das unmöglich bedeuten, was es schien, aber wenn doch…

Bald wechselten sich die blauweißen Fliesen mit rotgrünen ab, und sie näherten sich einer schmucklosen Holztür zwischen zwei Wandteppichen mit blühenden Bäumen und spitzschnäbeligen Vögeln, die so bunt waren, dass sie wohl kaum in der Realität existierten. Schmucklos, aber auf Hochglanz poliert und jedermann in der Weißen Burg bekannt. Katerine klopfte, und sie tat es auf eine Weise, die man beinahe als zögerlich hätte bezeichnen können, und als eine durchdringende Stimme drinnen »Herein« rief, holte sie tief Luft, bevor sie die Tür aufstieß. Hatte sie schlimme Erinnerungen an die Zeit, in der sie als Novizin oder Aufgenommene hier eingetreten war, oder war es die Frau, die sie erwartete, die sie zögern ließ?

Das Arbeitszimmer der Oberin der Novizinnen war genauso, wie Egwene es in Erinnerung hatte, ein kleiner, mit dunklem Holz getäfelter Raum mit nüchternen, stabilen Möbeln. An der Tür stand ein schmaler Teetisch, dessen Beine mit einem seltsamen Muster verziert waren, und an einer Wand hing ein Spiegel, dessen Rahmen noch verblichene Überreste seiner Vergoldung aufwies, aber sonst war nichts auf irgendeine Weise verziert. Die Kandelaber und die beiden Lampen auf dem Schreibtisch bestanden aus einfachem Messing. Die Frau, die das Amt bekleidete, wechselte für gewöhnlich, wenn eine neue Amyrlin erhoben wurde, aber Egwene wäre jede Wette eingegangen, dass eine Frau, die diesen Raum vor zweihundert Jahren als Novizin betreten hatte, jede Holzbohle und vielleicht auch alles andere wiedererkannt hätte.

Die derzeitige Oberin der Novizinnen — zumindest die in der Weißen Burg — erwartete sie stehend, eine stämmige Frau, die beinahe Barasines Größe hatte; ihr Haar war im Nacken zu einem Knoten gebunden, und sie hatte ein kantiges, entschlossenes Kinn. Silviana Brehon verfügte über eine Ausstrahlung, die keinen Unsinn duldete. Sie war eine Rote, und die kohlenfarbenen Röcke wiesen diskrete rote Schlitze auf, aber ihre Stola lag über der Stuhllehne hinter dem Schreibtisch. Ihre großen Augen flößten einem jedoch Unbehagen ein. Sie schienen alles an Egwene mit einem Blick zu erfassen, als würde die Rote nicht nur jeden Gedanken in ihrem Kopf kennen, sondern auch das, was sie morgen denken würde.