Trom musterte ihn mit vor der Brust verschränkten Armen, als würde er ihn das erste Mal sehen. »Was würdet Ihr denn tun?«
»Die Kinder jemanden finden lassen, egal wen, der die Seanchaner bekämpft, und sich mit ihm verbünden. Dafür sorgen, dass die Kinder des Lichts in die Letzte Schlacht reiten, statt den Seanchanern zu helfen, Aiel zu jagen und unsere Nationen zu unterjochen.«
»Egal wen?«, sagte ein Cairhiener namens Doirellin mit schriller Stimme. Niemand machte sich über Doirellins Stimme lustig. Klein geraten war er fast so breit wie hoch, er trug fast keine Unze Fett am Körper und konnte sich Walnüsse zwischen alle Finger stecken und sie knacken, indem er die Fäuste ballte. »Das könnte Aes Sedai bedeuten.«
»Wenn Ihr bei Tarmon Gai’don dabei sein wollt, werdet Ihr an der Seite der Aes Sedai kämpfen müssen«, sagte Galad leise. Bornhaid verzog das Gesicht zu einer Grimasse, und er war da nicht der Einzige. Byar richtete sich zur Hälfte auf, bevor er sich wieder bückte und mit der Arbeit weitermachte. Aber niemand sprach dagegen. Doirellin nickte langsam, als hätte er vorher noch nie darüber nachgedacht.
»Ich halte nicht mehr von den Hexen als jeder andere Mann«, sagte Byar schließlich, ohne den Kopf von der Arbeit zu heben. Blut sickerte durch die Verbände, noch während er sie anlegte. »Aber in den Regeln steht: Um den Raben zu bekämpfen, darf man sich mit der Schlange verbünden, bis die Schlacht beendet ist.« Viele der Männer nickten. Der Rabe stand für den Schatten, aber jeder wusste, dass das auch das Kaiserliche Siegel der Seanchaner war.
»Ich kämpfe an der Seite der Hexen«, sagte ein schlanker Taraboner, »sogar an der Seite dieser Asha’man, von denen wir gehört haben, falls sie die Seanchaner bekämpfen. Oder in der Letzen Schlacht. Und ich trete gegen jeden Mann an, der sagt, dass ich da falsch liege.« Er warf finstere Blicke um sich, als wäre er bereit, auf der Stelle damit anzufangen.
»Es scheint, als würde sich alles so ergeben, wie Ihr wünscht, mein Kommandierender Lordhauptmann«, sagte Trom und machte eine viel tiefere Verbeugung als für Valda.
»Zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Wer weiß schon, was die nächste Stunde bringt, geschweige denn der nächste Tag?«
Galad überraschte sich selbst, indem er lachte. Seit gestern war er davon überzeugt gewesen, nie wieder zu lachen. »Das ist ein schlechter Scherz, Trom.«
»So lautet das Gesetz. Und Valda hat es verkündet. Davon abgesehen habt Ihr den Mut gehabt, das auszusprechen, was viele dachten, die aber den Mund gehalten haben, unter anderem auch ich. Ihr habt einen besseren Plan für die Kinder als alles, was ich gehört habe, seit Pedron Niall gestorben ist.«
»Es ist trotzdem ein schlechter Scherz.« Wie auch immer das Gesetz lautete, diesen Teil hatte man seit dem Ende des Hundertjährigen Krieges ignoriert.
»Wir werden sehen, was die Kinder dazu zu sagen haben«, erwiderte Trom mit einem breiten Grinsen, »wenn Ihr sie fragt, ob sie uns in Tarmon Gai’don folgen, um an der Seite der Hexen zu kämpfen.«
Wieder hieben sich Männer auf die Schulter, lauter als für seinen Sieg. Zuerst waren es nur wenige, dann stimmten mehr mit ein, bis jeder Mann Trom eingeschlossen seine Zustimmung bekundete. Jeder Mann außer Kashgar. Der Saldaeaner machte eine tiefe Verbeugung und hielt die mit dem Reiher gezeichnete Klinge in ihrer Scheide ausgestreckt hin.
»Die gehört jetzt Euch, mein Kommandierender Lordhauptmann.«
Galad seufzte. Er hoffte, dass dieser Unsinn aufhören würde, bevor sie das Lager erreichten. Die Rückkehr allein war dumm genug, ohne einen derartigen Anspruch geltend zu machen. Vermutlich würde man ihn auch ohne einen solchen Versuch in Ketten legen oder gleich zu Tode prügeln. Aber er musste gehen. Es war das einzig Richtige.
Das Licht an diesem kühlen Frühlingstag wurde stärker, auch wenn die Sonne noch kein Schimmern am Horizont war, und Rodel Ituralde hob sein mit einer Goldfassung versehenes Fernglas, um das Dorf unterhalb des Hügels zu studieren, auf dem er sich mit seinem braunen Wallach befand, tief im Herzen Tarabons. Er hasste es, darauf warten zu müssen, dass es genug Licht zum Sehen gab. Er achtete darauf, dass die Linse des Fernglases nicht verräterisch funkelte, stützte das Ende der langen Röhre auf dem Daumen ab und beschattete es mit der gewölbten Hand. Zu dieser Stunde war die Aufmerksamkeit der Wächter am geringsten, da sie erleichtert waren, dass die Dunkelheit, in der sich ein Gegner anschleichen konnte, nun endlich wich. Aber seit der Überquerung der Ebene von Almoth hatte er Geschichten von Aiel-Überfällen ins Innere von Tarabon gehört. Wäre er ein Wachtposten und die Aiel möglicherweise in der Nähe, hätte er sich ein zusätzliches Paar Augen wachsen lassen. Seltsam, dass das Land wegen dieser Aiel nicht wie ein getretener Ameisenhaufen in Aufruhr war. Seltsam und vielleicht unheilverkündend. Es liefen viele Bewaffnete herum, Seanchaner und Taraboner, die ihnen die Treue geschworen hatten, und Horden von Seanchanern, die Bauernhöfe und sogar Dörfer erbauten, aber so weit zu kommen war fast schon zu leicht gewesen. Heute war Schluss mit dieser Leichtigkeit.
Hinter ihm stampften Pferde ungeduldig zwischen den Bäumen. Die hundert Domani unter den Männern, die ihn begleiteten, verhielten sich still, wenn man einmal von dem gelegentlichen Ächzen des Sattelleders absah, falls ein Mann sein Gewicht verlagerte, aber er konnte ihre Anspannung fühlen. Er wünschte, er hätte doppelt so viel. Fünfmal so viel. Am Anfang war es als Geste des guten Willens erschienen, dass er selbst mit einer Streitmacht ritt, die sich hauptsächlich aus Tarabonern zusammensetzte. Er war sich nicht länger sicher, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Aber für Selbstvorwürfe war es zu spät.
Serana, auf dem halben Weg zwischen Elmora und der Grenze zu Amadicia, erhob sich in einem flachen grasigen Tal, umgeben von bewaldeten Hügeln, und in jeder Richtung war es mindestens eine Meile bis zu den Bäumen, abgesehen von der Stelle, an der er sich befand. Ein kleiner, von Schilf umgebener See speiste die beiden breiten Flüsse, die zwischen ihm und dem Dorf lagen. Kein Ort, den man bei Tageslicht überraschen konnte. Er war schon vor dem Eintreffen der Seanchaner von beträchtlicher Größe gewesen, ein Haltepunkt für die Kaufmannskarawanen nach Osten, mit über einem Dutzend Herbergen und beinahe genauso vielen Straßen. Dorfbewohner gingen bereits ihrem Tagewerk nach, Frauen balancierten Körbe auf dem Kopf, während sie die Dorfstraßen entlangeilten; andere wiederum entzündeten die Feuer unter ihren Waschkesseln hinter ihren Häusern. Männer gingen zu ihren Werkstätten, blieben manchmal stehen, um ein paar Worte zu wechseln. Ein ganz normaler Morgen, an dem Kinder bereits umherrannten und spielten, Reifen rollen ließen und sich Bohnensäckchen zuwarfen. Aus einer Schmiede ertönte Klirren, von der Entfernung gedämpft. Der Rauch von den Frühstücksfeuern verwehte über den Schornsteinen.
Soweit er sehen konnte, schenkte in Serana niemand den drei Wächterpaaren, deren Brustpanzer mit hellen Streifen versehen waren, einen zweiten Blick; sie führten ihre Pferde vielleicht eine Viertelmeile vor und wieder zurück. Der See, der beträchtlich breiter als das Dorf war, schottete die vierte Seite effektiv ab. Es hatte den Anschein, als wären die Wachen eine alltägliche Sache geworden, das galt auch für das seanchanische Lager, das Serana auf mehr als die doppelte Größe hatte anschwellen lassen.
Ituralde schüttelte leicht den Kopf. Er hätte das Lager nicht so nahe am Dorf aufgebaut. Die Häuserdächer von Serana bestanden alle aus Ziegeln, aus roten, grünen oder blauen, aber die Gebäude selbst waren aus Holz; ein Feuer im Dorf konnte viel zu schnell auf das Lager übergreifen, in dem Segeltuchzelte von den Ausmaßen großer Häuser die kleineren Zelte, in denen die Männer schliefen, bei weitem an Zahl übertrafen, und große Stapel aus Fässern und Kisten bedeckten zweimal so viel Grund als alle Zelte zusammen. Dorfbewohner mit flinken Fingern fern zu halten würde so gut wie unmöglich sein. In jedem Dorf gab es ein paar schräge Vögel, die alles stahlen, von dem sie glaubten, damit durchkommen zu können, und selbst ehrliche Männer konnten durch die Nähe in Versuchung geführt werden. Der Standort bedeutete auch eine kürzere Distanz, um Wasser aus dem See zu holen, wie auch einen kürzeren Weg für die Soldaten, um sich in ihrer dienstfreien Zeit im Dorf mit Ale und Wein zu versorgen, es deutete alles auf einen Kommandanten mit lascher Disziplin hin.