Das Grundstück umfasste drei Hektar und reichte von der Rückseite des Hauses bis zu einem Kiefernwald. Er war immens, die Art eines Waldes, in dem sich unvorsichtige Wanderer stets verirrten, und erstreckte sich über weitere hundert Hektar.
Bei näherer Betrachtung wirkte das Haus fast menschlich und melancholisch, gerade weil es in einem dürftigen Zustand war. Die Läden hingen schief an den Angeln, und die Scheiben starrten vor Schmutz. Vom Vordach hingen erfrorene Pflanzen in Weidenkörben, die allesamt derart ausgewachsen waren, dass die Wurzeln den Boden der Körbe durchstoßen hatten und wie Tentakel in der Luft baumelten wie irgendein prähistorisches Meerestier. Blattlose Ranken klebten steif vor Kälte wie Kabel an der Holzverkleidung. Die Farbe blätterte von dem Holz ab, das an einigen Stellen verblasst oder fleckig war. Es verrottete zwar, zeigte jedoch nach wie vor alle möglichen Wirbel und Muster in der Maserung.
Adam warf mir die Schlüssel zu. »Wollen wir stehen bleiben und uns die Ärsche abfrieren, oder schauen wir uns eure neue Bleibe genauer an?«
Ich reichte die Schlüssel an Jodie weiter. »Nur zu. Die Ehre gebührt dir.«
Sie stieg die beiden Stufen auf die Terrasse, wobei sie kurz innehielt, als das Holz unter ihren Füßen knarrte. An der Unterseite des Vordachs hing eine Schaukel an rostigen Ketten; die linke war ein paar Zoll länger als die rechte. Der Sitz – ebenfalls aus Weiden – war derart marode, dass ein Loch mit zerfleddertem Rand darin klaffte. Die elektrischen Lampen zu beiden Seiten der Haustür waren von Vögeln mit Nestern bedacht worden, und ihr Kot besprenkelte die Bretter am Boden, der einen an eine Sternenkarte erinnerte. Falls Jodie das alles genauso kritisch wahrnahm, ließ sie es sich nicht anmerken.
Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, während wir anderen uns hinter ihr aufbauten. Wir warteten geduldig darauf, dass sie die Tür endlich aufmachte. Stattdessen lachte sie los.
»Was?«, fragte ich. »Stimmt etwas nicht?«
»Der Wahnsinn«, sagte sie. »Unser erstes richtiges Heim.«
Das Haus versprühte gehöriges Siebzigerjahre-Flair, vor allem wegen des haarsträubenden Zottelteppichs und der Vertäfelung im Obergeschoss. Jeden Augenblick rechnete ich damit, dass eine Discokugel an der Decke baumelte. In der Küche fehlten einige Bodenfliesen, und die Wände schienen sich der Elektrik entledigen zu wollen, denn viele Steckdosen hingen an ihren Eingeweiden aus den Gipsplatten.
Die Umzugsfirma hatte unsere Habe mehr oder weniger dort abgestellt, wo Platz war, weshalb wir uns den Weg durch mehrere Räume wie Mäuse durch ein Labyrinth bahnten.
Jodie nahm meine Hand und drückte sie. »Einfach großartig.«
»Es braucht noch eine Menge Arbeit.«
Oben gab es zwei Schlafzimmer – ein großes und eines für Gäste – sowie einen dritten Raum, den ich perfekt als Arbeitsraum zum Schreiben und Jodie für ihre Doktorarbeit nutzen konnte. Auch ein zweites Badezimmer war komplett eingerichtet. Ein wenig verdrossen wurde ich der zersprungenen Fliesen in der Dusche gewahr und malte mir aus, dass der Wasserhahn am Waschbecken möglicherweise schon seit Eisenhowers Amtszeit leckte.
»Travis«, rief Jodie vom Flur her. »Komm, schau mal. Das wirst du nicht glauben.«
Sie war in dem großen Schlafzimmer am Ende des Gangs. Die Möbelpacker hatten die Matratzen an eine Mauer gelehnt und unsere Kommode mitten im Raum stehen gelassen. An einer anderen Wand stapelten sich die Kleiderkisten.
»Sieh dir das an«, rief Jodie. Sie schaute aus der breiten Fensterfront, die rückwärtig hinausging.
Ich stellte mich hinter sie und blickte über ihre Schulter. Über dem makellos weiß verschneiten Rasen erkannte man durch die verschlungenen Äste kahler Bäume einen zugefrorenen See, der in der Mittagssonne glitzerte. Am Gegenufer prägten gewaltige Drehkiefern das Landschaftsbild; ihre Nadeln mit Schnee überzuckert. Der Anblick war atemberaubend malerisch und wurde einzig von einem seltsamen Etwas getrübt, das fast genau in der Mitte des Gewässers senkrecht aus dem Eis ragte – eine lange, schwer zu beschreibende Holzkonstruktion.
»Wusstest du von dem See hinterm Haus?«
»Nein«, antwortete ich. »Adam hat nie etwas davon erwähnt.«
»Jesus, das ist wunderschön. Kaum zu glauben, dass es uns gehört.«
»Tut es aber.« Ich küsste ihren Hals und schlang die Arme um sie. »Hast du eine Idee, was das dort auf dem Eis sein könnte?«
»Keine Ahnung«, sagte sie, »aber ich denke nicht, dass es auf dem Eis steht.«
»Nicht?«
»Sieh auf den Grund. Das Eis rundherum ist aufgebrochen, und man sieht das Wasser.«
»Eigenartig.«
Plötzlich schreckten wir beide von einem schrillen Schrei auf, gefolgt von schnellem Geplapper und kleinen Schritten auf dem harten Holzboden. Der Schrei passte nicht ins Schema eines aufgeregten Kleinkindes; Angst schwang mit, womöglich sogar Schmerz.
Ich eilte aus dem Zimmer zum Treppenabsatz und schaute hinunter in die Diele, wo Madison gerade in die Arme ihrer Mutter flog. Beth packte das Mädchen und drückte es fest an sich.
»Was ist passiert?«, fragte ich auf halbem Weg die Stufen hinab.
Beth schüttelte den Kopf: Sie wusste es nicht. Während sich Madison wie ein Klammeraffe an ihr festkrallte, strich sie das Haar der Kleinen glatt.
Adam erschien neben ihr und fragte seine Tochter ebenfalls, was geschehen sei, doch sie antwortete nicht. Ihr Schluchzen verklang jedoch schnell, und danach schien sie nichts weiter mehr zu wollen, als das Gesicht an der Schulter ihrer Mutter zu verbergen.
Adam starrte mich an. »Was ist passiert?« Die Worte klangen so vorwurfsvoll, dass es mir die Sprache verschlug. »Was hast du getan?«
Erst als Jacob hinter mir auf der Treppe erschien, erkannte ich, an wen Adam die Frage gerichtet hatte.
»Sprich«, forderte Adam.
Jacob zuckte mit den Achseln. Das Kind sah elend aus. »Maddy hat Angst gekriegt.«
»Angst wovor?«
Wieder spannte er seine schmalen Schultern an. »Irgendwas hat ihr Angst eingejagt. Aber nicht ich. Ehrlich.«
Adam seufzte und fuhr sich mit den Fingern durch die dichten Locken. »Komm jetzt runter, Jacob.«
Der Junge hüpfte mit steinerner Miene die restlichen Stufen hinab. Ich folgte ihm, die Hände in den Hosentaschen. Ich blieb neben Beth stehen und streichelte Madisons Kopf.
Sie wand sich und schlenkerte mit den Beinen. Ihre Mutter grunzte, als sie ihr in den Bauch trat. »Wirst du wohl aufhören«, brummte sie mit dem Mund an Madisons Haar.
»Du hast den See hinterm Haus nie angesprochen«, sagte ich zu Adam.
»Habe ich nicht?«
»Und wo ist der Keller?«
»Auf dem Dachboden, wo sonst?«
»Ha. Sehr witzig.« Ich ging an meinem Bruder vorbei den Flur entlang zu einer Tür, die wir noch nicht geöffnet hatten.
Er rief mir hinterher: »Dort unten steht das Zeug, auf dessen Kisten ihr Speicher geschrieben habt.«
»Danke.« Hinter der Tür führte eine leidlich stabile Holztreppe tief in ein Betongewölbe, in dem irgendwo Licht brannte. Das Licht warf schmierige Schatten auf die freiliegenden Formsteine der Wand. Ich stieg bis zur Hälfte hinab und sah mittig an der niedrigen Decke eine nackte Glühbirne, die an einem wenige Zoll langen Kabel hing. Die Zugschnur zum Ein- und Ausschalten pendelte wie die Taschenuhr eines Hypnotiseurs.
Am Fuß der Treppe standen einige Kisten. Ich stieg über sie und zog an der Schnur, die abriss und die Birne zum Schwingen brachte. Die Schatten im Raum fingen zu wandern an.
»Verdammt.«
Auf Zehenspitzen griff ich hoch um sie festzuhalten, schaffte es aber nicht, die Schnur zu befestigen, um das Licht wieder auszumachen. Am Ende leckte ich Zeigefinger und Daumen, bis ich es mit einer halben Drehung der Birne dunkel werden ließ.
Das verbliebene Tageslicht nutzten wir, um Kisten durch die Zimmer zu schleppen, Möbel zusammenzubauen und das Bad beziehungsweise die Küche zu schrubben, was uns dabei half, mit der neuen Umgebung warm zu werden.