»Spucken Sie es aus, Sohn.« Er nahm mir gegenüber Platz; mir war nicht entgangen, wie er mich genannt hatte.
»Ich möchte Ihre forschenden Fähigkeiten auf die Probe stellen. Ich brauche Ihre Hilfe, um eine gewisse Althea Coulter aufzuspüren. Ich weiß nur, dass sie in Frostburg wohnt und höchstwahrscheinlich als Grundschullehrerin arbeitet.« Ich erinnerte mich daran, wie Nancy von ihr gesprochen hatte, und fügte hinzu: »Allerdings kann es durchaus sein, dass sie nicht mehr lebt.«
»Darf ich fragen, wer sie ist?«
»Elijah Dentman bekam eine Zeit lang Privatunterricht zu Hause. Die Steins sagen, sie sei seine Lehrerin gewesen. Ich will mich mit ihr unterhalten.«
»Tot oder lebendig«, schwor Earl, »ich finde sie.«
Kapitel 22
Ehrliches Schreiben, so wie ehrliche Menschen, stellt keine Ansprüche, will nichts im Gegenzug. Ich befand mich inmitten einer Erforschung der Charaktere – Charaktere, die eine Geschichte bildeten, eine Geschichte, die Emotionen erzeugte –, durchquerte paradiesische Weiden und elysische Gefilde, wo tote Jungen verzückt und barfuß über vom Tau benetzte Gräser lustwandelten, während ein endloses Firmament die schiefergraue aufgewühlte See widerspiegelte, anstatt umgekehrt.
Ich hackte gerade Holz hinterm Haus, als Adam vorbeischaute. Das Knirschen seiner Stiefel im Schnee hörte ich, noch bevor er zwischen den Bäumen auftauchte.
»Hey«, grüßte er.
»Hey«, erwiderte ich weiter Holz spaltend. Die verfluchte Heizung war noch immer unkooperativ, weshalb Jodie und ich täglich mehrere Klötze verfeuerten. Obwohl es seit einigen Tagen nicht geschneit hatte, war es weiterhin verflucht kalt.
»Lange nicht gesehen. Gestern erst kam ich vorbei, doch Jodie meinte, du hättest dich irgendwohin nach draußen verzogen.«
»Stimmt.«
»Hast du Veronica Dentman eigentlich etwas von dem Zeug zurückgebracht? Ich habe nicht gehört, wie es ausgegangen ist.«
»Hab ich«, bestätigte ich mit dem nächsten Axthieb.
»Und …?«
Ich rammte die Schneide in den Schnee und stützte mich auf den Griff. Trotz der Witterung schwitzte und keuchte ich. »Einen Karton brachte ich ihr. Sie verhielt sich … distanziert.«
»Verständlich. Du hast ihr wahrscheinlich einen gehörigen Schrecken eingejagt, indem du einfach so dort aufgekreuzt bist.«
»David kam gerade zu ihr zurück und jagte mir einen gehörigen Schrecken ein. Er hielt mich für einen Cop.«
Adam schob die Zähne über seine Unterlippe. »Aber es ist doch nichts passiert, oder doch?«
»Hätte es denn sollen?«
»Nein, war nur eine Frage.«
»Wusstet ihr, dass er aktenkundig ist?«
Adam wich meinem Blick aus. Seine Nase war rot, und unter einer Seite glitzerte die Haut vor Feuchtigkeit. »Erzähl mir nicht, das sei einfach so bei eurer Unterhaltung herausgekommen.«
»Nein, ich bin selbst darauf gestoßen.«
»Wie das?«
»Nicht von Belang.« Ich wollte Earl und seine Dunkelmänner nicht gefährden. »Wusstet ihr davon?«
»Was David in der Vergangenheit angestellt hat? Falls du die Ermittlungen des Police Departments in Frage stellst, lass dir gesagt sein, dass du davon nichts verstehst.«
»War nur eine einfache Frage.«
»Natürlich wussten wir Bescheid. Spätestens nachdem wir seinen Werdegang unter die Lupe genommen haben. Hältst du uns für eine Horde tollpatschiger Fernsehdetektive, die über ihre eigenen Schnürsenkel stolpern und sich selbst in den Fuß schießen?«
»Okay«, beschwichtigte ich. »Mehr wollte ich nicht wissen.«
»Warum denn überhaupt?«
»Vergiss es.« Ich wuchtete die Axt über meine Schulter.
»Gestern sprach ich zufällig mit Ira Stein. Genau deswegen kam ich daraufhin hierher. Um nach dir zu sehen.«
Fuck, dachte ich und ließ die Axt wieder in den Schnee sinken. Dann strafte ich Adam mit einem finsteren Blick. »Was hast du vor, willst du mir auf den Sack gehen? Mich beim Lügen erwischen? Ja, ich habe mit Ira geredet.«
»Er meinte, du schreibst ein Buch über das, was den Dentmans passiert ist.«
»So drückte ich es ihm gegenüber nicht aus. Als ich sein Haus verließ, war er betrunken, also hat er da etwas in den falschen Hals gekriegt.«
»Er behauptete, du hättest ihm eine Menge Fragen über sie gestellt. Und irgendwann sei seine Frau ausgeflippt.«
»Jesus Christus, sie war aufgebracht, als ihr Mann auf ihren toten Hund zu sprechen kam. Ich erklärte ihnen, dass ich an der Geschichte von Westlake interessiert bin. Wir schweiften ab und gelangten zu den Dentmans. Es war reiner Zufall.«
»Dann stimmt es also nicht. Du schreibst kein Buch über die Dentmans?«
Während ich ihn anstarrte, zählte ich meine Herzschläge. Als ich endlich antwortete, erstaunte mich, in welch gelassenem Tonfall ich es tat. »Ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen. Wir sind hier nicht in einem deiner verdammten Verhörzimmer.«
»Fein. Du musst mir keinen Scheißdreck beantworten. Aber lass dir von mir einen kleinen brüderlichen Rat geben: Dies hier ist eine Kleinstadt, wo sich Gerüchte wie Lauffeuer verbreiten. Wenn du dir Ärger ersparen willst, hörst du besser auf, deine Nase überall hineinzustecken.«
»Einfach unglaublich«, grollte ich. »Jetzt drohst du mir –«
»Ich drohe dir nicht, Arschloch. Ich warne dich. Du hast hier draußen ein lauschiges Plätzchen gefunden, und deine Frau verdient es. Also vermassel es nicht, indem du ihr mit deinem närrischen Verhalten Schande machst.«
Ich platzte heraus: »Ich glaube, David Dentman hat seinen Neffen umgebracht.«
»Ist das so?«
»Die Indizien passen nicht so recht zueinander. Die Dinge ergeben keinen Sinn.«
»Ach wirklich? Wie sehen deine Indizien denn aus? Kannst du mit mehr aufwarten als ein paar Anzeigen wegen Körperverletzung, derer er nicht einmal für schuldig befunden wurde?«
Ja, welche Indizien hatte ich eigentlich? Die alles umfassende Merkwürdigkeit dieses Falles? Die Tatsache, dass David mir beinahe den Hals umgedreht hätte, als wir uns bei seiner geisteskranken Schwester in ihrer gemeinsamen Absteige begegnet waren? Ich hörte bereitwillig auf mein Bauchgefühl, das sich jedoch nicht allzu gut in handfeste Fakten ummünzen ließ.
Dass ich an diesem Punkt schwieg, war bezeichnend.
»Wir arbeiten mit Tatsachen«, betonte mein Bruder. »Mörder handeln nach Motiv, Unschuldige bringen Alibis hervor, und man kann niemanden nur aufgrund bestimmter Ungereimtheiten hinter Gitter stecken. Im wirklichen Leben ist es eben so, dass nicht alles einen Sinn ergibt, und das hier ist das wirkliche Leben, nicht eines deiner Bücher.«
Und wenn doch?, dachte ich.
»Die Leiche wurde nie gefunden«, erinnerte Adam. »Diese Menschen erhielten niemals Gewissheit. Lass sie in Frieden.«
Als ich meine Schuhe auf der Terrasse abklopfte, kochte ich innerlich immer noch vor Wut. Drinnen warf ich die Jacke übers Sofa; auf dem Wohnzimmertisch davor waren Elijahs bunte Bauklötze zu einer Pyramide aufgetürmt.
Nachdem ich hinaufgegangen war, stellte ich mich in den Türrahmen unseres Büros, wo Jodie über einer Reihe von Lehrbüchern zur Psychologie sowie Ordnern fotokopierter Zeitschriftenartikel brütete. Einen Zeigefinger hatte sie in den Henkel einer dampfenden Tasse gehakt, die nach Kamillentee duftete.
»Arbeitest du fleißig?«, fragte ich.
»Von nichts kommt nichts.«
»Hast du das Holzding unten auf dem Tisch gebaut?«
»Welches Holzding?« Sie behielt die Nase über den Seiten, drehte den Kopf nicht, um mich anzusehen.
Ich gluckste. »Komm schon, die Klötze auf dem Wohnzimmertisch.«
Jetzt erst wandte sie sich mir zu. Ohne Schminke wirkte sie natürlich, aber auch irgendwie streng. »Ich versuche, hier weiterzukommen. Was willst du mir sagen?«