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»Jemand hat unten auf dem Tisch Spielklötze gestapelt.«

»Du siehst irgendwie verändert aus«, stellte Jodie fest, als sie mich einen Tick zu lange musterte, mir entging nicht, dass sie meine Gedanken lesen wollte. Ich glaubte, ich stünde nackt in der Tür. »Alles in Ordnung?«

»Was meinst du?«

»Weiß nicht. Du bist schon seit Tagen nicht mehr du selbst.«

»Wer bin ich sonst?«, fragte ich und kam nicht umhin, an jene Nacht zu denken, als Jodie behauptet hatte, sie sei, als sie vom Bett ins Bad gegangen war, im Spiegel auf mein Gesicht gestoßen.

Ich war du.

»Du weißt, was ich meine«, sagte sie.

»Nein, tue ich nicht. Erklär es mir.«

Jodie seufzte. »Weshalb gehst du nicht duschen und rasierst dich? Ein bisschen Wasser kann nicht schaden; du wirst dich danach besser fühlen.«

»Mir geht es gut.«

»Du kommst mir vor, als hättest du einen Geist gesehen.«

Mir graute vor diesem Wort.

»Vielleicht arbeitest du zu verbissen an diesem neuen Projekt. Gönn dir ein paar Tage Pause.«

»Gut.« Ich wollte nicht länger diskutieren.

»Du bist gestresst. Deswegen hast du auch ständig Albträume.«

»Was für Albträume?«

»Keine Ahnung.« Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Du winselst wie ein Welpe im Schlaf.«

»Tu ich das?«

»Es ist Stress.« Damit widmete sie sich wieder ihrer Arbeit.

»Was ist nun mit diesen Klötzen?«, fragte ich ihren Rücken.

»Ich weiß wirklich nicht, wovon du verdammt noch mal sprichst. Ich spiele nicht mit Bauklötzen.«

Ich kehrte nach unten zurück, räumte den Tisch ab und trug alles in den Keller, wo ich es zurück in den blauen Plastikeimer warf. Dann setzte ich mich schnaubend an Elijahs niedrigen Schreibtisch, wobei ich die Beine verdrehen musste und dennoch mit den Knien anstieß. Schließlich schlug ich einen meiner Blöcke auf.

Earls Kleinformate fielen mir entgegen, zuoberst Veronica undeutlich hinter Wacholdern. Einmal mehr beschlich mich das penetrante Gefühl, etwas versuche, mich aus diesen Fotos anzuspringen oder winke mit den Armen wie ein Ertrinkender, um sich bemerkbar zu machen. Allerdings wusste ich nach wie vor nicht, was es war.

Die Lösung tritt beim Schreiben zutage, sagte ich mir, griff zu einem Stift und legte die Bilder neben den aufgeschlagenen Block.

Mein Tutor für kreatives Schreiben am College meinte einmaclass="underline" »Fiktion ist sehr häufig die bessere Wirklichkeit; Gräuel sind leichter verdaulich, wenn man sie herausputzt und tanzen lässt wie Zirkusclowns.«

So ließ ich mich von meinen eigenen Worten zum fehlenden Puzzleteil leiten, indem ich ausladende Beschreibungen zu jedem von Earls Schnappschüssen verfasste – das ledrig graue Wasser und die krumme Treppe, die aus der glasigen Oberfläche emporstieg, die Streifenwagen vor üppig grüner Sommervegetation unter vorbeifliegenden Cumuluswolken am Horizont. Ich verlieh Veronicas leerem Blick Ausdruck und enthob Davids von Polizeimützen nahezu verdecktes Gesicht der Unkenntlichkeit.

(Obwohl ich es nicht mit Gewissheit sagen konnte, würde ich schwören, dass während des Schreibprozesses etwas hinter mir lauerte – unterschwellig, zögerlich – und anfing, die Holzklötze am Boden erneut aufzutürmen. Dessen wurde ich nur vage, wie in geistiger Umnachtung, ähnlich einem Trinker gewahr, der seine Eskapaden am Morgen nach dem Zechen nur bruchstückhaft rekapitulierte.)

Ich war so ins Formulieren und Betrachten der Fotos vertieft, dass ich nicht bemerkte, wie Jodie die Kellertreppe herunterkam. Als sie sich räusperte, um ihrem Groll Luft zu verschaffen, ging ich vor Schreck beinahe an die Decke.

»Jesus«, rief ich mit rasendem Puls.

»Was treibst du hier?« Sie lehnte mit verschränkten Armen vor der Brust an dem Loch in der Wand. Ob bewusst oder nicht, wagte sie keinen Schritt herein.

»Was soll ich schon treiben?« Rasch schob ich einen der Blöcke über die Fotos.

»Dieses Zimmer«, begann Jodie. »Diese Sachen. Ich dachte, du wolltest sie abholen lassen.«

»Wollte ich.«

»Und wo liegt das Problem?«

Ich war versucht, sie anzulügen.

Ehe ich mir jedoch eine Antwort zurechtgelegt hatte, zerstob sie meine Gedanken. »Du machst mir Angst. Mit dir stimmt etwas nicht.«

»Liebes …«

»Spiel es nicht herunter. Hast du in letzter Zeit einmal in den Spiegel geschaut? Du siehst beschissen aus.«

»Ich weiß. Ich weiß. Aber ich stehe kurz vorm Durchbruch.«

»Kurz vorm Durchbruch«, sprach sie mir nach. »Wahnsinn trifft es wohl eher.«

»Ich versuche bloß, mir etwas begreiflich zu machen.«

Sie tippte sich mit zwei Fingern ans Kinn und sah aus, als kämen ihr gleich die Tränen. Bei den folgenden Worten zitterte ihre Stimme: »Adam meint, du besuchst nacheinander alle Nachbarn und fragst sie über den Jungen aus, der hier gestorben ist.«

»Adam begreift das nicht.« Ich musste mich zusammenreißen, um nicht aufzubrausen. Am liebsten hätte ich ihn als Hurensohn bezeichnet, der seine Nase in seine eigenen Angelegenheiten stecken sollte. »Was mit dem Jungen geschah, war kein Unfall. Es war Mord.«

Mir gefiel es nicht, wie Jodie mich anblickte – wie einen Fremden, und sie wolle ergründen, wo ich hergekommen war.

»Adam sorgt sich um dich.« Sie überging mich, als hätte ich nichts gesagt. »So wie ich.«

»Dazu besteht kein Grund. Ehrenwort.«

»Ich befürchte nur, du tust es wieder …«

»Was wieder?«

»Das Gleiche wie nach der Beerdigung deiner Mutter. Du wurdest depressiv und kamst nicht aus dem Bett. Dein Zwangsverhalten … du bist auf dem besten Wege zurück in diesen Zustand.« Ihre Stimme überschlug sich. »Du sitzt hier unten in diesem bedrückenden gottverdammten Sarg von einem Zimmer und spinnst dir Geschichten über tote Kinder zurecht. Ich finde das furchtbar.«

Irgendwie gelang es mir, ihr ein schwaches, harmloses Lächeln zu schenken. »Du hast es eben vor zehn Minuten gesagt – es liegt am Stress. Ich bin zu angespannt, du hast ja recht.«

Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt.

»Oben, schon vergessen? Du hast gemeint, ich solle mir eine mehrtägige Auszeit gönnen. Wir könnten gemeinsam etwas –«

Jodies Kopfbewegung wurde immer vehementer. »Nein«, wisperte sie. »Nein, Travis. Das war gestern Abend, nicht vor zehn Minuten. Du sitzt jetzt schon fast einen ganzen Tag hier.«

Das kam mir so absurd vor, dass ich losprustete. Rückblickend schätze ich, dieses Lachen schockierte sie mehr, als dass es Spannungen abbaute; zugegebenermaßen war es um meinen Geisteszustand damals nicht zum Besten bestellt. »Wovon sprichst du?«

»Du bist seit gestern Abend hier.«

»Das ist nicht –« Ich schnitt mir selbst das Wort ab. Mein Kopf schwirrte wie ein Feuerwerkskörper. Verzweifelt versuchte ich die Stücke zusammenzufügen, die Uhrzeit und das Datum, aber es gelang mir nicht. War es tatsächlich denkbar? »Jodie …« Ich ging einen Schritt auf sie zu.

Sie trat einen zurück und hielt beide Hände vor. »Nein. Stop.«

»Babe –«

»Schluss jetzt. Ich will, dass du damit aufhörst. Mach dich davon los.«

»Ich bin nicht –«

»Du jagst mir eine Heidenangst ein.«

Ich blieb mit einem Fuß über der Schwelle des verstecken Zimmers stehen. Jodie hatte sich zu Waschmaschine und Trockner geflüchtet. Sie streckte die Arme nach wie vor abwehrend von sich, dass es mir das Herz brach. Meine Frau war eindeutig und tatsächlich verstört, ihre Furcht vor mir indes unbegründet, denn ich hatte weder an sie noch sonst jemals gewaltsam Hand an das weibliche Geschlecht gelegt. Sie brachte mich zum Zittern.