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Altheas Geschichte von dem Geistermädchen machte mir weniger Angst, sondern sorgte dafür, dass ich mich mit Unverständnis plagte, das meine Eingeweide wie ein hitziger Parasit rumoren ließ. Deutete ich jene nächtlichen Geräusche falsch, genauso wie den Handabdruck an der Kellerwand und die seltsamen Wasserflecke auf dem Betonboden, die einem Kinderfuß viel zu ähnlich sahen? Die volkstümliche Kultur lehrt uns, Geister seien rastlose Geschöpfe im Sinnen nach Sühne und Rache an denjenigen, die ihnen Schlechtes angetan haben, aber ist das alles nichts als Nonsens? Ich konnte nicht anders, als mir Altheas Worte abermals vorzusagen: Ich würde gern glauben, dass sie mit mir fühlte, weil ich in jenem Sommer so allein war und mich nach Freundschaft sehnte. Falls dem so war – entging mir irgendetwas inmitten des Wirrwarrs um Elijah und David?

Früher oder später musste ich an Jodie denken. Ich war du. Mein Interesse an den Dentmans hatte sie bereits so aus der Fassung gebracht, dass sie zu meinem Bruder gezogen war. Dafür verachtete ich mich.

Kann ich die Angelegenheit nicht einfach vergessen? Ich will das Handtuch werfen und dieses angebliche Mordmysterium als Debakel abhaken, die Räumungsfirma wieder anrufen, um Elijahs Sachen aus dem Keller zu schaffen, und meine gottverdammten Notizblöcke vernichten. Kann ich es nicht einfach von mir weisen und zulassen, dass mein gemeinsames Leben mit Jodie seinen geregelten Lauf nimmt?

Nein, ich glaubte nicht, dass ich es vermochte. Ferner war mir, als stünde es mir überhaupt nicht zu.

Als ich die Vororte von Westlake erreichte, bremste ich hinter einer kurzen Autoschlange, die sich vor einer Ampel gebildet hatte. Ich streckte mich zur Seite, klappte das Handschuhfach auf und kramte darin herum, bis ich einen Stift und einen Streifen Papier in der Hand hielt, der sich als Rechnung für Bürobedarf erwies. Auf die Rückseite schrieb ich: Es heißt, die Natur kenne kein Aussterben. Es war der perfekte Einleitungssatz für meinen Roman Floating Staircase - Die Treppe im See, falls ich ihn je vollendete.

Als die Ampel auf Grün schaltete, hupte der Fahrer hinter mir.

Schreckhaft, wie ich war, durchfuhr es mich, als hätte jemand einen Schuss abgegeben. Ich stand kurz davor, etwas Unfassbares ans Tageslicht zu befördern, das wusste ich ohne Frage, obwohl ich keine Ahnung davon hatte, weshalb ich mir so sicher war. Auf dem restlichen Weg gab ich ordentlich Gas.

Das Haus war ein finsterer Kasten. Der Schnee hatte im anhaltend milderen Wetter zu schmelzen begonnen. Am Rand unseres Grundstücks zeigte sich vereinzelt graues Gras. Während ich den Schotterweg hinauffuhr, streiften die Hartriegel den Honda zu beiden Seiten. Einen winzigen Rest Hoffnung hegte ich, Jodie wartete zu Hause, aber der nüchterne Teil meiner selbst in mir wusste, dass dies nicht der Fall war. Sie konnte stur sein und hielt sich bestimmt an ihren Entschluss.

Nachdem ich ausgestiegen war, blieb ich stehen und betrachtete das Haus, als wäre es wie aus dem Nichts vor mir aufgetaucht. Der schmelzende Schnee lastete schwer auf dem Vordach, und die Fenster sahen aus wie mit Sand überzogen.

Ich werde verhindern, dass meine Ehe wegen diesem Bullshit zerbricht, nahm ich mir vor. Die Entrümpler anzurufen, die unseren Keller von Elijahs Zeug befreien sollten, hatte ich fest eingeplant. Danach würde ich hinüber zu Adam gehen und mit Jodie sprechen.

Hinter dem Haus machte ich mich auf den Weg zwischen den kahlen Bäumen hindurch zum See. Die Kiefern um mich herum schienen verschwörerisch zu tuscheln. Als das Gewässer in Sicht kam, blieb ich stehen. Es war, abgesehen von einer Scholle in der Mitte, die von den Umrissen her an den Staat Texas erinnerte, mittlerweile aufgetaut. So sah ich wirklich zum ersten Mal das Wasser. Es schimmerte im Licht des Mondes.

Wirf einen Anker aus, hörte ich meinen Therapeuten.

»Sei verdammt noch mal still«, fuhr ich die Stimme an, kehrte um und ging zum Haus zurück.

Drinnen war es verflucht kalt. Die Dunkelheit drückte von draußen gegen die Fenster. Ich schaltete wenige Lichter ein. Ich ging in den Keller und holte Earls Fotos von der Suchaktion der Polizei und hängte sie mit Magneten an die Kühlschranktür. Nachdem ich mich mit kaltem Hühnchen auf dem Schoß am Boden niedergelassen und an die Küchenwand gelehnt hatte, musterte ich gründlich die Motive. Etwas in diesen Szenen entging mir. Es war wichtig, entzog sich jedoch meiner Wahrnehmung.

Wirf einen Anker aus.

Mir blieb nur noch eines; komischerweise war es etwas, worauf mich mein Bruder neulich beim Holzhacken im Hinterhof gebracht hatte: Mörder handeln nach Motiv, Unschuldige bringen Alibis hervor, und man kann niemanden nur aufgrund bestimmter Ungereimtheiten hinter Gitter stecken. Ich griff zum Telefon und hämmerte Earls Nummer in die Tasten. Ein paarmal klingelte es, bis er sich schlaftrunken mit rauer Stimme meldete.

»Sorry, wenn ich Sie geweckt habe«, sagte ich. »Travis hier.«

»Schießen Sie los«, grummelte er. »Wie lief es bei Althea?«

»Sie ist eine herzensgute alte Frau, die einen qualvollen Tod stirbt. Ich bemitleide sie schrecklich.«

»Was wusste sie über die Dentmans zu erzählen?«

Ich unterbreitete ihm die Geschichte von Elijahs ominöser zweitägiger Erkrankung und der Erklärung des Jungen, er sei während jener Zeit »weggegangen«. Außerdem bekam Earl die Sache mit den toten Tieren zu hören, die der Junge gesammelt hatte, und dass sein Onkel deswegen aus der Haut gefahren sei. »Wie heftig sein Gefühlsausbruch war«, hängte ich an, »ist die Eine-Million-Dollar-Frage.«

»Haben Sie Ihre Theorie geschildert? Dass David den Kleinen ermordet hat?« Da war eine jugendliche Ausgelassenheit, die durch die Stimme des alten Mannes lief.

»Fest steht nach meinem Gespräch mit Althea nur, dass die Dentmans eine schräge Familie waren. Sie wusste auch nichts Definitives.«

»Stecken wir in einer Sackgasse fest?«

Meine Augen ruhten nach wie vor auf den Fotos am Kühlschrank. »Nicht ganz. Eine Bitte hätte ich an Sie, und ich will ehrlich sein, ich fühle mich wie der letzte Arsch, Sie so etwas zu fragen.«

»Unsinn.«

»Ich will bloß nicht, dass Sie sich Ärger einhandeln.«

»Ich bin ein großer Junge. Weshalb weihen Sie mich nicht einfach in Ihren kleinen Plan ein und lassen mich dann entscheiden, wie viel Ärger ich ernten könnte?«

Ich rückte mit meinem Plan heraus. »Verwenden Sie einen anderen Namen«, riet ich ihm zuletzt. »Falls Ihnen spontan keiner einfällt, geben Sie ihnen meinen. Sie dürfen nicht mit hineingezogen werden.«

»Himmel«, raunte er und ließ einen Pfiff folgen. »Sie können höllisch raffiniert sein, wenn Sie wollen, Junge, ist es nicht so?«

»Ich erhoffe mir nicht sonderlich viel davon. Wirklich, ich bin mir nicht einmal sicher, was Sie vorfinden werden oder was ich damit beweisen kann. Erst muss ich es mit eigenen Augen sehen.«

»Ich werde mich gleich morgen früh darum kümmern«, versprach Earl. Im Hintergrund hörte ich eines seiner Tiere winseln. Ich rief mir den monströsen Wolfshund wieder vor Augen, der die Anrichte in Earls winzigem Wohnmobil bewachte.

»Seien Sie einfach vorsichtig«, bat ich und legte auf.

Gegen acht Uhr machte ich mir ein Erdnussbuttersandwich mit Marmelade und eine Tasse Kaffee. Damit und mit den Fotos vom Unglücksort zog ich mich wieder in den Keller zurück.

Ich übersehe etwas.

Etwas Wichtiges.

Unten herrschte kohlrabenschwarze Finsternis, so undurchlässig wie geteertes Papier. Die Glühbirne an der Decke hatte den Geist ganz aufgegeben, aber Ersatz konnte ich nicht finden, also stöberte ich eine Taschenlampe auf und leuchtete in Elijahs verborgenes Zimmer. Jemand hatte auf dem Schreibtisch eine Treppe aus seinen Holzklötzen aufgebaut. Ich starrte darauf, wobei ich die Tasse in einer Hand hielt und den Lichtkegel mit der anderen darauf richtete; die Bilder klemmten unter einem Arm, und der Kaffee brannte mit jedem Schluck bis in meine Zehenspitzen. Das Tolle am Kaffee ist, dachte ich, dass er einem beisteht, komme, was da wolle.