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»Ich schätze, ich hielt es einfach nur für eine gute Idee«, behauptete Adam und riss mich damit aus meinem Wachtraum. »Ihr seid gerade erst eingetroffen und so. Immerhin wohnen wir quasi gegenüber, und da dachte ich …« Sein Ehering klackte an die Weinflasche. »Müssen wir uns aussprechen, du und ich?«

»Ich glaube nicht.«

»Als wir das letzte Mal auseinandergingen, taten wir es ja nicht im Guten.«

Ich schaute in die Ferne. Der Schnee schimmerte im Mondlicht, als sei er nicht von dieser Welt. »Vergiss es einfach. Wir waren beide betrunken.«

»Es hat mich lange Zeit belastet.«

»Es liegt in der Vergangenheit.«

»Empfindest du wirklich so, was das angeht? Nimm‘s mir nicht übel, falls doch nicht.«

Einen Augenblick lang ging ich tief in mich. Ich musste schließlich einsehen, dass ich nicht wusste, was ich empfand. Da ich befürchtete, mein Schweigen könne mich entlarven, beteuerte ich: »Sicher.«

»Wir haben bereits zu viel Zeit vergeudet, und zwar für nichts und wieder nichts.«

»Jetzt können wir alles nachholen«, stellte ich in Aussicht.

Er nickte einmal flüchtig. »Gut. Das wäre toll. Nichts lieber als das.«

»Also ist die Sache vom Tisch. Schwamm drüber. Lassen wir die Vergangenheit ruhen. Schnee von gestern und alle anderen Sprüche, die mir gerade nicht einfallen wollen.«

Adam gluckste und nippte am Portwein. »Ich sollte besser wieder zurück – außer du willst dir mit mir mit dem Rest von diesem Zeug die Kante geben?«

»Nein, danke.«

»Willst du dir lieber allein die Kante geben? Ich lass dir die Flasche hier.«

Ich lächelte. »Morgen vielleicht.«

Adam hievte sich vom Geländer ab. »Na gut.« Er kratzte sich mit seinen langen Fingern am unrasierten Hals, was sich anhörte, als bearbeite er die Haut mit Schmirgelpapier. Mir dämmerte, dass er sich den Mut, mir sein Herz auszuschütten, größtenteils angetrunken hatte. »Du weißt ja, wo du mich findest. Fühl dich bei uns wie zu Hause.«

»Es tut gut, dich wiederzusehen«, rief ich ihm hinterher, während er durch den Schnee zurück zu den Bäumen trottete.

Er hob eine Hand als Antwort, ohne sich umzudrehen.

Ich schaute ihm nach, bis ihn die Dunkelheit verschluckte.

Kapitel 4

Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf hoch.

Wo bin ich?

Mein Herz pochte in meiner Brust, ich spürte eine erstickende Panik in meinem Körper aufwallen, es dauerte Sekunden mich daran zu erinnern, wo ich war. Wir waren nicht mehr in jener verschrobenen, kleinen Wohnung im Norden Londons; wir lagen im neuen Schlafzimmer unseres neuen Hauses in Westlake, Maryland.

Nur ein Traum … ein schlechter Traum …

Neben mir schlief Jodie geräuschvoll. Ihre Füße und Beine, wohlig und warm, waren unter der Decke an meine geschmiegt. Einen Augenblick lang betrachtete ich sie, meine Augen gewöhnten sich langsam an das Dunkel des Raumes.

Es war noch jemand hier.

Dies dämmerte mir in keinem klaren Gedanken, sondern weil sich meine Nackenhaare aufrichteten, als ich mich aufsetzte. Ich war mir dessen instinktiv bewusst, wohl aufgrund einer Art ursprünglicher Vorahnung, und konnte es mir deshalb nicht rational erklären. Trotzdem spürte ich sie mit einem Mal, diese seltsame, unsichtbare Präsenz.

Ich starrte auf die offene Zimmertür gegenüber. Es war zu dunkel um etwas klar erkennen zu können. Wenn ich lange genug in den Raum starrte, mochte ich mir alles Mögliche zurechtspinnen.

Vorsichtig schlug ich die Decke zurück und verließ das Bett. Das Haus kam mir im Dunkeln noch fremder vor. Auf dem Flur des Obergeschosses fand ich mich schließlich zurecht, indem ich mit einer Hand an der Wand entlangtastete, bis ich das Treppenhaus erreichte. Um mich herum knarzte das Haus im Wind. Ich beugte mich über das Geländer. Geisterhafte Rechtecke des Mondlichtes schimmerten auf dem Teppich. Irgendwo im Bauch des Hauses zählte eine Uhr laut tickend die Sekunden.

Mein Atem stockte, als ich einer kleinen Gestalt in der hinteren Ecke der Diele gewahr wurde – sie war ein noch schwärzerer Fleck inmitten der Dunkelheit. Ich machte einen Kopf aus, eine Wange und den Verlauf des Halses. Je länger ich die Gestalt anstarrte, desto undeutlicher erschien mir der Mensch, als blickte man direkt auf einen entfernten Stern, der verschwamm, sobald man ihn fixierte. Nach einigen weiteren Herzschlägen hob sich die Gestalt nicht mehr großartig von der Unzahl unausgepackter Kisten und Möbel ab.

Unten zog ich meinen Parka an, weil ich nichts außer einem Unterhemd und der Pyjamahose trug. Dann schlüpfte ich in die Turnschuhe, die noch an der Haustür standen. Mit einer Hand kramte ich bereits in der Tasche nach meinen Zigaretten und dem Feuerzeug.

Als ich in die Nacht trat, brach die Kälte erbarmungslos über mich herein. Mit einem Mal spürte ich meinen Körper mit jedem Molekül, und selbst in dem Parka bekam ich Gänsehaut an den Armen. Schlotternd merkte ich, wie sich meine Hoden in den Unterleib zurückzogen. Nachdem ich die Zigarette mit zittrigen Händen angezündet hatte, zog ich kräftig daran – ich hatte es bitter nötig.

Während ich Adams Fußspuren im perlweißen Schnee betrachtete, fiel mir unsere jüngste Unterhaltung wieder ein. Ich wollte sie aber nicht gerade jetzt noch einmal Revue passieren lassen, also schlenderte ich neben das Haus und blieb vor einer Baumgruppe stehen. Die Ecke hielt den beißenden Wind vorübergehend fern. Der Garten wirkte teuer, surreal, unberührt. Vor mir erstreckte sich ein Fleck im Schnee, mein Schatten war riesig. Die Reinheit des Territoriums.

Ich bildete mir ein, ich sah eine Gestalt sich nur wenige Meter entfernt im Dunklen bewegen. Sie schien flugs aus dem Schutz der Bäume über den Rasen zu huschen. Ihre Umrisse zeichneten sich einen Moment lang vor dem mondbeschienenen See ab. Ich erstarrte mehrere Sekunden, vorbereitend auf die Rückkehr der Gestalt. Da sie allerdings auf sich warten ließ, begann ich, meinen Augen zu misstrauen, genauso wie gerade eben drinnen.

Schließlich ging ich weiter auf den Hinterhof. Bei den meisten Bäumen handelte es sich um Tannen, die in dichtem Winterkleid ihr Bestes gaben, um das Mondlicht abzuhalten. Weiter im Hintergrund standen Reihen hoher Eichen, die ohne Laub nunmehr wie Gerippe aussahen. Von meiner Warte aus erkannte ich einen einzelnen Lichtfleck, der auf der zugefrorenen Wasseroberfläche glitzerte.

Ich schlug mich weiter durch die Bäume vorwärts. Der Wind war erbarmungslos, biss sich in jede freie Stelle meines Fleisches, und ich schlang die Arme um meinen Oberkörper, um mich zu wärmen. Tränen strömten aus meinen Augen, brannten auf meiner Haut und erstarrten zuletzt an meinen Wangen. Je näher ich dem Ufer kam, desto steiler fiel die Böschung ab, und der Schnee war nicht mehr so tief. Beim Auftreten durchbrach ich eine dünne Eisschicht und sank mit meinem Turnschuh etwas ein. Augenblicklich sickerte kaltes Wasser hinein und ließ meinen Fuß erstarren.

»Shit.«

Mein Schuh gab ein Schmatzen von sich, als ich meinen Fuß aus dem frostigen Schneematsch befreite. Indem ich mich an einen Baum lehnte, bemühte ich mich, das Bein meiner Schlafanzughose auszuwringen. Meine Zehen waren bereits taub. Direkt mir gegenüber im See öffnete sich die Eisschicht und reflektierte. Die seltsame Struktur darin ragte kerzengerade aus dem Eis und wirkte im schwachen Mondlicht milchig. Erst aus dieser neuen Perspektive wurde mir bewusst, wie groß sie wirklich war, wobei es sich weder um einen Fels noch um eine Steinformation handelte. Sie war eindeutig von Menschen erschaffen worden.