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Adam wirkte verwirrt und beklommen, aber irgendwie auch erleichtert.

»Ich bin nicht verrückt«, bekräftigte ich dann.

Adam blickte in den Schacht, den das hohle Treppengerüst bildete. »Schau!«

Verblüfft sah ich noch etwas auftauchen – mehr Knochen, aber nicht nur das: Es war ein zweiter Torso.

»Adam …« Die Stimme klang gequält, meine Kehle war wie zugeschnürt, ich konnte mich nicht richtig artikulieren.

Wir beide standen da und schauten zu, wie zahllose Knochen an die Oberfläche drängten. Sie wippten auf und ab wie Äpfel in einem Wasserfass, bis sie die gesamte Öffnung ausfüllten. Auch Schädel befanden sich darunter. Winzige Schädel.

Über all dies dachte ich nach, schloss meinen Koffer und kehrte nach oben zurück, wo ein nettes Abendessen auf mich wartete.

Tiere. Tierknochen. An einem der größeren Skelette hing sogar noch ein Hundehalsband, dessen Leder schwarz und schleimig, im schwachen Licht blinkte matt die Messingplakette mit dem Namen, es reichte, um ihn lesen zu können: Chamberlain.

»Warte«, sagte Adam. »Was ist das hier?«

»Das Massengrab von Elijahs Schoßtieren«, entgegnete ich, ehe ich auf den Stufen zusammenbrach, zu schwach, um mich noch auf den Beinen zu halten.

Mit einer Hand packte Adam mich an der Schulter, bewahrte mich davor kopfüber ins schwarzkalte Nass zu kippen.

In dieser Nacht kam Jodie zurück nach Hause. Ich versprach ihr, dass ich damit fertig war und alles hinter mir lassen würde. Etwas in ihr brach, und als sie in meinen Armen weinte, war ich zuerst entsetzt, doch je länger ich sie hielt, ihr Beben und Schluchzen an meiner Brust spürte, wurde ich zuversichtlicher, dass sie okay war. Sie musste sich ausheulen, also ließ ich sie. Außerdem wurde mir bewusst, dass ich meine Frau schon ewig nicht mehr gehalten hatte.

(Zwei Nächte nach dem Vorfall ging ein schweres Unwetter über der Stadt nieder und zerstörte die Reste der Konstruktion im See. Am Morgen war nichts weiter übrig als ausgebleichte Holzbohlen, die die Sturmwellen ins froststarre Schilf gespült hatte.)

Ich legte eine mehrtägige Schreibpause ein, teils weil mich die Grippe, die ich mir beim Hacken im beinahe null Grad kalten Wasser eingefangen hatte, nachträglich schwächte, aber am meisten wegen Jodie, der ich diese Zeit schuldig war. Wir schliefen mehrere Nächte in Folge miteinander und gingen zusammen ins Kino wie ein verliebtes High-School-Pärchen und ich half ihr bei der Reinschrift ihrer Dissertation. Zum Valentinstag schenkte ich ihr Blumen und Schokolade, sie mir überbackene Makkaroni, mein Lieblingsessen. Wir schauten uns bis in die frühen Morgenstunden alte Woody-Allen-Streifen an. In den Wochen nach meinem Nervenzusammenbruch auf der Treppe war alles perfekt.

Dann rief mich eines regnerischen Nachmittags Earl an und sagte: »Junge, Sie sind ein verdammtes Genie.« Und alles ging von vorne los.

Kapitel 30

Als ich in Tooeys Kneipe aufkreuzte, hatte sich der Nieselregen zu einem gleichmäßigen Prasseln ausgewachsen, das Krater in den grau werdenden Schneehaufen an der Hauptstraße hinterließ.

Am vorangegangenen Tag hatte ich mich mit Earl vor seinem Wohnmobil getroffen, wo er mir mit kindlicher Freude einen käsegelben und mit Packband verklebten Umschlag aushändigte. Von innen drang Gebell.

»Ich kann nicht fassen, dass es funktioniert hat.« Ich wog den Umschlag in der Hand. Es hatte lange gedauert, wobei ich ohne Erwartungen war, es könne überhaupt zu etwas führen.

»Ich gab mich, wie Sie es mir rieten, als Gewerkschafter aus, und wir bräuchten Papierkram für eine bevorstehende Finanzprüfung.« Der alte Mann grinste wie jemand, der ein großes Geheimnis lüftete. Wäre er nur ein wenig jünger, würde er zweifellos auf seinen Fußballen federn. »Sie haben es mir abgekauft.«

»Das gibt‘s ja nicht«, sagte ich. »Hören Sie, ich weiß, dass Sie Journalist sind. Ohne Ihnen nahetreten zu wollen: Besteht irgendeine Chance, dass Sie –«

Er schnitt mir das Wort ab. »Ich werde nichts davon abdrucken, bis ich Ihre Rückmeldung habe.«

»Vielen Dank.« Ich schaute gedankenverloren auf den Umschlag.

»Sie wissen, was das bedeutet«, sagte Earl leise.

»Natürlich«, erwiderte ich. Es war uns beiden klar. »Natürlich …«

Nun ging ich über die Sägespäne am Boden des Tequila Mockingbirds zu einem Tisch im hinteren Bereich. Von meinem Stuhl aus hatte ich die Tür im Auge. Die Jukebox spielte einen melancholischen Country-Song, der manchen Gast an der Theke die Schultern hängen ließ. Der Regen trommelte aufs Blechdach und strömte an den Fensterscheiben herunter. Das Etablissement wirkte deprimierend leer – gleich einem von Vandalen geschändeten Grab. Ich schaute auf meine Armbanduhr.

Tooey Jones kam an den Tisch, mit einem Tuch polierte er ein Glas. »Eine der wenigen verlorenen Seelen, die es wagen, dem Regen zu trotzen«, grüßte er. »Was darf es sein?«

Ich orderte ein Glas Wasser, das ich hinunterstürzte, kaum dass er es gebracht hatte, sowie einen Gin Tonic (um niemanden skeptisch zu machen). Allerdings blieb er unberührt neben dem Umschlag, den ich von Earl bekommen hatte, auf dem Tisch stehen. Der alte Country-Song verklang und aus der Jukebox kam etwas von Charlie Rich. Gegenüber im Raum wirkten die gerahmten Motive von Lieder der Unschuld und Erfahrung unpassend – irrationale Schreckbilder, die irgendwie in einen ansonsten banalen Traum eingedrungen waren. Meine Augen blieben auf den Replikaten von Der kleine Junge, verlorengegangen und Der kleine Junge, gefunden hängen.

Als Adam eintraf, klebte sein Haar nass vom Regen am Kopf, und er hauchte sich in die Fäuste, um sie zu wärmen. Nachdem er am Tresen ein Bier bestellt hatte, kam er an den Tisch und nahm mir gegenüber Platz. Er trug keine Dienstkleidung – Kakihosen, ein aus der Mode gekommener American-Eagle-Sweater, hüftlangen Mantel mit Ärmelbund beziehungsweise Kragen aus Cord – und sah erschöpft nach einem langen Tag aus.

Ich versuchte, so gelöst wie möglich zu wirken.

Unter dem Vorwand, mich nach brüderlicher Geselligkeit zu sehnen, hatte ich Adam am Morgen angerufen und gebeten, nach der Arbeit ein paar Bier im Mockingbird mit mir zu trinken. Earls Umschlag – er klemmte unterm Tisch zwischen meinen Knien – hatte ich nicht erwähnt, geschweige denn den Inhalt. Ich sah vor, es ruhig angehen zu lassen und meinen Bruder mit Small Talk bei Laune zu halten; vielleicht ging auch der Rest meines Planes auf.

Gerade als Jodie und ich die Krise, oder einfach, wie ich es beschönigte, die missliche Sache – meinen Zusammenbruch auf dem Treppengestell – überwunden hatten, schienen die Spannungen zwischen Adam und mir ebenfalls aufgehoben. Ob es natürlich eingerenkt oder Heuchelei war – wir verstanden uns wieder als Brüder. (Unnötig zu erwähnen, dass ich eines wusste: Meine Absichten an diesem Abend – nicht zu vergessen, was auf meinem Schoß ruhte – mochten zerstören, was wir wiederaufgebaut hatten, obwohl ich es nicht darauf anlegte. Wäre ich, was den Inhalt des Umschlags anging, unsicher gewesen, hätte ich ihn bereits zu Hause ins Feuer geschmissen und die Dentmans im Beisein meines Bruders nie wieder erwähnt.)

»Du siehst gut aus«, meinte Adam über den Rand seines Bierglases. »Wie geht es dir?«

Wir hatten die Erkältung beide ausgesessen – er war auch krank geworden, nachdem er mir an jenem Nachmittag auf die schwimmende Treppe gefolgt war –, und ich saß nun frisch rasiert und mit geschnittenen Haaren vor ihm.

»Besser«, behauptete ich. »Kräftiger.« Kurz befürchtete ich, er bemerke die Unsicherheit, die unterschwellig in meinem Tonfall mitschwang.