Adam schrie etwas Unverständliches und stemmte sich von oben gegen Dentmans Schulter, als befürchte er, der Brocken könne davonfliegen. »Unten bleiben. Keine Dummheiten.«
Dann sah ich Handschellen. Die geriffelten Manschetten ratterten im Kreuz des Mannes.
Tooey stürmte hinterm Tresen hervor. »Was ist los?« Er hielt inne, als er die Handschellen sah.
»Aufstehen«, befahl Adam Dentman von hinten.
Zuerst bewegte er sich nicht. Als mich seine Augen wie zum Duell herausfordernd fixierten, vibrierten seine geröteten Wangen sichtlich, rechnete ich damit, dass wir alle so verharren müssten, bis der Weltuntergang hereinbrach und uns zu Staub zerbröseln ließ. Dann aber stützte Dentman einen Fuß auf den Boden und stand auf, wobei Adam ihm half.
Tooey bewegte sich als Nächstes; er eilte herbei und stellte den umgeworfenen Tisch wieder auf.
Adam drehte sich um und führte David Richtung Tür. »Gehen wir, Travis«, sprach er, ohne mich anzuschauen. »Los.«
Ich bückte mich nach den Kopien des Bauunternehmens und steckte sie zurück in den Umschlag. Während Tooey die Stühle am Tisch zurechtrückte, entdeckte ich noch etwas – die Nachricht, die ich in Dentmans Briefschlitz gesteckt und die er zerknüllt in der Faust mitgebracht hatte. Ich nahm sie ebenfalls mit.
Darauf stand:
David, komm morgen gegen siebzehn Uhr nach Westlake ins Tequila Mockingbird, oder Veronica wandert in den Knast.
Ich hatte sie nicht unterschreiben müssen.
Nachdem ich den Zettel in die Gesäßtasche meiner Jeans geschoben hatte, folgte ich Adam und David hinaus in den Regen.
Kapitel 31
Wie sich herausstellte, fungierte Strohmans Büro tatsächlich auch als Verhörzelle, wenngleich nur dann, wenn die eigentliche besetzt war. An jenem Abend führten zwei Uniformierte David Dentman in den wenig einladenden Verschlag, wo ihn Paul Strohman höchstpersönlich erwartete.
Vom Mockingbird bis zur Polizeistation waren wir nur vier, fünf Minuten gefahren, obwohl es mir fast wie eine halbe Stunde vorgekommen war. Adam hatte Dentman auf den Rücksitz gezwungen und mich dazu angehalten, vorne Platz zu nehmen. Nachdem er eingestiegen war, hatte Adam den Schlüssel umgedreht, dann Blaulicht und Sirene eingeschaltet. Geredet wurde nicht, bis wir auf dem Parkplatz vor der Wache eintrafen, wo Adam leise »Steig aus« zu mir sagte.
Als ich nun auf dem Flur vor Strohmans Büro saß, hörte ich, wie einer der Beamten Dentman seine Rechte vorbetete. Jedes Mal, wenn Adam an mir vorbeiging, versuchte ich halbherzig, aufzustehen und nicht fehl am Platz zu wirken, doch stets deutete er mir, ich solle sitzenbleiben, also blieb ich sitzen.
Einer der beiden Uniformierten kam heraus. Er wirkte perplex, mich zu sehen, seine Augen traten komikhaft hervor. Es war offensichtlich, dass ich hier nichts verloren hatte. Jemand anders kam vorbei und reichte mir wortlos einen Becher Kaffee.
Zwei weitere Beamte erschienen am Ende des Flurs. Sie führten Veronica Dentman her, ein wandelndes Gerippe. Sie trug ein zerschlissenes Baumwollnachthemd in verwaschenem Rosa und ansonsten nur noch ein Paar verschmutzte Socken. Sie führten sie wie Krankenpfleger einer Psychiatrie den Gang entlang. Die wirren Haare hingen in filzigen Strähnen in ihr ausgemergeltes Gesicht, und die Augen waren eingesunkene Gruben in der Mitte ihres Schädels. Als sie passierten, machten ihre Socken ein kratzendes Geräusch auf dem Brandschutzteppich. Ich roch die strenge Note von ungewaschener Haut.
Ich fuhr auf wie vom Blitz getroffen und verschüttete dabei fast den Kaffee. Hinter ihnen zog etwas einher, ich fühlte mich von einer Präsenz gestreift – beinahe greifbar, beinahe sichtbar. Kalt wie der Keller von Waterview Court 111. Es beschwor den Gedanken an abgestorbenes Herbstlaub und ungeölte Türscharniere in heimgesuchten Häusern herauf.
Die Bürotür öffnete sich und ich erhaschte einen Blick auf mehrere Personen – darunter auch David Dentman –, bevor Strohman sie rasch hinter sich zumachte. Er hielt den Dienstplan mit der Anwesenheitsliste in der Hand, die jetzt am Rand mit messingfarbenen Heftklammern zusammengehalten wurde. Als er mich dort stehen sah, musste er zweimal hinschauen, wobei die Gummisohlen seiner Schuhe auf dem Linolboden quietschten. »Sagte ich Ihnen nicht, Sie sollten sich aus meiner Arbeit heraushalten?« Er hielt mir die zusammengehefteten Papiere vor.
Bevor ich wusste, wie ich antworten sollte, machte er auf dem Absatz kehrt und schritt den Flur hinunter in ein anderes Zimmer, wo er barsch nach Kaffee verlangte.
Als Adam zurückkehrte, begleitete ihn ein zweiter Beamter, der eine Skimütze und eine Jacke der Redskins über seiner Uniform trug. »Das ist Officer McMullen«, stellte mein Bruder ihn vor. »Er wird dir ein paar Fragen stellen.«
»Ich glaube, euerem Chef wäre ich schweigend lieber«, bemerkte ich.
»Nennen Sie mich Rob«, bot McMullen an, statt auf meine Worte einzugehen. Er hatte hohle Wangen und Augen wie graues gesplittertes Eis. Dabei wirkte er jung genug, um noch den Geruch der Gebärmutter an sich zu haben. »Möchten Sie mehr Kaffee? Nein? Reden wir am Automaten weiter, ja?«
Ein Rundtisch mit Stühlen, die am Boden mit Stahlschrauben fixiert waren, stand unten im Flur. Der Kaffeeautomat dahinter sah aus, als sei er seit dem Vietnamkrieg nicht mehr erneuert worden.
Wir setzten uns und McMullen zog einen Spiralblock aus der Brusttasche seines Hemdes. Über jede Frage, die er mir stellte, schien er sich eine Menge Gedanken zu machen, wobei es in erster Linie darum ging, wie ich an die Dokumente der Baufirma gekommen war. Ich antwortete so wahrheitsgemäß wie möglich, ohne Earl Parsons Namen preiszugeben. McMullen schien sich ohnehin nicht dafür zu interessieren; stattdessen sorgte er sich um die rapide abstumpfende Spitze seines Bleistiftes.
»Sie schreiben Bücher, nicht wahr?«, lautete seine abschließende Frage.
»Was hat das hiermit zu tun?«
McMullen zuckte mit den Schultern und schaute gelangweilt. »Habe es einfach mitbekommen. Bisher bin ich niemandem persönlich begegnet, der Bücher schreibt.« Während er seine Notizen durchsah, fügte er hinzu: »Außer einmal in Philadelphia, wo Pamela Anderson ihre Bücher signiert hat. Sie ist umwerfend, in natura. Sind Sie ihr mal über den Weg gelaufen bei Schriftsteller-Messen oder zu was ihr Typen so geht?«
Ich verneinte.
»Mhm. Schade. Sie ist die verdammt heißeste Braut, in Person. Wirklich … ich meine, manchmal, du weißt schon, sind die … « Er machte eine schlaffe Handbewegung zum Zeichen der Enttäuschung über andere Prominente, denen er vermutlich in der Vergangenheit begegnet war.
»Verdammt riesige Titten.«
»Stehen die Dentmans unter Arrest?«
»Sie werden verhört.«
»Aber offiziell festgenommen hat man sie nicht?«
»Schon mal ein Verhör mitverfolgt?«
»Nein.«
Mit einem Grinsen so breit wie der Kühlergrill eines Sattelschleppers sagte Rob: »Kommen Sie.«
Nachdem wir ein Labyrinth sägemehlfarbig gestrichener Gänge hinter uns gelassen hatten, standen wir vor einer geschlossenen Metalltür mit kleiner Scheibe aus Rauchglas. Sie sah aus wie der Einstieg zu einem U-Boot. McMullen summte eine Melodie, die wie der Titelsong der Muppet Show klang, und tippte einen Code ins Zahlenschloss. Dann öffnete er die Tür und zog sie ein Stück weit auf, ohne mich hineinzubitten. Stattdessen betrachtete er seine Fingernägel, bis ich eintrat. Dann folgte er mir und schloss die Tür, ohne sein Summen zu unterbrechen.
Außer uns war niemand im Raum, welcher kleiner und finsterer war als die Dunkelkammer eines Fotografen. Zwei Klappstühle standen vor einer breiten Glasscheibe, die auf der anderen Seite verspiegelt war. Dort – in einem fensterlosen Zimmer, das ungefähr die Maße von Strohmans Büro hatte – saß Veronica am Ende eines gemeißelten Holztisches. Den Beamten, der ihr gegenüber saß und in sein Notizbuch schrieb, erkannte ich als Officer Freers wieder.