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Kapitel 37

Das wahrscheinlich einzig erwähnenswerte Ereignis während unserer letzten Tage in Westlake, Maryland, trug sich zwei Nächte vor unserer geplanten Abfahrt nach Kalifornien zu, wo nicht weit von San Diegos Gaslight Quarter ein nettes, kleines Appartement auf uns wartete. Ich hatte den letzten Monat damit verbracht, unsere Sachen zusammenzupacken und einen Großteil davon in einer privaten Lagerstätte in der Stadt zu verwahren. Seitdem man Elijahs Leichnam aus dem Haus geborgen hatte, wollte Jodie nicht mehr dorthin zurückkehren, nicht einmal für eine Sekunde. Verübeln konnte ich es ihr nicht. Wir durften für den Rest der Zeit bei Adam und Beth wohnen, während ich versuchte, ein neues Zuhause für Jodie und mich zu finden – weit, weit weg von Westlake, dem Haus am See und der Tragödie der Dentmans.

Dafür ließ ich meine verbliebenen Kontakte aus College-Zeiten spielen. Ich schloss mich mit einem alten Bekannten kurz, einem Drehbuchautor in Los Angeles, der in erster Linie unser Telefongespräch dazu nutzte, mir zu gestehen, dass er auf den Erfolg seines Pseudonyms eifersüchtig war, und kurz vor einer klinischen Depression stand. Nichtsdestotrotz trug die Unterhaltung Früchte: Er wusste von einem Appartement, das erst kürzlich frei geworden war, und kannte den Eigentümer des Wohnhauses, in dem es sich befand, über den Freund eines Freundes und so weiter. Die Aussicht darauf, die kalten Winter zurückzulassen, gefiel Jodie, was bedeutete, dass sie auch mir gefiel.

Zwei Tage bevor der Trip quer durch die Staaten losgehen sollte, saß ich ein letztes Mal im Tequila Mockingbird und wartete auf Adam, mit dem ich mich nach seinem Dienst treffen wollte. Ich hatte eine Karte vor mir ausgebreitet und markierte infrage kommende Strecken mit verschiedenfarbigen Stiften. Der Plan war, nichts dem Zufall zu überlassen. Wir wollten die Zeit nutzen, um das nachzuholen, was während der vergangenen Monate zwischen Jodie und mir zu kurz gekommen war.

»Hier.« Tooey servierte mir ein frisches Bier. »Geht aufs Haus.«

»Das sieht richtig gut aus«, lobte ich, nachdem ich das Glas in die Hand genommen und gegen das Licht gehalten hatte. »Denke, du hast endlich die perfekte Rezeptur.« Nach einem Schluck sagte ich: »Wow, schmeckt großartig.«

»Danke, aber es ist ein Samuel Adams.« Er beugte sich über den Tresen, um auf die Karte zu schauen. »Kalifornien, mh?«

»Ich kann es selbst kaum glauben. Am Pazifik bin ich eigentlich noch nie gewesen.«

»Hatte mal eine Flamme dort.«

»Echt?«

»Charlie hieß sie. Lustiger Name für ein Mädchen … Charlie …«

»Was ist passiert?«

»Sie verlor den Verstand.«

»Ohne Witz?«

»Ja. Sie war davon überzeugt, dass sich die Zeit ändert.«

»Die Zeiten ändern sich«, informierte ich ihn. »Hat dir das nicht schon Bob Dylan gesagt?«

»Nicht die Zeiten, Travis. Die Zeit

»Versteh ich nicht.«

»Sie bildete sich ein, jeder Tag verkürze sich um dreißig Sekunden. Nach zwei Tagen also wäre es zur gleichen Zeit eine Minute früher. Da fehlen einem echt die Worte, was?«

Ich stieß einen Pfiff aus.

»Sie machte sich große Sorgen deswegen«, fügte Tooey hinzu. Dann lehnte er sich näher zu mir, wie ein Verschwörer. Er starrte über meine Schulter auf irgendetwas. »Hast du unseren Freund dort hinten bemerkt?«

Ich wollte mich umdrehen.

»Mach es unauffällig«, warnte er und glitt zurück hinter seine Theke.

Einen großen Schluck Bier nehmend drehte ich mich beiläufig auf dem Barhocker um.

David Dentman saß allein in einer Ecke der Kneipe und brütete wie ein Raubvogel über einem Krug Bier. Er trug schwarz-rot gemustertes Flanell mit bis zu den Ellbogen hochgekrempelten Ärmeln. Seine Gesichtshaut hing schlaff vom Schädel, und die borstigen Stoppeln an seinem Kinn bedurften einer Rasur. Als er sich beobachtet fühlte, schaute er auf und starrte zurück.

Geschlagen wandte ich mich ab.

Meine Gedanken kehrten zu jenem Abend auf dem Friedhof zurück, als er das Grab seines Neffen so eindringlich betrachtet hatte. Nach allem, was wir herausgefunden hatten, stellte ich fest, dass sich meine Meinung über ihn nicht verändert hatte. Mit ihm stimmte irgendwas nicht.

»Glasgow.« Dentmans Bariton Stimme fuhr mir unter die Haut wie ein eisiger Stachel. »Travis Glasgow. Glasgow, der Schriftsteller.«

Ich schwenkte auf dem Hocker herum. »David«, entgegnete ich mit einem Nicken. Wir mochten wie alte Bekannte anmuten; in gewisser Weise, schätze ich, waren wir es auch.

»Komm her«, forderte er mich auf, »nimm Platz und trink ein Bier mit mir.«

»Danke, aber ich bin mit jemandem verabredet.«

»Sei kein Spielverderber, Hemingway.« Sein Blick hielt mich gebannt, ich konnte mich nicht wegdrehen. Angeschlagen, wie ein Schatten seiner selbst wirkte er – eine leere Hülle.

Außerdem grinste er mich an.

Es kostete einiges an Willenskraft, um aufzustehen und an seinen Tisch zu gehen. Es kam einer Gebirgspassüberquerung gleich. Ein paar Holzfäller unterbrachen ihr Billardspiel und schauten zu mir herüber, während jemand aus der Jukebox beteuerte, seine Braut sei eine ganz heiße Nummer.

Ein einzelner Stuhl gegenüber von Dentman schien geradezu auf mich zu warten. Ohne Worte zog ich ihn näher und ließ mich darauf nieder.

»Wie das Schicksal so spielt«, bemerkte er humorlos.

»Die Runde geht auf mich.«

Dentman beäugte mich als wäre ich ein Erntedank-Truthahn. »Dein Gesicht ist gut verheilt.«

»Sieht nicht besser aus als vorher.« Als ich bemerkte, dass ich meine Wange kratzte, nahm ich rasch die Hand herunter.

»Wie auch immer … ich fasse das als Abschiedsgeschenk auf.«

»Shots«, entschied David. »Bourbon.«

Ich winkte Tooey an unseren Tisch. Er beobachtete mich, seit ich mich hingesetzt hatte. »Bring uns die härteste, übelste Flasche Bourbon, die du hast.«

In weniger als einer Minute kehrte Tooey mit zwei Schnapsgläsern und einer dunklen Karaffe zurück, die bereits Staub angesetzt hatte. Er schraubte den Deckel ab und stellte sie neben die Gläschen auf den Tisch. »Ich hab auch Gläser gebracht, außer ihr wollt das Zeug aus dem Aschenbecher saufen.«

Ich bedankte mich. »Gut so.«

Als er fortging, sah er aus wie jemand, der jederzeit damit rechnete eine Kugel in den Rücken zu bekommen.

Dentman öffnete die Karaffe. Ich dachte schon, sie würde brechen. Beim Füllen der beiden Gläser verschüttete er eine Menge, dann hob er seines an und betrachtete es. »Auf den Weltfrieden.«

Gemeinsam kippten wir einen nach dem anderen. Es schmeckte nach Pisse mit Flüssiganzünder. Ich fühlte, wie sich meine Eingeweide verkrampften.

»Tut mir leid, was geschehen ist«, sagte ich zwischendurch, als der abartige Geschmack nachließ.

»Es braucht dir nicht leidzutun.«

»Lass mich ausreden«, bat ich. »Tut mir leid, was mit deiner Familie geschehen ist, aber ich traue dir immer noch nicht über den Weg.«

»Das ist gut«, antwortete Dentman, »weil ich teilweise immer noch scharf drauf bin, dir dein Gesicht zu zerquetschen.«

»Scheiße. Hätten wir besser mal auf gute Freundschaft getrunken.«

Zu meiner Überraschung brach Dentman in Gelächter aus. Es war ein tiefes Dröhnen, der Sound eines Rasenmähers oder besser noch eines Pick-up-Motors, auch wenn man es als Lachen erkannte. Als sein Lachen erstarb, sprach er: »Ich bin dir wohl, was manches betrifft, meinen Dank schuldig.«

»Warum das?«

Er machte ein Schnalzgeräusch mit der Zunge. »Meine Schwester braucht mich. Jemand muss nach ihr schauen. Es geht ihr nicht gut.«

Ich fragte mich, ob er wusste, dass ich seine Aussage durch die Spiegelwand mitverfolgt hatte.