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Ein, zwei Minuten. Länger konnte ich den Anblick nicht ertragen. Ich flüchtete wieder die Stiegen hinauf.

Ich setzte mich auf eine Treppenstufe, um mich etwas zu erholen, den Kopf zwischen beide Hände gepreßt. Dann suchte und fand ich einen anderen Stiegenabgang. Es war eine schmale Diensttreppe, die in den Hof hinunterführte.

Dieser Teil meines Berichts ist vielleicht schlecht erzählt. Alles kam so unerwartet und schockartig, ich wollte Einzelheiten gar nicht sehen. Ich war wie in einem Alptraum befangen. Als ich in den Hof hinaus-trat, glaubte ich noch immer nicht, daß das, was ich gesehen hatte, Wirklichkeit war.

Doch ob Wirklichkeit oder Alptraum, eins war sicher: ich hatte einen stärkenden Schluck dringend nötig.

Die kleine Seitengasse außerhalb des Hoftors war leer und verlassen, aber gerade gegenüber lag ein Gasthaus. Ich sehe das Wirtsschild ›Zum Helden von Alamein‹ noch vor mir. Die Tür darunter stand offen.

Ich trat ein.

»Heda, Wirtshaus!« rief ich. »Möcht' was zu trinken.«

Stille. Dann erkundigte sich eine Stimme vorsichtig:

»Wer ist da?«

»Vom Spital«, sagte ich. »Möcht' was zu trinken.«

»Kann mich an Ihre Stimme nicht erinnern. Können Sie sehen?«

Ich bejahte.

»Dann kommen Sie doch selber herüber, um Gottes willen, Doktor, und verhelfen Sie mir zu einer Flasche Whisky.«

»Das kann ich, wenn ich auch kein Doktor bin«, antwortete ich.

Im Nebenraum fand ich einen dickbauchigen Mann mit rotem Gesicht und angegrautem Seehunds-schnauzbart. Er war nur mit Hose und Hemd bekleidet und ziemlich angetrunken. In der Hand hielt er eine Flasche, unentschlossen, wie es schien, ob er sie öffnen oder als Waffe gebrauchen sollte. »Wenn Sie kein Doktor sind, wer sind Sie dann?« fragte er miß-

trauisch.

»War Patient«, sagte ich, »habe aber einen Schluck so nötig wie ein Doktor.«

Ich holte eine Flasche Whisky vom Regal herab, machte sie auf und gab sie ihm und ein Glas dazu. In den Brandy, den ich mir selber einschenkte, tat ich einen Spritzer Soda. Nach dem zweiten Glas zitterten meine Hände weniger.

Ich blickte zu meinem Gefährten hinüber. Er trank den Whisky unverdünnt und gleich aus der Flasche.

»Sie werden einen Schwips kriegen«, warnte ich ihn.

»Schwips?« knurrte er verächtlich. »Bin ja schon besoffen. Muß noch besoffener werden.« Er schob sich näher heran. »Merken Sie was? Bin blind, stockblind, sag ich Ihnen. Sind alle blind, stockblind. Nur Sie nicht. Wieso?«

»Das weiß ich nicht«, gab ich zur Antwort.

»Ist der verdammte Komet schuld. Gestern, die grünen Sternschnuppen – alles blind heut früh, stockblind. Haben Sie gestern zugeschaut?«

Ich verneinte.

»Da haben Sie's. Da haben Sie den Beweis. Sie haben nicht zugeschaut: Sie sind nicht blind. Alle anderen haben zugeschaut« – er schwenkte vielsagend den Arm – »alle stockblind. Hat alles der verdammte Komet angerichtet, sag' ich.«

»Alle blind?« wiederholte ich.

»Alle. Ohne Ausnahme. Wahrscheinlich auf der ganzen Welt.« Dann besann er sich. »Nur Sie nicht.

Sonst alle.«

Ich wollte fort von hier. Ich leerte mein letztes Glas und ging hinaus in die lautlose Gasse.

Die Triffids

Dies sind private Aufzeichnungen. Vieles von dem, was sie enthalten, ist für immer verschwunden, dennoch kann ich hier nur die Worte gebrauchen, die wir für diese verschwundenen Dinge gebrauchten, ich sehe keine andere Möglichkeit. Damit alles klarer wird, muß ich weiter ausholen und tiefer in die Vergangenheit zurückgehen.

Ich bin in London aufgewachsen. Mein Vater war beim Finanzamt angestellt. Wir hatten in einem südlichen Stadtteil ein kleines Haus mit einem Garten, in dem mein Vater in den Sommermonaten hart arbeitete. Wir waren einfache Menschen.

Mein Vater war ein flinker Rechner. Er konnte eine Zahlenkolonne im Nu addieren; kein Wunder, daß er aus mir einen Buchhalter machen wollte. Leider war ich ein schlechter Rechner und für ihn eine Enttäuschung.

»Ich weiß wirklich nicht, was wir mit dir anfangen sollen. Was willst du denn eigentlich werden?« fragte er oft.

Noch ahnte ich nicht, daß der Gegenstand, der mich am meisten interessierte, mir eine Laufbahn eröffnen würde. Und mein Vater übersah es oder hielt es für unwichtig, daß meine Noten in Naturge-schichte und Biologie immer gut waren.

Die Entscheidung kam durch die Triffids. Ich ver-danke ihnen viel. Nicht nur Anstellung und Lebensunterhalt. Sie brachten mich wohl auch mehr als einmal in Lebensgefahr, aber am Ende waren sie dennoch meine Lebensretter, denn wegen einer Trif-fidsverletzung lag ich in den kritischen Tagen des ›Kometendurchgangs‹ im Spital.

Man findet in den Büchern eine Menge vager Spekulationen über das plötzliche Auftauchen der Triffids. Das meiste ist blanker Unsinn. Sie waren gewiß keine spontan, gleichsam durch Urzeugung, entstan-denen Naturgebilde. Auch nicht die warnenden Vorboten größerer Heimsuchungen für eine im argen verharrende Menschheit. Sie kamen auch nicht aus dem Weltraum als Zeugen für die erschreckenden Formen, die das Leben auf minder begünstigten Himmelskörpern annehmen konnte; ich jedenfalls bin überzeugt, daß die Erklärung anderswo zu suchen ist.

Und ich darf da schon mitreden, denn die Triffids waren mein Arbeitsgebiet, und die Firma, für die ich tätig war, spielte bei der Einführung der Spezies wenn schon keine rühmliche, so doch eine führende Rolle. Über die Herkunft der Triffids wissen wir auch heute noch nichts Genaues. Meiner Ansicht nach verdanken sie ihre Entstehung einer Reihe subtiler Kreuzungsexperimente und sind wahrscheinlich ein unbeabsichtigtes Zufallsergebnis. Wir wüßten zweifellos mehr über ihren Stammbaum, wären sie in einem uns zugänglichen Teil der Welt entwickelt worden. Da keine offizielle Mitteilung jemals die Öffentlichkeit erreichte, war das offensichtlich nicht der Fall. Die Gründe dafür waren wohl vor allem in der eigenarti-gen politischen Situation von damals zu suchen. Die Welt von damals war weit und offen und man konnte sich in ihr ohne viel Schwierigkeiten bewegen. Ein dichtes Netz von Straßen, von Bahn- und Schiffahrtslinien sicherte schnelle und bequeme Beförderung über jede Entfernung. Man konnte reisen, wohin man wollte, unbewaffnet und ohne besondere Vorsichts-maßregeln. Es waren nur eine Menge Formulare auszufüllen und viele Bestimmungen zu beachten. So standen die Dinge in fünf Sechsteln der Erde im restlichen Sechstel dagegen herrschten wieder ganz andere Verhältnisse.

Jahr für Jahr rückten die Anbaugrenzen für Nährpflanzen weiter hinauf nach Norden. Wo früher Tundra und Ödland war, dehnte sich nun Ernteland. Und Jahr für Jahr wurde altes und neues Wüstengebiet fruchtbar gemacht und in Acker- und Weideland verwandelt. Zweifellos stellte dieser Wandel des Interesses vom Schwert zum Pflug einen sozialen Fortschritt dar, aber es war ein Irrtum, ihn für ein Zeichen innerer Umkehr anzusehen, wie es die Optimisten deuten wollten. Die Menschen blieben im Kern unverändert: fünfundneunzig Prozent wollten nichts weiter, als in Frieden leben; und die übrigen fünf Prozent erwogen, ob sich ein Risiko lohnte. Und nur weil für jeden die Aussichten alles eher als vielver-sprechend waren, blieb der Frieden erhalten.

Da inzwischen die Zahl der Esser jährlich um rund fünfundzwanzig Millionen zunahm, wurde das Ernährungsproblem immer schwieriger, und nach jahrelanger erfolgloser Propaganda brachten einige Mißernten Unruhe in breite Bevölkerungsschichten.

Der Faktor, der die kriegslüsternen fünf Prozent eine Weile von Störungsversuchen zurückgehalten hatte, war die Satellitenwaffe. Die Raketenversuche hatten am Ende doch zu einem Erfolg geführt. Es war gelungen, Geschosse in so große Höhen zu senden, daß sie dort oben gehalten werden konnten und so die Erde zu umkreisen begannen: winzige Monde, unschädlich und harmlos, bis ein Druck auf einen Knopf den Rückstoß auslöste, der eine katastrophale Wirkung haben mußte.