Die erste Meldung über die erfolgreiche Absen-dung eines solchen Satelliten erregte allgemeine Begeisterung, noch allgemeiner aber waren die Besorgnisse, als ähnliche Meldungen von Staaten ausblieben, von denen man wußte, daß sie auf diesem Gebiet gleichfalls Erfolge erzielt hatten. Es war ein höchst unbehagliches Gefühl, wenn man an diese gefährlichen Trabanten dachte, die da oben in unbekannter Anzahl ruhig kreisten, bis es jemand einfiel, sie stürzen zu lassen. Und man konnte gar nichts dagegen unternehmen. Von Zeit zu Zeit flackerte Unruhe auf, wenn Meldungen kamen, daß es neben Satelliten mit Atomladungen auch solche mit anderer Fracht gab, mit Krankheitserregern aller Art, mit radioaktivem Staub, mit Viren und Bakterien, und zwar nicht nur den bekannten, sondern völlig neuartigen, in den La-boratorien hergestellten Gattungen. Ob es derlei unsichere, zweischneidige Waffen wirklich gab, ist schwer zu sagen. Aber wer weiß, wie weit der Wahn-sinn geht, wenn ihn die Angst vorwärtspeitscht? Irgendein virulenter Mikroorganismus, der nach ein paar Tagen seine Virulenz verlor und unschädlich wurde (und wer durfte behaupten, daß sich dergleichen nicht züchten ließ), konnte, an geeigneten Stellen abgeworfen, seinen strategischen Wert haben. Jedenfalls nahm die Regierung der Vereinigten Staaten die Sache ernst genug, um ein Dementi zu veröffentlichen: sie kontrolliere keine für direkte biologische Kriegsführung bestimmte Satelliten. Einige Klein-staaten, die sich diese Waffe wahrscheinlich gar nicht leisten konnten, gaben ähnliche Erklärungen ab. Andere, darunter Großmächte, blieben stumm. Dieses beredte Schweigen erregte Unruhe; man fragte, weshalb die Vereinigten Staaten es unterlassen hatten, für eine Kriegsführung zu rüsten, auf die andere Mächte vorbereitet waren; man wollte auch wissen, was unter dem Wort ›direkt‹ in dem amerikanischen Dementi zu verstehen sei? Als die Diskussion an diesem kritischen Punkt angelangt war, wurde sie mit dem schweigenden Einverständnis aller Beteiligten abgebrochen und das Interesse der Öffentlichkeit auf das ebenso wichtige und weniger heikle Problem der Lebensmittelknappheit abgelenkt.
Die Gesetze, die Angebot und Nachfrage regeln, hätten den Unternehmern die Errichtung von Handelsmonopolen ermöglicht, doch Monopole waren damals unpopulär; an ihrer Stelle gab es das Konzernsystem, das unauffälliger und geräuschloser arbeitete. Schwierigkeiten, die sich innerhalb des Systems von Zeit zu Zeit ergaben, wurden ohne viel Aufsehen bereinigt. Ein Mann wie Umberto Cristoforo Palanguez war daher der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Auch ich hörte erst Jahre später im Laufe meiner Arbeit von ihm.
Umberto war von unklarer Herkunft, jedenfalls ein Romane, seiner Staatszugehörigkeit nach ein Latein-amerikaner. Er erschien erstmalig als eine mögliche Geschäftsstörung in dem wohlorganisierten Konzern für Speiseöle, als er die Büros der Arktisch – Europäischen Fischölverwertungsgesellschaft betrat und eine Flasche mit einem blaßrosa gefärbten Öl vorwies, mit dem er ins Geschäft kommen wollte.
Er fand kein großes Interesse für sein Angebot. Der Markt war fest. Immerhin entschloß sich die Firma nach einiger Zeit, die ihr übergebene Probe analysieren zu lassen.
Dabei fand man zunächst einmal, daß es sich nicht um Fischöl handelte, sondern um ein Pflanzenöl unbekannter Herkunft. Die zweite Entdeckung war die, daß sich daneben die besten Fischöle der Firma wie Schmierbüchsenfett ausnahmen. Bestürzt versandte man, was von der Probe übrig war, zur eingehenden Untersuchung und zog hastig Erkundigungen ein, ob Herr Palanguez noch an andere Firmen herangetreten war.
Bei seinem zweiten Besuch wurde Umberto vom leitenden Direktor mit großer Zuvorkommenheit empfangen.
»Ein bemerkenswertes Öl, das Sie uns da gebracht haben, Herr Palanguez«, sagte er.
Für Umberto war das augenscheinlich nichts Neues. Er neigte zustimmend den glatten schwarzen Kopf.
»Mir ist ähnliches noch nicht untergekommen«, bekannte der Direktor.
Umberto nickte wiederum.
»Nicht«, sagte er höflich. Dann fügte er in einem Nachsatz hinzu: »Aber ich glaube, es wird Ihnen unterkommen, Señor. Und in rauhen Mengen.« Er schien zu überlegen. »Es wird, glaube ich, in sieben, vielleicht auch acht Jahren auf den Markt kommen.«
Er lächelte.
Der leitende Direktor hielt das für unwahrscheinlich. Er erklärte offenherzig:
»Es ist besser als unsere Fischöle.«
»So hat man mir gesagt«, erwiderte Umberto.
»Sie haben die Absicht, es selbst auf den Markt zu bringen, Herr Palanguez?«
Umberto lächelte wieder.
»Würde ich es Ihnen in diesem Fall zeigen?«
»Wir könnten eines unserer Öle synthetisch verbessern«, bemerkte der Direktor nachdenklich.
»Mit dem einen oder dem anderen Vitamin – aber bei allen wäre das kostspielig, selbst wenn es sich machen ließe«, sagte Umberto sanft. Und nach einer Pause setzte er hinzu: »Meinen Informationen zufolge wird sich dieses Öl wesentlich billiger stellen als Ihre besten Fischöle.«
»Hm«, meinte der leitende Direktor. »Sie haben uns also einen Vorschlag zu unterbreiten, Herr Palanguez. Bitte.«
Umberto erklärte: »Es gibt zwei Wege, mit dieser Schwierigkeit fertig zu werden. Man könnte etwas unternehmen, damit es nicht so weit kommt, oder alles so lange hinziehen, bis das im jetzigen Betrieb investierte Kapital gerettet ist. Das wäre der eine Weg und natürlich der nächstliegende.«
Der Direktor nickte. Dieser Weg war ihm bekannt.
»Der andere Weg«, fuhr Umberto fort, »ist der, selber mit der Produktion zu beginnen, bevor die Krise ausbricht.«
»Ah!« warf der Direktor ein.
»Ich glaube, ich kann Ihnen in etwa sechs Monaten Samen dieser Pflanze verschaffen«, erklärte Umberto.
»Wenn Sie dann sogleich mit der Aufzucht beginnen, kann Ihre Ölproduktion in fünf Jahren anlaufen –
vielleicht werden es sechs sein, bis zum vollen Ertrag.«
»Also noch knapp zur rechten Zeit«, stellte der Direktor fest.
Umberto nickte.
»Der erste Weg wäre einfacher«, bemerkte der Direktor.
»Sicher«, gab Umberto zu. »Aber er ist ungangbar.
Ihre Konkurrenz läßt nicht mit sich handeln, und sie läßt sich auch nicht ausschalten.«
Er schien seiner Sache so gewiß zu sein, daß der Direktor stutzig wurde. Er sah ihn eine Weile nachdenklich und prüfend an.
»Ich verstehe«, meinte er dann. »Sie sind Sowjet-bürger, Herr Palanguez?«
»Durchaus nicht«, antwortete Umberto. »Ich habe im Leben Glück gehabt und verfüge über einige Verbindungen ...«
Das bringt uns in das restliche Sechstel der Welt, in den Teil der nicht so leicht zu bereisen war wie die anderen Länder. Die Einreise in die Sowjetunion war fast unmöglich, und wer die Erlaubnis erhielt, durfte von der vorgeschriebenen Reiseroute nicht abwei-chen. Alles in diesem Staat war Geheimnis und geschah im verborgenen. Dennoch ließ sich nicht von der Hand weisen, daß ungeachtet der wunderlichen Propaganda, die das Lächerliche verbreitete und alles nur im geringsten Grad Wichtige verschwieg, auf manchen Gebieten Bedeutendes geleistet wurde. Etwa auf dem der Biologie. Man wußte, daß Rußland, so wie die übrige Welt von der Lebensmittelknappheit bedroht, an umfangreichen Planungen arbeitete, um Wüsten- und Steppengebiete und die nördliche Tundra urbar zu machen und für den Anbau zu erschließen. Hie und da hatte man auch von Erfolgen in dieser Hinsicht gehört.
»Sonnenblumen«, überlegte der Direktor laut, »ich weiß zufällig, daß man jetzt wieder an einer Ertragssteigerung von Sonnenblumenöl arbeitet. Aber hier handelt es sich nicht um dieses Öl.«
»Gewiß nicht«, stimmte Umberto zu.
Der Direktor überlegte weiter: