Diese unzulänglichen Spieße wurden daher bald von richtigen Schußwaffen verdrängt, die mit Federkraft schwirrende kleine Metallplättchen oder Stahlscheiben abschnellten; sie boten über zehn Meter hinaus keine Treffsicherheit, wenn sie aber ihr Ziel erreichten, kappten sie eine Triffid auch noch auf zwanzig Meter Entfernung.
Inzwischen war die Wissenschaft nicht müßig gewesen, man untersuchte alles, was mit Triffids zu tun hatte, aufs genaueste.
Die größte in den Tropen beobachtete Triffid erreichte eine Höhe von fast zehn Fuß. In Europa wurde keine über acht Fuß hoch, die durchschnittliche Höhe betrug etwas über sieben Fuß. Sie nahmen anscheinend mit jedem Klima und jedem Boden vorlieb.
Ihr einziger natürlicher Feind war der Mensch.
Sie hatten indes noch die eine oder andere Eigenheit, auf die man anfangs nicht geachtet hatte. Erst nach einiger Zeit wurde man auf die unheimliche Zielsicherheit ihrer Stiche aufmerksam; sie zielten fast ausnahmslos auf den Kopf. Es fiel auch zuerst nicht auf, daß sie meist in der Nähe eines gefällten Opfers auf der Lauer blieben. Es stellte sich heraus, daß sie nicht nur Insekten, sondern auch Fleisch fraßen; die Geißel mit dem Giftstachel hatte zwar nicht Muskelkraft genug, um lebendes Fleisch zu packen, vermochte aber von verwesendem Stücke loszureißen und dem Trichter zuzuführen. Auch die drei Stiele neben dem Hauptstamm erweckten kein großes Interesse. Man suchte sie mit dem Fortpflanzungssystem in Verbindung zu bringen. Das Auffällige an diesen drei kurzen blattlosen Stielen bestand darin, daß sie plötzlich aus ihrer gewöhnlichen Reglosigkeit erwachten und schnell an den Hauptstamm trommelten; der erwähnten Theorie zufolge erklärte man dieses Trommeln als eine Art erotische Betätigung.
Vielleicht hielt mein frühes Erlebnis mein Interesse an den Triffids wach, eine Art Verbundenheit blieb jedenfalls bestehen. Ich verbrachte viel Zeit mit ihrer Beobachtung.
Es stellte sich später heraus, daß es keine verlorene Zeit war. Knapp vor meinem Schulaustritt reorganisierte sich die Fischölverwertungsgesellschaft, in der neuen Firmenbezeichnung fehlte das Wort ›Fisch‹, und man erfuhr, daß die Firma, wie ähnliche Unter-nehmungen im Ausland, sich auf Triffids umstellte, aus denen hochwertiges Öl und Tierfutter gewonnen werden sollte. Triffids rückten damit über Nacht in das ›große Geschäft‹ auf.
Da faßte ich den für meine Zukunft entscheidenden Entschluß. Ich bewarb mich bei der Ölfirma um eine Stelle und erhielt sie. In der Produktion. Jeder, der von Anfang an mit dabei war, hatte einen nach menschlichem Ermessen gesicherten Posten auf Lebensdauer.
Einen solchen hatte auch mein Freund Walter Lucknor.
Man wollte ihn zuerst nicht nehmen. Er verstand wenig vom Anbau, noch weniger vom Geschäft, und verfügte auch nicht über die für Laboratoriumsarbeit nötige Ausbildung. Über Triffids jedoch wußte er ei-ne Menge. Da hatte er einen sechsten Sinn und richtige Inspirationen.
Was aus ihm, Jahre nachher, in den verhängnisvollen Maitagen wurde, weiß ich nicht. Aber wenn irgend jemand sich auf Triffids verstand, war er es.
Ich weiß noch, wie er mich ein, zwei Jahre nach unserer Anstellung, das erstemal verblüffte.
Wir hatten Feierabend gemacht und betrachteten mit dem Gefühl der Befriedigung drei neue Felder mit fast ausgereiften Triffids. Sie waren damals noch nicht, wie später, einfach in eine Hürde eingeschlossen, sondern in Reihen aufgestellt, zumindest waren es die Stahlpflöcke, an die man sie gekettet hatte, denn den Pflanzen selber fehlte jeder Ordnungssinn.
Nach unserer Rechnung konnte etwa in einem Monat mit der Ölgewinnung begonnen werden. Es war ein ruhiger Abend, nichts störte die Stille, als hie und da das Trommeln der Triffids. Walter beobachtete sie mit schiefgehaltenem Kopf.
»Sie sind gesprächig heute abend«, bemerkte er.
»Ja, glaubst du denn, daß sie wirklich reden?« fragte ich.
»Warum nicht?«
»Unsinn. Sprechende Pflanzen!«
»Kein größerer Unsinn als gehende.«
Ich starrte auf die Triffids und dann auf ihn. »Ich kann mir nicht vorstellen –«, begann ich zweifelnd.
»Versuche es doch und beobachte sie – und sage mir, zu welchen Schlußfolgerungen du kommst«, schlug er vor.
Es war eigentlich seltsam, daß ich bei all meiner Beschäftigung mit Triffids nie an diese Möglichkeit gedacht hatte. Sobald ich aber auf sie aufmerksam gemacht worden war, ging sie mir nicht aus dem Kopf. Tauschten diese trommelnden Pflanzen wirklich geheime Signale aus?
Ich glaubte bisher, mit Triffids ziemlich vertraut zu sein, aber mit Walter verglichen, war ich ahnungslos.
Das Interesse der Öffentlichkeit war inzwischen abgeflaut. Für die Firma allerdings blieben sie interessant. Sie waren, ihrer Ansicht nach, ein Segen für alle Welt und insbesondere für das Unternehmen.
Walter teilte keine dieser Ansichten. Und manchmal begannen sich, wenn ich ihm zuhörte, auch bei mir unbestimmte Befürchtungen zu regen.
Er hatte die Überzeugung gewonnen, daß sie ›sprachen‹. »Und das heißt«, folgerte er, »daß irgendwo Intelligenz da sein muß. Nicht in einem Gehirn loka-lisiert, denn sie haben nichts, das einem Gehirn ähnlich sieht. Aber es kann ja etwas anderes die Funktion des Gehirns ausüben.
Und eine Art Intelligenz ist sicher vorhanden. Ist dir nicht aufgefallen, daß sie immer auf die ungeschützten Stellen zielen? Fast immer ist es der Kopf, hie und da sind es die Hände. Und noch etwas: beachte einmal in der Unfallstatistik, wie häufig die Augen getroffen wurden und Blindheit die Folge war. Das ist bemerkenswert und bezeichnend.«
»Bezeichnend wofür?« fragte ich.
»Dafür, daß sie wissen, wie man einen Menschen am sichersten erledigt. Angenommen, es handelt sich wirklich um intelligente Wesen; unsere einzige Überlegenheit ihnen gegenüber wäre unser Sehvermögen. Wir können sehen, sie nicht. Nimm uns dieses Sehvermögen, und die Überlegenheit ist fort.
Schlimmer: wir sind die Unterlegenen, denn sie können ohne Sehvermögen auskommen, wir nicht. Wenn ich sagen sollte, wer mehr Chancen hat, am Leben zu bleiben, eine Triffid oder ein Blinder, so fiele mir die Entscheidung nicht schwer.«
So konnte er stundenlang sprechen; zuletzt brachte er es so weit, daß ich jeden Maßstab verlor und die Triffids mir wie Rivalen und Konkurrenten erschienen. Was sie für Walter, wie er eingestand, auch wirklich waren.
»Glaubst du, daß die Dinger eine Gefahr darstel-len?« fragte ich ihn.
Er tat ein paar Züge aus seiner Pfeife, bevor er antwortete.
»Ganz sicher bin ich ja selbst nicht. Aber sie können eine Gefahr werden. Davon bin ich überzeugt. Es ließe sich leichter antworten wenn man wüßte, was es mit ihrem Trommeln auf sich hat. Sie trommeln und klappern, und niemand achtet darauf. Irgendwie macht es mich unruhig. Es hat etwas zu bedeuten. Fragt sich nur, was.«
Walter sprach sonst kaum über dieses Thema, und auch ich vermied es, davon zu reden; Spekulationen solcher Art wären höchst skeptisch aufgenommen worden, und wir wären bei der Firma als Phantasten in Verruf gekommen.
Nachher arbeiteten wir etwa noch ein Jahr zusammen. Dann mußten im Ausland neue Anbaumethoden studiert werden, und ich war viel auf Reisen. Er ließ sich in die Forschungsabteilung versetzen, wo er Untersuchungen im Auftrage der Firma mit solchen auf eigene Faust verbinden konnte. Von Zeit zu Zeit suchte ich ihn auf einen Sprung auf. Er experimentierte beständig mit seinen Triffids herum, ohne die erhoffte letzte Klarheit zu erreichen. Doch gelang es ihm, zumindest zu seiner eigenen Zufriedenheit, das Vorhandensein einer gut entwickelten Intelligenz zu beweisen; auch ich hatte den Eindruck, daß es sich um mehr als den bloßen Instinkt zu handeln schien.