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In Narnia trug man besondere Kleider, die nie unbequem waren. Man verstand in Narnia Dinge herzustellen, die sich ebenso schön anfühlten, wie sie aussahen. Doch es gab weit und breit keine bei uns gebräuchlichen Dinge wie Stärke, Gummi oder Flanell.

»Majestät«, begrüßte ihn Jutta, kam vor und machte einen artigen Knicks. »Ich möchte dich Peter dem Prächtigen, König über alle Könige in Narnia, vorstellen.«

Tirian brauchte nicht zu fragen, wer der Prächtige König war, denn er erinnerte sich an sein Gesicht aus seinem Traum, obgleich es ihm hier viel edler erschien. Er schritt vorwärts, sank auf ein Knie und küßte Peters Hand.

»Prächtiger König«, sagte er, »sei gegrüßt!«

Der Prächtige König hob ihn auf und küßte ihn auf beide Wangen, wie es ein Prächtiger König wohl tut. Dann führte er ihn zu der ältesten Königin. Aber sie war gar nicht alt und hatte keine grauen Haare auf dem Kopf und keine Falten im Gesicht. Er sagte:

»Mein Herr, dies ist die Dame Marie, die an dem ersten Tag nach Narnia kam, als Aslan die Bäume wachsen und die Tiere sprechen ließ.«

Danach brachte er ihn zu einem Mann, dessen goldener Bart über seine Brust flutete und dessem Gesicht man die Weisheit ansah.

»Das«, sagte der Prächtige König, »ist Lord Digor, der an diesem Tage bei der Dame Marie war. Und das ist mein Bruder König Edmund und das meine Schwester Königin Luzie.«

»Mein Herr«, sprach Tirian, als er alle begrüßt hatte, »wenn ich die alten Geschichtsbücher recht gelesen habe, müßte da nicht noch eine andere Königin sein? Hat Euer Majestät nicht zwei Schwestern? Wo ist Königin Susanne?«

»Meine Schwester Susanne«, antwortete Peter ernst und kurz, »ist keine Freundin Narnias mehr.«

»Ja«, fügte Eugen hinzu, »und wenn man versucht, mit ihr über Narnia zu reden oder irgend etwas für Narnia zu tun, dann sagt sie: ›Was für schöne Erinnerungen ihr habt! Bleibt nur bei euren Erinnerungen an die lustigen Spiele, die wir als Kinder trieben.‹«

»Susanne«, sagte Jutta, »reizen heutzutage nur noch Nylonstrümpfe, Lippenstifte und Einladungen. Sie war immer hübsch anzuschauen und ist nur darauf erpicht, erwachsen zu sein.«

»Erwachsen, tatsächlich«, meinte die Dame Marie. »Ich wünschte, Susanne wäre erwachsen. Sie hat ihre ganze Schulzeit damit verschwendet, um in das Alter zu kommen, in dem sie jetzt ist, und sie wird den ganzen Rest ihres Lebens vergeuden, um in diesem Alter zu bleiben. Ihr ganzes Denken ist darauf gerichtet, mit der albernsten Zeit ihres Lebens um die Wette zu laufen, so lange sie nur kann.«

»Sprechen wir doch jetzt von etwas anderem«, sagte Peter. »Schaut nur, hier hängt herrliches Obst an den Bäumen. Wir wollen es probieren.«

Da sah Tirian sich zum ersten Mal um, und es wurde ihm bewußt, wie seltsam dieses Abenteuer war.

13. Die Zwerge sind für die Zwerge

Tirian hatte gedacht, sie wären in einem kleinen strohgedeckten Stall, etwa vier Meter lang und fast zwei Meter breit. In Wirklichkeit aber standen sie im Gras, über ihnen war blauer Himmel, und die Luft des frühen Sommertages strich mild um ihre Gesichter. Nicht weit von ihnen wuchs eine Gruppe dicht belaubter Bäume, aber unter jedem Blatt schauten schon verstohlen goldene, blaßgelbe, purpurne oder glutrote Früchte hervor, wie sie noch keiner in unserer Welt gesehen hat. Das Obst verführte Tirian dazu, an den Herbst zu denken; aber in der Luft lag etwas, das ihm verriet, es könnte nicht später sein als Juni. Sie gingen alle auf die Bäume zu.

Jeder hob seine Hand, um die Frucht zu pflücken, die ihm am besten gefiel, doch dann hielten sie sekundenlang inne. Diese Frucht war so schön, daß jeder fühlte, »für mich ist sie nicht bestimmt … die darf ich nicht pflücken«.

»Richtig«, sagte Peter. »Ich weiß schon, was wir alle denken. Aber ich bin sicher, ganz sicher, wir brauchen das nicht. Ich fühl’s, wir sind in das Land gekommen, in dem alles erlaubt ist.«

»Jetzt geht’s aber los! Na dann!« sagte Eugen, und alle fingen an zu schmausen. Wie war das Obst? Ja, wer kann denn einen Geschmack beschreiben? Verglichen mit diesen Früchten, war die frischeste Pampelmuse, die man finden kann, matt, die saftigste Orange trocken, die butterweichste Birne hart und holzig, die süßesten wilden Erdbeeren sauer. Außerdem gab es keine Kerne oder Steine und keine Wespen. Hat man einmal diese Früchte probiert, dann schmeckten die besten Dinge dieser Welt hernach wie bittere Arznei. Aber man kann es eben nicht beschreiben, es sei denn, man könnte in dieses Land reisen und alle Früchte selbst kosten.

Als sie genug gegessen hatten, sagte Eugen zu König Peter: »Du wolltest uns erzählen, wie ihr nach Narnia gekommen seid.«

»Da ist nicht viel zu erzählen«, erwiderte Peter. »Edmund und ich standen auf dem Bahnsteig und sahen euren Zug herankommen. Ich erinnere mich, daß ich dachte, der Zug nimmt die Kurve viel zu schnell.«

»Was geschah dann?« fragte Jutta.

»Das ist wohl schwer zu erklären, nicht wahr, Edmund?« fragte König Peter.

»Ja, es ist nicht leicht«, erwiderte Edmund. »Es war nicht wie früher, als wir durch Zauber aus unserer eigenen Welt hier nach Narnia kamen. Ein furchtbares Getöse brach aus, und irgend etwas schlug mich mit einem Knall, aber es verletzte mich nicht. Ich fühlte mich nicht erschreckt, eher aufgeregt. Ja, dann war etwas ganz komisch: Ich hatte doch ein aufgeschlagenes Knie vom Fußballspielen, das war plötzlich wieder heil. Ich fühlte mich leicht, ganz leicht. Ich weiß nicht mehr, was weiter geschah, denn plötzlich waren wir hier.«

»Mit uns war es fast ebenso«, sagte Lord Digor und wischte die letzten Spuren des Obstes aus seinem goldenen Bart. »Wir hörten einen furchtbaren Knall und spürten einen fürchterlichen Stoß – und dann waren wir plötzlich hier. Ich glaubte, Marie, wir beide fühlten uns auf einmal gelöst. Ihr anderen werdet das nicht begreifen. Wir fühlten uns plötzlich nicht mehr so alt wie bisher.«

»Weiter, was geschah seitdem?« fragte Eugen.

»Nun«, erwiderte Peter, »lange Zeit geschah nichts. Dann öffnete sich die Tür…«

»Welche Tür?« fragte Tirian.

»Ja«, sagte Peter, »die Tür, durch die du hereinkamst – oder herauskamst, ganz gleich. Hast du das vergessen?«

»Aber wo ist die Tür?«

»Schau«, sagte Peter und zeigte hinüber.

Da erblickte Tirian das wunderlichste und unwirklichste Ding, das man sich vorstellen kann. Nur ein paar Meter entfernt stand klar im Sonnenlicht eine grobe Holztür, und um sie herum der Rahmen des Eingangs, nichts anderes, keine Mauern, kein Dach. Tirian ging darauf zu, ganz verwundert, und die anderen folgten, um zu beobachten, was er wohl täte. Er ging herum zu der anderen Seite der Tür, aber auch hier sah sie ebenso aus. Er war noch immer in der frischen Luft des frühen Sommermorgens, und die Tür stand ganz einfach für sich allein da, wie aus dem Erdboden gewachsen.

»Teure Majestät«, sagte Tirian zu dem Prächtigen König, »welch ein Wunder!«

»Das ist die Tür, durch die du vor fünf Minuten mit dem Kalormenen kamst«, erklärte Peter lächelnd.

»Kam ich denn nicht aus dem Wald in den Stall hinein? Diese Tür aber führt doch wohl von nirgendwoher zu nirgendwohin.«

»So sieht sie aus, wenn du von außen herum gehst«, sagte Peter. »Aber wirf nur einen Blick durch den Spalt zwischen den beiden Brettern. Sieh nur hindurch.«

Tirian blickte durch das Loch in der Tür. Zunächst konnte er nichts weiter als Dunkelheit erkennen. Doch als sich seine Augen daran gewöhnt hatten, sah er die mattrote Glut eines fast ausgebrannten Holzfeuers und darüber am Himmel unzählige Sterne. Tirian sah auch dunkle Gestalten umherlaufen oder zwischen ihm und dem Feuer stehen. Er konnte sie sprechen hören, und ihre Stimmen waren wie die der Kalormenen. Da wußte Tirian, daß er durch die Tür hinausschauen konnte in die Dunkelheit des verwüsteten Laternendickichts, wo er seine letzte Schlacht gekämpft hatte. Die Kalormenen stritten sich, ob sie hineingehen und nach Rischda Tarkhan suchen oder den Stall anzünden sollten.