Lloyd Biggle Jr.
Die Unbesiegbaren
1. Kapitel
Aus einem der Verzückung nahekommenden Schwebezustand im Nichts wurde er durch das zurückkehrende Bewußtsein plötzlich rauh in die Wirklichkeit zurückgerissen. All sein Widerstand nützte nichts, und wenn er auch die Gedankenfetzen zurückzudrängen suchte, so stellte sein Hirn doch unablässig die Frage: Wo bin ich?
Und das Gehirn gab ihm auch die Antwort darauf: In einem Krankenhaus.
Zwar war er rasend schnell auf den Planeten zugeschossen; dennoch war ihm genug Zeit geblieben, um zu erkennen, daß es darauf eine Zivilisation von hohem Niveau gab. Die Medizin war weit fortgeschritten, und ihre Diener versuchten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu seiner Heilung. Im andern Falle wäre er wohl beim Aufwachen in eine Hölle von bohrenden Schmerzen gestürzt worden statt in diesen Verzückungszustand. Vielleicht wäre er auch gar nicht mehr aufgewacht. Das war gar nicht so sehr unwahrscheinlich, wenn er daran zurückdachte, wie beim Sturz der Boden auf ihn zugeschossen kam.
Er öffnete die Augen.
Der Raum war vom Schimmer eines milchigblauen Lichtes erfüllt. Zwei Männer in hellblauen Kitteln beugten sich über ihn. Eine Atmosphäre der Freundlichkeit umgab die beiden, die wahrscheinlich ihrem Heilberuf entströmte. Unbeweglich blieb er liegen und sah zu ihnen auf. Sein Hirn arbeitete nur matt und schien von seinem reglosen Körper getrennt zu sein. ,Ich muß wohl eine phantastische Bruchlandung hingelegt haben’, dachte er.
Auf den beiden zu ihm herabgebeugten Gesichtern zeigte sich plötzlich Beunruhigung. Die Veränderung war so erschreckend, daß er von Panik erfaßt wurde und verzweifelt einen Arm zu heben oder den Kopf zu bewegen suchte. Er wußte, daß sie seine Sprache nicht verstehen würden, aber in seiner Verzweiflung sprach er dennoch.
»Ich heiße Paul Corban und bin Fähnrich in der Raumflotte der Galaktischen Föderation. Mein Stützpunkt…“
Urplötzlich waren sie verschwunden. Nur ein Bruchteil einer Sekunde lag zwischen ihrer Anwesenheit mit den über ihn gebeugten Gesichtern und der unheimlichen Leere der schimmernden, blauen Zimmerdecke, die sich über ihm wölbte. Wild schrie er auf.
Keine Antwort erfolgte auf sein Schreien.
Erneut schrie er auf, und verzweifelt kämpfte er gegen den entsetzlichen Gedanken an, allein und völlig hilflos zu sein. Niemand kam, und es verging eine ganze Weile, bis er sich entspannte und in Schlaf sank. Die Gefühllosigkeit wurde von ihm nicht mehr als angenehm empfunden, aber noch im Schlaf bedrückten ihn wie ein Alptraum die Blicke der beiden Ärzte, die sie ihm zugeworfen hatten, ehe sie verschwanden — in diesen Blicken lag Haß.
Als er wieder erwachte, schwebte ein anderes Gesicht über ihm. Diesmal war es eine junge Frau, die man beinahe als hübsch hätte bezeichnen können, wäre nicht ihre ungewöhnliche Haartracht gewesen. Um die Ohren war der Kopf völlig glatt geschoren, und das Haar war auf dem Kopf pyramidenartig zusammengefaßt, so daß der Kopf verlängert schien. Ihr Kittel war dunkelblau.
Sie steckte einen Strohhalm zwischen seine Lippen. Der Halm war an einem Gegenstand befestigt, den sie außerhalb seines Gesichtskreises verborgen hielt. Er war hungrig und trank in tiefen und gierigen Schlucken die dicke, würzige Suppe.
Die Haltung der Frau gab ihm Rätsel auf. Hilflos lag er auf dem Rücken, und lediglich Augen und Lippen konnte er seinem Willen unterwerfen. In seinem augenblicklichen Zustand stellte er doch sicher keine Gefahr dar. Auf ihrem Gesicht aber lag Besorgnis, Mißtrauen — ja beinahe Furcht.
Auch Haß war in ihren Zügen zu lesen. Unmißverständlicher Haß. Es war, als sei sie dazu verdammt worden, ein scheußliches Reptil ungewisser Herkunft zu pflegen. Den Halm noch im Mund, fragte er: „Weshalb hassen Sie mich?“
Sie zuckte zusammen, sagte aber nichts.
Als er die Suppe ausgetrunken hatte, gaben seine Lippen den Halm frei. Die Frau verschwand. Sie ging nicht etwa weg, nein, sie bewegte sich überhaupt nicht. Eben schwebte noch ihr Gesicht über ihm. Im nächsten Augenblick starrte er an die leere Decke.
„Vielleicht phantasiere ich im Delirium“, sagte er laut zu sich. „Es könnte jedoch auch sein, daß sie mit Spiegeln arbeiten.“
Er schlief und wachte. Mit größter Aufmerksamkeit sorgte man für seine körperlichen Bedürfnisse. Geduldig unterwarf er sich den Untersuchungen einer Vielzahl von Gestalten in Kitteln der verschiedensten Blautönungen. Immer wieder tauchten plötzlich Gesichter über ihm auf, die dann ebenso unerwartet wieder verschwanden.
In wachen Augenblicken träumte er in den Tag hinein. Ein ziviler Untersuchungsausschuß war kurz vor seinem Abflug auf dem Stützpunkt Qualo angekommen. Dieser Ausschuß hatte die Aufgabe, eine Reihe von Unfällen zu untersuchen, in die die Kurierschiffe des Typs 11C verwickelt waren. Der Ausschuß behauptete, die Schiffe seien unwirtschaftlich und nicht mehr flugsicher. An Bord fehlten die nötigen Navigationsinstrumente. Der aus einem einzigen Mann bestehenden Besatzung fiel sowohl die Aufgabe des Piloten als auch die des Ingenieurs und Navigators zu. Ein junger Offizier wurde dadurch ganz einfach überfordert. An Bord der Schiffe waren auch völlig unzureichende Treibstoffvorräte. Die Militärs — wie könnte es auch anders sein — stritten natürlich rundweg alles ab.
Corban konnte die Behauptungen des Untersuchungsausschusses nur bestätigen. Er hatte sich mit seiner 11C gründlich verfranzt — so gründlich, daß er auch nicht die geringste Ahnung hatte, wo er gelandet war. Diese Welt konnte ebensogut ein unentdeckter Teil der bekannten Galaxis sein wie eine Welt irgendwo draußen im unbekannten All. In der Galaxis gab es noch viele unbekannte Räume. Dies war eine Tatsache, die ihm allergrößtes Unbehagen bereitete, als er feststellte, daß seine Brennstoffvorräte zu Ende gingen und er sich nach einem geeigneten Planeten umsehen mußte, auf dem er eine Landung wagen konnte.
Wie lange würde es wohl dem Stützpunkt gelingen, sein Verschwinden zu vertuschen, ehe der Untersuchungsausschuß dahinterkam? Wenn sein Unglück den Anstoß dazu gab, daß die Schiffe vom Typ 11C verschrottet wurden, dann hatte es wenigstens einen Sinn gehabt. Keiner der Kurierpiloten liebte seine Arbeit. Es war nicht eben ein Vergnügen, sich ganz allein im Raum herumzuschlagen, mochten ordengeschmückte Vorgesetzte auch noch so lange Lobreden über die ausgezeichnete Ausbildung und Erfahrung ihrer Leute halten.
Gleichgültig, was immer der Untersuchungsausschuß empfehlen mochte, für Paul Corban kam es zu spät. Er war zu schnell auf diesen Planeten herabgeschossen, als daß er irgendwelche Anzeichen von Raumschiffahrt hätte entdecken können. Vielleicht gab es diese. Anderenfalls war er ohne jede Aussicht auf Erlösung hierher verschlagen. Selbst wenn man hier aber die Raumschiffahrt kannte, hatte er vielleicht dennoch keine Aussicht auf ein Entkommen. Fremde Zivilisationen waren dafür bekannt, jede Verbindung mit möglichen Feinden zu vermeiden.
Wie wohl seine Familie die Nachricht aufnehmen würde? Mutter und Vater würden vertrauensvoll auf seine Rückkehr warten — irgendwann und irgendwo würde er ihrer Ansicht nach bestimmt auftauchen.
Sein älterer Bruder Bill, der in der Armee diente, würde wohl albern daherschwatzen, daß der Weltraum eben keine Balken habe. Seine Schwester Sue würde wohl bereits ihren Hochzeitstag festgelegt haben.
Hoffentlich kam die Nachricht von seinem Verschwinden erst nach der Hochzeit an. Er wollte nicht, daß Sues Hochzeit getrübt würde.
Amüsiert suchte er sich eine Zeitlang seine kleine Schwester Sue in einem Hochzeitskleid vorzustellen und schlief darüber ein.
Allmählich kehrte das Gefühl in seinen Körper zurück. Er konnte jetzt wieder den Kopf bewegen und erkannte, daß er mit dicken Verbänden umwickelt war. Eine Gesichtshälfte war ebenfalls verbunden. Langsam kehrte auch wieder das Gefühl in den rechten Arm zurück. Er spürte wieder die Beine. Die beiden Ärzte, die in regelmäßigen Abständen auftauchten, untersuchten ihn mit äußerster Sorgfalt. Aufmerksam beobachtete er sie und wußte instinktiv, daß sie es haßten, ihn zu berühren. Sie sprachen kein Wort, weder zu ihm noch zueinander und verschwanden immer gleichzeitig.