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Aber da half nun alles nichts, er mußte einfach!

Er legte das Buch mit den offenen Seiten auf die Turnmatte, stand auf und ging zur Speichertür. Mit klopfendem Herzen lauschte er eine Weile. Alles war still. Er schob den Riegel zurück und drehte langsam den großen Schlüssel im Schloß. Als er auf die Klinke drückte, öffnete sich die Tür mit lautem Knarren.

Er huschte strumpfsockig hinaus und ließ die Tür hinter sich offen, um nicht noch einmal unnötigen Lärm zu machen. Dann schlich er die Treppe hinunter in den ersten Stock. Vor ihm lag der lange Gang mit den spinatgrün gestrichenen Türen zu den Klassenzimmern. Die Schülertoilette war am anderen Ende. Es war höchste Eisenbahn, und Bastian lief, so schnell er konnte. Er erreichte das rettende Örtchen buchstäblich im letzten Augenblick.

Während er auf dem Klo saß, überlegte er sich, warum die Helden in solchen Geschichten eigentlich nie mit derartigen Problemen zu tun hatten. Einmal - als er noch viel kleiner gewesen war - hatte er sogar im Religionsunterricht gefragt, ob der Herr Jesus eigentlich auch wie ein gewöhnlicher Mensch gemußt hätte, weil er doch auch wie ein gewöhnlicher Mensch gegessen und getrunken hat. Die Klasse hatte gebrüllt vor Lachen, und der Religionslehrer hatte ihm einen Verweis wegen»ungebührlichen Betragens« ins Klassenbuch geschrieben. Eine Antwort hatte Bastian nicht bekommen. Dabei hatte er sich wirklich nicht ungebührlich betragen wollen.

»Wahrscheinlich«, sagte sich Bastian jetzt,»sind diese Sachen einfach zu nebensächlich und unwichtig, als daß sie in solchen Geschichten erwähnt zu werden brauchen.«

Obwohl sie für ihn manchmal von verzweifelter und beschämender Wichtigkeit sein konnten.

Er war fertig, zog an der Kette und wollte eben hinausgehen, als er draußen auf dem Korridor plötzlich Schritte hörte. Eine Klassenzimmertür nach der anderen wurde geöffnet und wieder geschlossen, und die Schritte kamen immer näher.

Bastians Herz klopfte bis zum Hals. Wo sollte er sich verstecken? Er blieb wie gelähmt stehen, wo er stand.

Die Klotür ging auf, glücklicherweise gerade so, daß sie Bastian verdeckte. Der Hausmeister der Schule kam herein. Nach der Reihe warf er einen Blick in die einzelnen Zellen. Als er an die kam, wo das Wasser noch lief und die Kette schaukelte, stutzte er einen Augenblick. Er brummte etwas vor sich hin, doch als er merkte, daß das Wasser zu laufen aufhörte, zuckte er die Achseln und ging hinaus. Seine Schritte verhallten auf der Treppe.

Bastian hatte die ganze Zeit über nicht zu atmen gewagt, jetzt holte er tief Luft. Als er hinausgehen wollte, merkte er, daß ihm die Knie zitterten.

Vorsichtig und so schnell er konnte, huschte er den Gang mit den spinatgrün gestrichenen Türen entlang, die Treppe hinauf und in den Speicher zurück. Erst als er die Tür wieder verschlossen und verriegelt hatte, wich die Spannung von ihm.

Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich wieder auf seinem Lager aus Turnmatten nieder, hüllte sich in die Militärdecken und griff nach dem Buch.

Als Atréju abermals erwachte, fühlte er sich vollkommen frisch und kräftig. Er richtete sich auf.

Es war Nacht, der Mond schien hell, und Atréju sah, daß er sich an der nämlichen Stelle befand, an der er neben dem weißen Drachen zusammengebrochen war. Auch Fuchur lag noch immer so da, aber er atmete ruhig und tief und schien fest zu schlafen. Alle seine Wunden waren verbunden.

Atréju bemerkte, daß auch seine eigene Schulter auf die gleiche Art versorgt war, nicht mit Stoff, sondern mit Kräutern und Pflanzenfasern.

Nur wenige Schritte entfernt befand sich im Felsen eine kleine Höhle, aus deren Eingang gedämpfter Lichtschein fiel.

Ohne den linken Arm zu bewegen, stand Atréju vorsichtig auf und ging zu dem niedrigen Höhleneingang. Er beugte sich nieder und erblickte im Inneren einen Raum, der wie eine Alchemistenküche im Miniaturmaßstab aussah. Im Hintergrund prasselte in einem offenen Kamin ein lustiges Feuerchen. Überall standen und lagen Tiegel, Töpfe und wunderlich geformte Flaschen herum. In einem Regal waren Bündel von getrockneten Pflanzen verschiedener Art aufgestapelt. Das Tischchen in der Mitte und die übrigen Möbel schienen aus Wurzelstrünken zusammengebastelt. Im ganzen machte die Wohnstätte einen höchst behaglichen Eindruck.

Erst als er ein Hüsteln hörte, bemerkte Atréju, daß in einem Lehnsessel vor dem Kamin ein kleines Kerlchen saß. Auf dem Kopf trug es eine Art Hut aus Wurzelholz, der wie ein umgekehrter Pfeifenkopf aussah. Das Gesicht war ebenso dunkelbraun und verschrumpelt wie jenes, das er bei seinem ersten Erwachen über sich gesehen hatte. Doch saß auf der Nase eine große Brille, und seine Züge wirkten schärfer und sorgenvoller. Das Kerlchen las in einem großen Buch, das auf seinem Schoß lag.

Dann wackelte aus einem anderen, weiter hinten liegenden Raum eine zweite kleine Gestalt herein, in der Atréju sofort das Wesen wiedererkannte, das sich seiner zuvor angenommen hatte. Jetzt erst sah er, daß es sich um ein Weiblein handelte. Außer der Blätterkappe trug es - ebenso wie das Männchen auf dem Kaminsessel - eine Art Mönchskutte, die gleichfalls aus welkem Laub zu bestehen schien. Es summte vergnügt vor sich hin, rieb sich die Hände und machte sich dann an einem Kessel zu schaffen, der über dem Feuer hing. Beide Gestalten waren kaum höher als Atréjus Bein von der Sohle bis zum Knie. Es war offensichtlich, daß es sich bei diesen beiden um Mitglieder der weitverzweigten Gnomenfamilie handelte, wenn auch um ziemlich ungewöhnliche.

»Weib«, sagte das Männchen griesgrämig,»geh mir aus dem Licht! Du störst mich beim Studium.«

»Du mit deinem Studium!« antwortete das Weibchen,»wen interessiert das schon. Wichtig ist jetzt, daß mein Heil-Elixier fertig wird. Die beiden da draußen haben es nötig.«

»Die beiden da draußen«, versetzte das Männchen gereizt,»werden meinen Rat und meine Hilfe noch viel nötiger haben.«

»Meinetwegen«, gab das Weibchen zurück,»aber erst, wenn sie gesund sind. Mach Platz, Alter!«

Das Männchen rutschte brummend mit seinem Sessel etwas vom Feuer weg.

Atréju räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen. Das Gnomenpaar blickte sich nach ihm um.

»Er ist schon gesund«, sagte das Männchen,»jetzt bin ich dran!«

»Nichts da!« keifte ihn das Weibchen an,»ob er gesund ist, entscheide ich. Du bist dran, wenn ich sage, daß du dran bist!«

Dann wandte es sich Atréju zu.

»Würden dich gerne hereinbitten. Ist aber wohl etwas zu eng für dich. Augenblick noch! Komme gleich zu dir raus.«

Es zerrieb noch irgend etwas in einem kleinen Mörser, das es dann in den Kessel warf. Danach wusch es sich die Hände und trocknete sie an seiner Kutte ab, wobei es zu dem Männchen sagte:

»Und du bleibst hier sitzen, Engywuck, bis ich dich rufe, verstanden?«

»Schon gut, Urgl«, brummte das Männchen.

Das Gnomenweibchen kam aus der Höhle ins Freie. Es guckte Atréju aus zusammengekniffenen Augen von unten prüfend an.

»Na? Scheint uns ja schon ganz gut zu gehen, was?«