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»Da hörst du's!« sagte Engywuck seufzend.»Und das Schlimme ist, daß sie recht hat.«

»Und das Amulett der Kindlichen Kaiserin?« fragte Atréju.»Glaubst du, sie werden es nicht respektieren? Schließlich sind auch sie Geschöpfe Phantásiens.«

»Schon«, meinte Engywuck und wiegte sein apfelgroßes Köpfchen,»aber dazu müßten sie es sehen. Und sie sehen doch nichts. Aber ihr Blick würde dich treffen. Bin auch nicht sicher, daß die Sphinxen der Kindlichen Kaiserin gehorchen. Vielleicht sind sie größer als sie. Weiß nicht, weiß nicht. Ist jedenfalls sehr bedenklich.«

»Was rätst du mir also?« wollte Atréju wissen.

»Du wirst tun müssen, was alle tun müssen«, antwortete der Gnom.»Warten, wie sie entscheiden - ohne zu wissen warum.«

Atréju nickte nachdenklich.

Die kleine Urgl kam aus der Höhle. Sie schleppte ein Eimerchen mit einer dampfenden Flüssigkeit, unter dem anderen Arm hatte sie einige Bündel getrockneter Pflanzen. Vor sich hinmurmelnd ging sie zu dem Glücksdrachen hinüber, der noch immer reglos schlief. Sie begann auf ihm herumzuklettern und die Umschläge auf seinen Wunden zu erneuern. Ihr riesenhafter Patient seufzte nur einmal zufrieden und streckte sich aus, sonst schien er von der Behandlung kaum etwas zu bemerken.

»Könntest dich lieber auch ein bißchen nützlich machen«, sagte sie zu Engywuck, als sie noch einmal in die Küche zurücklief,»anstatt hier herumzuhocken und Unsinn zu schwätzen.«

»Mache mich sehr nützlich«, rief ihr Mann ihr nach,»vielleicht nützlicher als du, aber das wirst du nie begreifen, einfältiges Weib!«

Und zu Atréju gewandt fuhr er fort:»Sie kann nur ans Praktische denken. Für die großen Überblicke hat sie einfach keinen Sinn.«

Die Turmuhr schlug drei.

Wenn überhaupt, dann hatte der Vater spätestens jetzt gemerkt, daß Bastian nicht nach Hause gekommen war. Ob er sich wohl Sorgen machte? Vielleicht würde er losgehen und ihn suchen. Vielleicht hatte er schon die Polizei benachrichtigt. Am Ende wurden schon Fahndungsmeldungen im Rundfunk durchgegeben. Bastian fühlte einen Stich in der Magengrube.

Und wenn es so war, wo würden sie ihn suchen? In der Schule? Vielleicht sogar hier auf dem Dachboden?

Hatte er überhaupt die Tür abgeschlossen, als er vom Klo zurückkam? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Er stand auf, um nachzusehen. Ja, die Tür war verschlossen und verriegelt.

Draußen begann es schon langsam dämmerig zu werden. Das Licht, das durch die Dachluke hereinkam, wurde unmerklich schwächer.

Um seine Unruhe loszuwerden, lief Bastian ein bißchen im Speicher hin und her. Dabei entdeckte er eine Menge Sachen, die eigentlich gar nichts mit den Schulgegenständen zu tun hatten, die sonst hier waren. So zum Beispiel ein altes, verbeultes Trichtergrammophon - wer weiß, wann und von wem es hierhergebracht worden war? In einer Ecke standen mehrere Gemälde in verschnörkelten Goldrahmen, auf denen fast nichts mehr zu sehen war, außer da und dort ein blasses, streng blickendes Gesicht, das aus dem dunklen Hintergrund hervorschimmerte. Es gab auch einen von Rost zerfressenen siebenarmigen Kerzenleuchter, in dem noch die Stümpfe dicker Wachslichter steckten, die lange Tropfenbärte gebildet hatten.

Dann erschrak Bastian, denn in einem dunklen Winkel bewegte sich eine Gestalt. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, daß dort ein großer, halbblinder Spiegel stand, in dem er undeutlich sich selbst gesehen hatte. Er ging näher heran und betrachtete sich eine Weile. Schön war er wahrhaftig nicht mit seiner dicken Figur und den X-Beinen und diesem käsigen Gesicht. Er schüttelte langsam den Kopf und sagte laut:

»Nein!«

Dann ging er zu seinem Mattenlager zurück. Er mußte das Buch jetzt schon nahe an seine Augen halten, um weiterlesen zu können.

»Wo waren wir stehengeblieben?« fragte Engywuck.

»Beim Großen Rätsel Tor«, erinnerte ihn Atréju.

»Richtig! Nehmen wir an, es ist dir gelungen, durchzukommen. Dann - und erst dann - wird für dich das zweite Tor da sein. Das Zauber Spiegel Tor. Kann dir darüber, wie gesagt, nichts aus eigener Beobachtung sagen, sondern nur das, was ich an Berichten gesammelt habe. Dieses zweite Tor ist sowohl offen als auch geschlossen. Hört sich verrückt an, wie? Vielleicht sagt man besser, es ist weder geschlossen noch offen. Obwohl es dadurch nicht weniger verrückt wird. Kurzum: Es handelt sich dabei um einen großen Spiegel oder so was, obwohl die Sache weder aus Glas noch aus Metall besteht. Woraus, hat mir nie jemand sagen können. Jedenfalls, wenn man davorsteht, dann sieht man sich selbst - aber eben nicht wie in einem gewöhnlichen Spiegel, versteht sich. Man sieht nicht sein Äußeres, sondern man sieht sein wahres inneres Wesen, so wie es in Wirklichkeit beschaffen ist. Wer da durch will, der muß - um es mal so auszudrücken - in sich selbst hineingehen.«

»Jedenfalls«, meinte Atréju,»scheint mir dieses Zauber Spiegel Tor leichter zu durchschreiten als das erste.«

»Irrtum!« rief Engywuck und begann wieder aufgeregt hin und her zu laufen,»ganz gewaltiger Irrtum, mein Freund! Habe erlebt, daß gerade solche Besucher, die sich für besonders untadelig hielten, schreiend vor dem Ungeheuer geflohen sind, das ihnen in dem Spiegel entgegengrinste. Manche mußten wir sogar wochenlang kurieren, ehe sie überhaupt wieder in der Lage waren, die Heimreise anzutreten.«

»Wir!« brummte die Urgl, die eben mit einem neuen Eimerchen vorbeikam,»ich höre immer wir. Wen hast du denn kuriert?«

Engywuck winkte nur mit der Hand ab.

»Andere«, fuhr er in seinem Vortrag fort,»haben offenbar noch viel Schrecklicheres gesehen, hatten aber den Mut, trotzdem durchzugehen. Für manche war es auch weniger erschreckend, aber Überwindung kostete es jeden. Man kann darüber nichts sagen, was für alle Geltung hätte. Ist für jeden anders.«

»Gut«, sagte Atréju,»aber man kann jedenfalls hindurchgehen durch diesen Zauberspiegel?«

»Kann man«, bestätigte der Gnom,»natürlich kann man, sonst war's ja kein Tor. Logisch, nicht wahr?«

»Man kann ja auch außen herumgehen«, meinte Atréju,»oder nicht?«

»Kann man«, wiederholte Engywuck,»kann man durchaus! Nur ist dann dahinter nichts mehr. Das dritte Tor ist erst da, wenn man durch das zweite gegangen ist, wie oft muß man dir das noch sagen!«

»Und was hat es mit diesem dritten Tor auf sich?«

»Hier wird die Sache überhaupt erst richtig schwierig! Das Ohne Schlüssel Tor ist nämlich zu. Einfach zu. Punktum! Da gibt's keine Klinke und keinen Knauf und kein Schlüsselloch, nichts! Nach meiner Theorie besteht der einzige Türflügel, der fugenlos schließt, aus phantásischem Selén. Du weißt vielleicht, daß es nichts gibt, womit man phantásisches Selén zerstören, verbiegen oder auflösen kann. Ist absolut unzerstörbar.«

»Also kann man überhaupt nicht durch dieses Tor?«

»Langsam, langsam, mein Junge! Es sind ja Leute hineingekommen und haben mit der Uyulála gesprochen, nicht wahr? Also kann man die Tür öffnen.«

»Aber wie?«

»Hör zu: Phantasisches Selén reagiert nämlich auf unseren Willen. Gerade unser Wille ist es, der es so unnachgiebig macht. Je mehr einer hinein will, desto fester schließt die Tür. Aber wenn es einer fertigbringt, jede Absicht zu vergessen und gar nichts zu wollen - vor dem öffnet sich die Tür ganz von selbst.«