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Der Sandhügel, auf dem Bastian gerade stand, war ultramarinblau. Durch ein kleines Tal von diesem getrennt, lag eine feuerrote Düne. Bastian ging zu ihr hinüber, schöpfte mit beiden Händen von dem roten Sand und trug ihn zu dem blauen Hügel. Dann streute er auf den Seitenhang eine lange Linie. Er ging wieder zurück, holte neuen roten Sand und das tat er immer wieder. Nach einer Weile hatte er drei riesengroße rote Buchstaben auf den blauen Untergrund gestreut:

B B B

Zufrieden betrachtete er sein Werk. Dieses Zeichen konnte niemand übersehen, der die Unendliche Geschichte lesen würde. Was auch immer nun aus ihm werden mochte, man würde wissen, wo er geblieben war.

Er setzte sich auf den Gipfel des feuerroten Berges und ruhte sich ein wenig aus. Die drei Buchstaben leuchteten hell in der grellen Wüstensonne.

Wieder war ein Stück seiner Erinnerung an den Bastian aus der Menschenwelt ausgelöscht. Er wußte nichts mehr davon, daß er früher einmal empfindlich, manchmal vielleicht sogar wehleidig gewesen war. Seine Zähigkeit und Härte erfüllten ihn mit Stolz. Aber schon meldete sich ein neuer Wunsch.

»Ich hab' zwar keine Angst«, sagte er, wie es seine Gewohnheit war, vor sich hin, »aber das, was mir fehlt, ist der richtige Mut. Entbehrungen aushalten können und Strapazen durchstehen, ist eine großartige Sache. Aber Kühnheit und Mut, das ist doch noch was anderes! Ich wollte, mir würde ein richtiges Abenteuer begegnen, das tollen Mut erfordert. Hier in der Wüste kann man ja niemand begegnen. Aber es müßte fabelhaft sein, einem gefährlichen Wesen zu begegnen - es sollte nur nicht gerade so scheußlich sein wie Ygramul, aber noch viel gefährlicher. Es sollte schön sein und zugleich das gefährlichste Geschöpf Phantásiens. Und ich würde ihm entgegentreten und…«

Weiter kam Bastian nicht mehr, denn im gleichen Augenblick fühlte er den Wüstenboden unter sich vibrieren. Es war wie ein Grollen von solcher Tiefe, daß man es mehr spürte als hörte.

Bastian wandte sich um und sah am fernen Wüstenhorizont eine Erscheinung, die er sich zunächst nicht erklären konnte. Dort raste etwas dahin wie ein Feuerball. Mit unglaublicher Geschwindigkeit beschrieb es einen weiten Kreis um die Stelle, wo Bastian saß, dann kam es plötzlich direkt auf ihn zu. In der hitzeflimmernden Luft, die alle Umrisse wie Flammen wabern ließ, sah das Wesen aus wie ein tanzender Dämon aus Feuer.

Die Angst packte Bastian, und ehe er noch recht überlegt hatte, war er schon in das Tal zwischen der roten und der blauen Düne hinuntergerannt, um sich vor dem heranrasenden Feuerwesen zu verstecken. Aber kaum stand er unten, schämte er sich schon dieser Angst und zwang sie in sich nieder.

Er griff nach AURYN auf seiner Brust und fühlte wie all der Mut, den er sich eben gewünscht hatte, in sein Herz strömte und es vollkommen ausfüllte.

Dann hörte er wieder dieses tiefe Grollen, von dem der Wüstenboden erzitterte, aber diesmal aus nächster Nähe. Er blickte empor.

Auf dem Gipfel der feuerroten Düne stand ein riesenhafter Löwe. Er stand genau vor der Sonne, so daß seine gewaltige Mähne das Löwengesicht wie ein Flammenkranz umloderte. Aber diese Mähne und auch das übrige Fell war nicht gelb, wie es sonst bei Löwen der Fall ist, sondern ebenso feuerrot wie der Sand, auf dem er stand.

Der Löwe schien den Knaben, der im Vergleich zu ihm winzig im Tal zwischen den beiden Dünen stand, nicht bemerkt zu haben, vielmehr schaute er auf die roten Buchstaben, die den gegenüberliegenden Hügelhang bedeckten. Und dann ließ er wieder diese gewaltige, grollende Stimme vernehmen:

»Wer hat das getan?«

»Ich«, sagte Bastian.

»Und was heißt das?«

»Es ist mein Name«, antwortete Bastian, »ich heiße Bastian Balthasar Bux.«

Nun erst wandte der Löwe ihm seinen Blick zu und Bastian hatte das Gefühl, als ob ihn ein Flammenmantel einhüllte, in dem er auf der Stelle zu Asche verbrennen würde. Doch diese Empfindung war sogleich vorüber, er hielt dem Blick des Löwen stand.

»Ich«, sagte das gewaltige Tier, »bin Graógramán, der Herr der Farbenwüste, den man auch den Bunten Tod nennt.«

Noch immer sahen sie sich gegenseitig an und Bastian fühlte die tödliche Gewalt, die von diesen Augen ausging.

Es war wie ein unsichtbares Kräftemessen. Und schließlich senkte der Löwe den Blick. Mit langsamen, majestätischen Bewegungen kam er von der Düne herab. Als er auf den ultramarinblauen Sand trat, wechselte auch seine Farbe, so daß Fell und Mähne nun ebenfalls blau waren. Das riesenhafte Tier blieb einen Augenblick vor Bastian stehen, der zu ihm aufschauen mußte wie die Maus zu einer Katze, dann plötzlich legte Graógramán sich nieder und senkte das Haupt vor dem Knaben bis zum Boden.

»Herr«, sagte er, »ich bin dein Diener und harre deiner Befehle!«

»Ich möchte aus dieser Wüste hinaus«, erklärte Bastian, »kannst du mich hinausbringen?«

Graógramán schüttelte die Mähne.

»Das, Herr, ist für mich unmöglich.«

»Warum?«

»Weil ich die Wüste mit mir trage.«

Bastian konnte nicht verstehen, was der Löwe damit meinte.

»Gibt es kein anderes Geschöpf«, fragte er darum, »das mich von hier fortbringen könnte?«

»Wie sollte das möglich sein, Herr«, antwortete Graógramán, »dort wo ich bin, kann weit und breit kein lebendes Wesen sein. Mein Dasein allein genügt, selbst die gewaltigsten und furchtbarsten Wesen auf tausend Meilen im Umkreis zu einem Häuflein Asche verbrennen zu lassen. Darum nennt man mich den Bunten Tod und den König der Farbenwüste.«

»Du irrst dich«, sagte Bastian, »nicht jedes Wesen verbrennt in deinem Reich. Ich zum Beispiel halte dir stand wie du siehst.«

»Weil du den Glanz trägst, Herr. AURYN schützt dich - sogar vor dem Tödlichsten aller Wesen Phantásiens, vor mir.«

»Willst du damit sagen, wenn ich das Kleinod nicht hätte, müßte auch ich zu einem Häuflein Asche verbrennen?«

»So ist es, Herr, und es würde geschehen, auch wenn ich selbst es beklagen müßte. Denn du bist der erste und einzige, der je mit mir geredet hat.«

Bastian griff nach dem Zeichen. »Danke, Mondenkind!« sagte er leise.

Graógramán richtete sich wieder zu seiner vollen Höhe auf und blickte auf Bastian nieder.

»Ich glaube, Herr, wir haben uns manches zu sagen. Vielleicht kann ich dir Geheimnisse enthüllen, die du nicht kennst. Vielleicht kannst auch du mir das Rätsel meines Daseins erklären, das mir verborgen ist.«

Bastian nickte.

»Wenn es möglich ist, möchte ich nur bitte gern zuerst etwas trinken. Ich bin sehr durstig.«

»Dein Diener hört und gehorcht«, antwortete Graógramán, »willst du geruhen, Herr, dich auf meinen Rücken zu setzen? Ich werde dich in meinen Palast tragen, wo du alles finden wirst, dessen du bedarfst.«

Bastian schwang sich auf den Rücken des Löwen. Er hielt sich mit beiden Händen in der Mähne fest, deren einzelne Locken loderten wie Stichflammen. Graógramán wandte den Kopf nach ihm.