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»Meine Herren«, sagte Hynreck mit lauter Stimme, so daß jeder ihn hören konnte, »ich nehme nicht an, daß diese kleine Schaustellung eurer Fähigkeiten, die ihr bereits hinter euch habt, eure Kräfte angegriffen haben könnte. Gleichwohl wäre es meiner nicht würdig, euch unter diesen Umständen einzeln zum Zweikampf herauszufordern. Da ich bisher noch keinen mir angemessenen Gegner unter all diesen Wettkämpfern gesehen habe, habe ich nicht mitgemacht und bin deshalb noch frisch. Wenn einer von euch sich allzu erschöpft fühlen sollte, so möge er freiwillig ausscheiden. Andernfalls bin ich bereit, es mit euch allen dreien gleichzeitig aufzunehmen. Habt ihr dagegen einen Einwand?«

»Nein«, antworteten die drei wie aus einem Mund.

Und dann gab es ein Gefecht, daß die Funken sprangen. Hýkrions Schläge hatten nicht das Geringste von ihrer Gewalt eingebüßt, aber Held Hynreck war stärker. Hýsbald fuhr wie ein Blitz von allen Seiten auf ihn zu, aber Held Hynreck war schneller. Hýdorn versuchte ihn zu zermürben, aber Held Hynreck war ausdauernder. Das ganze Gefecht hatte kaum zehn Minuten gedauert, da waren alle drei Herren entwaffnet und beugten das Knie vor Held Hynreck. Er blickte stolz umher und suchte offenbar nach einem bewundernden Blick seiner Dame, die wohl irgendwo in der Menge stand. Jubel und Beifall der Zuschauer brauste wie ein Orkan über den Platz. Wahrscheinlich konnte man ihn noch an den entferntesten Ufern des Tränensees Murhu hören.

Als es still wurde, erhob sich Silbergreis Quérquobad und fragte laut:

»Gibt es noch jemand, der es wagen möchte, gegen Held Hynreck anzutreten?«

Und in das allgemeine Schweigen hinein hörte man eine Knabenstimme antworten:

»Ja, ich!«

Es war Bastian gewesen.

Alle Gesichter wandten sich ihm zu. Die Menge machte ihm eine Bahn frei, und er trat auf den Platz hinaus. Ausrufe des Staunens und der Sorge wurden hörbar. »Seht, wie schön er ist!« -»Schade um ihn!« -»Laßt es nicht zu!«

»Wer bist du?« fragte Silbergreis Quérquobad.

»Meinen Namen«, antwortete Bastian, »will ich erst nachher sagen.«

Er sah, daß Atréjus Augen schmal geworden waren und ihn forschend, aber noch voller Ungewißheit anblickten.

»Junger Freund«, sagte Held Hynreck, »wir haben zusammen gegessen und getrunken. Warum willst du nun, daß ich dich beschäme? Ich bitte dich, nimm dein Wort zurück und geh fort.«

»Nein«, antwortete Bastian, »was ich gesagt habe, gilt.«

Held Hynreck zögerte einen Augenblick. Dann schlug er vor:

»Es wäre nicht recht von mir, wenn ich mich im Kampfspiel mit dir messe. Wir wollen zuerst einmal sehen, wer von uns den Pfeil höher zu schießen vermag.«

»Einverstanden!« erwiderte Bastian.

Für jeden von ihnen wurde ein starker Bogen und ein Pfeil herbeigebracht. Hynreck spannte die Sehne und schoß den Pfeil in den Himmel hinauf, höher, als man ihm mit den Augen zu folgen vermochte. Fast im gleichen Moment spannte Bastian seinen Bogen und schickte seinen Pfeil hinterher.

Es dauerte eine kleine Weile, ehe beide Pfeile zurückkamen und zwischen den beiden Schützen zu Boden fielen. Und nun zeigte sich, daß Bastians Pfeil, mit roten Federn, den von Held Hynreck, mit blauen Federn, offenbar an der höchsten Stelle mit solcher Wucht getroffen haben mußte, daß er ihn von hinten aufgespalten hatte.

Held Hynreck starrte die ineinandersteckenden Pfeile an. Er war ein wenig blaß geworden, nur auf seinen Wangen zeigten sich rote Flecke.

»Das kann nur Zufall sein«, murmelte er. »Wir wollen sehen, wer mit dem Florett gewandter ist.«

Er verlangte zwei Degen und zwei Kartenspiele. Beides wurde ihm gebracht. Er mischte sorgfältig beide Spiele.

Nun warf er ein Kartenspiel hoch in die Luft, zückte blitzschnell die Klinge und stach zu. Als die übrigen Karten zu Boden gefallen waren, sah man, daß er das Herzas getroffen hatte, und zwar mitten in das einzige Herz, das die Karte zeigte. Wieder blickte er sich suchend nach seiner Dame um, während er das Florett mit der Karte herumzeigte.

Jetzt warf Bastian das andere Kartenspiel in die Höhe und ließ seine Klinge durch die Luft sausen. Keine Karte fiel zu Boden. Er hatte sämtliche zweiunddreißig Karten des Spiels aufgespießt, genau in der Mitte und obendrein noch in der richtigen Reihenfolge - obgleich Held Hynreck sie doch so gut gemischt hatte.

Held Hynreck besah sich die Sache. Er sagte nichts mehr, nur seine Lippen zitterten ein wenig.

»Aber an Kraft bist du mir nicht über«, brachte er schließlich ein wenig heiser hervor.

Er griff nach dem schwersten aller Gewichte, die noch auf dem Platz herumlagen und stemmte es langsam in die Höhe. Doch ehe er es wieder absetzen konnte, hatte Bastian ihn schon ergriffen und samt dem Gewicht in die Höhe gehoben. Held Hynreck machte ein so fassungsloses Gesicht, daß einige Zuschauer sich das Lachen nicht verbeißen konnten.

»Bis jetzt«, sagte Bastian, »habt Ihr bestimmt, worin wir uns messen wollen. Seid Ihr einverstanden, daß ich nun etwas vorschlage?«

Held Hynreck nickte stumm.

»Es ist eine Mutprobe«, fuhr Bastian fort.

Held Hynreck raffte sich noch einmal zusammen.

»Es gibt nichts, wovor mein Mut zurückschreckte!«

»Dann«, erwiderte Bastian, »schlage ich vor, daß wir um die Wette durch den Tränensee schwimmen. Wer zuerst das Ufer erreicht, hat gewonnen.«

Atemlose Stille herrschte auf dem ganzen Platz.

Held Hynreck wurde abwechselnd rot und blaß.

»Das ist keine Mutprobe«, stieß er hervor, »das ist Wahnsinn.«

»Ich«, antwortete Bastian, »bin bereit dazu. Also kommt!«

Nun verlor Held Hynreck die Beherrschung.

»Nein!« schrie er und stampfte mit dem Fuß auf, »Ihr wißt so gut wie ich, daß die Wasser Murhus alles auflösen. Das hieße, in den sicheren Tod gehen.«

»Ich fürchte mich nicht«, versetzte Bastian ruhig, »ich habe die Wüste der Farben durchwandert und vom Feuer des Bunten Todes gegessen und getrunken und darin gebadet. Ich habe vor diesen Wassern keine Angst mehr.«

»Das lügt Ihr!« brüllte Held Hynreck puterrot vor Zorn. »Niemand in Phantásien kann den Bunten Tod überleben, das weiß doch jedes Kind!«

»Held Hynreck«, sagte Bastian langsam, »anstatt mich der Lüge zu bezichtigen, solltet Ihr lieber zugeben, daß Ihr ganz einfach Angst habt.«

Das war zuviel für Held Hynreck. Besinnungslos vor Zorn riß er sein großes Schwert aus der Scheide und ging auf Bastian los. Dieser wich zurück und wollte ein Wort der Warnung anbringen, aber dazu ließ Held Hynreck ihn nicht mehr kommen. Er schlug auf Bastian ein, und es war ihm blutiger Ernst. Im selben Augenblick fuhr das Schwert Sikánda wie ein Blitzstrahl aus seiner verrosteten Scheide in Bastians Hand und begann zu tanzen.

Was nun geschah, war so unerhört, daß keiner der Zuschauer es je in seinem Leben wieder vergaß. Zum Glück konnte Bastian den Schwertgriff in seiner Hand nicht loslassen, und so mußte er jeder Bewegung folgen, die Sikánda von sich aus vollführte. Zunächst zerschnitt das Schwert, Stück für Stück, Held Hynrecks prachtvolle Rüstung. Die Fetzen flogen nur so nach allen Seiten, doch seine Haut wurde nicht einmal geritzt. Held Hynreck wehrte sich verzweifelt und schlug um sich wie ein Verrückter, aber Sikándas Blitzen zuckte um ihn her wie ein Feuerwirbel und blendete ihn, so daß keiner seiner Streiche traf. Als er schließlich nur noch in der Unterwäsche dastand und immer noch nicht aufhörte, auf Bastian einzuschlagen, zerschnitt Sikánda sein Schwert buchstäblich in kleine Scheiben, und zwar mit solcher Geschwindigkeit, daß dessen Klinge noch für einen Moment als Ganzes in der Luft schwebte, ehe sie, klingelnd wie ein Haufen Münzen, zu Boden fiel. Held Hynreck starrte mit aufgerissenen Augen auf den nutzlosen Griff, der ihm in der Hand verblieben war. Er ließ ihn fallen und senkte den Kopf. Sikánda fuhr in seine rostige Scheide zurück, und Bastian konnte es loslassen.