Ein Aufschrei der Begeisterung und Bewunderung erhob sich tausendstimmig aus der Menge der Zuschauer. Sie stürmten den Platz, ergriffen Bastian, hoben ihn hoch und trugen ihn im Triumph herum. Der Jubel wollte kein Ende nehmen. Bastian schaute sich aus seiner Höhe nach Held Hynreck um. Er wollte ihm ein versöhnliches Wort zurufen, denn eigentlich tat der Arme ihm leid, und er hatte nicht vorgehabt, ihn derartig zu blamieren. Aber Held Hynreck war nirgends mehr zu sehen.
Dann wurde es plötzlich still. Die Menge wich zurück und machte Platz. Da stand Atréju und blickte lächelnd zu Bastian empor. Auch Bastian lächelte. Man ließ ihn von den Schultern herunter, und nun standen sich die beiden Jungen gegenüber und sahen sich lange schweigend an. Schließlich begann Atréju zu reden.
»Wenn ich noch einen Begleiter brauchte, um auf die Suche nach dem Retter Phantásiens zu gehen, so würde ich mich mit diesem einen begnügen, denn er zählt mehr als hundert andere zusammen. Aber ich brauche keinen Begleiter mehr, denn die Suchexpedition wird nicht mehr stattfinden.«
Ein Gemurmel der Verwunderung und Enttäuschung war zu hören.
»Der Retter Phantásiens bedarf unseres Schutzes nicht«, fuhr Atréju mit erhobener Stimme fort, »denn er vermag sich selbst besser zu schützen, als wir alle zusammen es könnten. Und wir brauchen ihn nicht mehr zu suchen, denn er hat uns schon gefunden. Ich habe ihn nicht gleich erkannt, denn als ich ihn im Zauber Spiegel Tor des Südlichen Orakels erblickte, sah er anders aus als jetzt - ganz anders. Aber den Blick seiner Augen habe ich nicht vergessen. Es ist derselbe, der mich jetzt trifft. Ich kann mich nicht irren.«
Bastian schüttelte lächelnd den Kopf und sagte:
»Du irrst dich nicht, Atréju. Du warst es, der mich zur Kindlichen Kaiserin gebracht hat, damit ich ihr einen neuen Namen gebe. Und ich danke dir dafür.«
Ein ehrfürchtiges Raunen flog wie ein Windstoß durch die Menge der Zuschauer.
»Du hast versprochen«, antwortete Atréju, »uns nun auch deinen Namen zu nennen, den außer der Goldäugigen Gebieterin der Wünsche noch niemand in Phantásien kennt. Willst du es nun tun?«
»Ich heiße Bastian Balthasar Bux.«
Jetzt konnten die Zuschauer nicht mehr länger an sich halten. Ihr Jubel explodierte in Tausenden von Hochrufen. Viele fingen vor Begeisterung an zu tanzen, so daß die Stege und Brücken, ja der ganze Platz ins Schwanken geriet.
Atréju streckte Bastian lachend die Hand hin und Bastian schlug ein, und so - Hand in Hand - gingen sie in den Palast, auf dessen Eingangsstufen Silbergreis Quérquobad und Fuchur, der Glücksdrache, auf sie warteten.
An diesem Abend feierte die Stadt Amargánth das schönste Fest, das sie je gefeiert hat. Alles, was Beine hatte, ob kurze oder lange, krumme oder gerade, tanzte, und alles, was Stimme hatte, ob schöne oder häßliche, tiefe oder hohe, sang und lachte.
Als es dunkel wurde, entzündeten die Amargánther Tausende von bunten Lichtern an ihren silbernen Schiffen und Palästen. Und um Mitternacht wurde ein Feuerwerk abgebrannt, wie es selbst in Phantásien noch nie gesehen wurde. Bastian stand mit Atréju auf dem Balkon, links und rechts von ihnen standen Fuchur und Silbergreis Quérquobad und sahen zu, wie die bunten Feuergarben am Himmel und die tausend Lichter der Silberstadt sich in den dunklen Wassern des Tränensees Murhu spiegelten.
17.
Ein Drache für Held Hynreck
Quérquobad, der Silbergreis, war auf seinem Sessel in Schlaf gesunken, denn es war schon spät in der Nacht. So versäumte er das größte und schönste Erlebnis, das er in seinem hundertsiebenjährigen Dasein hätte haben können. Nicht anders erging es vielen anderen in Amargánth, Einheimischen und Gästen, die sich, erschöpft vom Fest, zur Ruhe begeben hatten. Nur wenige waren noch wach, und diese wenigen bekamen etwas zu hören, was an Schönheit alles übertraf, was sie je vernommen hatten und noch vernehmen sollten.
Fuchur, der weiße Glücksdrache, sang.
Hoch am nächtlichen Himmel zog er über der Silberstadt und dem Tränensee Kreise und ließ seine Glockenstimme ertönen. Es war ein Lied ohne Worte, die große, einfache Melodie des reinen Glücks. Und wer sie hörte, dem öffnete sich weit das Herz.
So erging es auch Bastian und Atréju, die nebeneinander auf dem breiten Balkon von Quérquobads Palast saßen. Für beide war es das erste Mal, daß sie einen Glücksdrachen singen hörten. Sie hatten sich, ohne es zu merken, bei der Hand gefaßt und lauschten in schweigendem Entzücken. Jeder wußte, daß der andere das gleiche empfand wie er selbst: Das Glück, einen Freund gefunden zu haben. Und sie hüteten sich, es durch Reden zu stören.
Die große Stunde ging vorüber, Fuchurs Gesang wurde nach und nach leiser und klang schließlich aus.
Als es ganz still war, erwachte Quérquobad, erhob sich und sagte entschuldigend:
»Silbergreise wie ich brauchen nun mal ihren Schlaf. Bei euch jungen Leuten ist das anders. Nehmt mir's nicht übel, aber ich muß jetzt ins Bett.«
Sie wünschten ihm gute Nacht und Quérquobad ging.
Wieder saßen die beiden Freunde lange Zeit schweigend und blickten zum Nachthimmel hinauf, wo der Glücksdrache noch immer mit langsamen, ruhigen Wellenbewegungen seine Kreise zog. Ab und zu schwebte er wie ein weißer Wolkenstreif vor der vollen Mondscheibe vorüber.
»Geht Fuchur nicht schlafen?« fragte Bastian schließlich.
»Er schläft schon«, sagte Atr6ju leise.
»Im Fliegen?«
»Ja. Er hält sich nicht gern in Häusern auf, sogar wenn sie so groß sind wie Quérquobads Palast. Er fühlt sich beengt und eingeschlossen und versucht, sich so vorsichtig wie möglich zu bewegen, um nichts herunterzuwerfen oder umzustoßen. Er ist einfach zu groß. Darum schläft er meistens hoch in der Luft.«
»Meinst du, er läßt mich auch mal auf sich reiten?«
»Bestimmt«, meinte Atréju, »allerdings ist es nicht ganz einfach. Man muß sich erst dran gewöhnen.«
»Ich bin auf Graógramán geritten«, gab Bastian zu bedenken.
Atréju nickte und blickte ihn voll Bewunderung an.
»Du hast es bei der Mutprobe zu Held Hynreck gesagt. Wie hast du den Bunten Tod bezwungen?«
»Ich habe AURYN«, sagte Bastian.
»Ach?« machte Atréju. Er sah sehr überrascht aus, aber er sagte nichts weiter.
Bastian holte das Zeichen der Kindlichen Kaiserin unter seinem Hemd hervor und zeigte es Atréju. Atréju betrachtete es eine Weile und murmelte dann: