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»Ich werde mich dieser Erpressung Xayídes auf keinen Fall beugen, das ist wohl klar«, sagte er laut zu den Umstehenden, »wir müssen sofort einen Plan entwerfen, wie wir die drei Gefangenen rasch befreien können.«

»Das wird nicht leicht sein«, meinte Illuan, der blaue Dschinn mit dem Adlerschnabel, »mit diesen schwarzen Burschen können wir alle nicht fertigwerden, das hat sich ja gezeigt. Und selbst wenn du, Herr, und Atréju und sein Glücksdrache an unserer Spitze kämpfen, wird es zu lange dauern, bis wir Schloß Hórok eingenommen haben. Das Leben der drei Herren liegt in Xayídes Hand, und sobald sie merkt, daß wir angreifen, wird sie sie töten. Das scheint mir sicher.«

»Dann darf sie es eben nicht merken«, erklärte Bastian, »wir müssen sie überraschen.«

»Wie können wir das?« fragte der Vier Viertel Troll, der jetzt sein zorniges Gesicht nach vorn gedreht hatte, was ziemlich erschreckend aussah, »Xayíde ist sehr schlau und wird auf jede Möglichkeit vorbereitet sein.«

»Das fürchte ich auch«, sagte der Gnomenfürst, »wir sind zu viele, als daß sie es nicht beobachten würde, wenn wir uns auf Schloß Hórok zubewegen. Ein solcher Heerzug läßt sich nicht verbergen, nicht einmal in der Nacht. Sie hat bestimmt Späher aufgestellt.«

»Dann«, überlegte Bastian, »könnten wir gerade das dazu benützen, sie zu täuschen.«

»Wie meinst du das, Herr?«

»Ihr müßt mit der ganzen Karawane in anderer Richtung weiterziehen, so daß es aussieht, als wärt ihr auf der Flucht, als hätten wir es aufgegeben, die drei Gefangenen zu befreien.«

»Und was wird aus den Gefangenen?«

»Ich werde das mit Atréju und Fuchur zusammen übernehmen.«

»Nur ihr drei?«

»Ja«, sagte Bastian, »natürlich nur, wenn Atréju und Fuchur zu mir stehen. Sonst mache ich es eben ganz allein.«

Bewundernde Blicke trafen ihn. Flüsternd teilten die Näherstehenden es den anderen mit, die es nicht hatten hören können.

»Das, Herr«, rief schließlich der blaue Dschinn, »wird in die Geschichte Phantásiens eingehen, gleich ob du siegen oder unterliegen wirst.«

»Kommt ihr mit?« wandte Bastian sich an Atréju und Fuchur, »oder habt ihr wieder einen eurer Vorschläge?«

»Nein«, sagte Atréju leise, »wir kommen mit dir.«

»Dann«, befahl Bastian, »soll der Zug sich jetzt in Bewegung setzen, solang es noch hell ist. Ihr müßt den Anschein erwecken, daß ihr auf der Flucht seid, also eilt euch! Wir werden hier die Dunkelheit abwarten. Morgen früh stoßen wir wieder zu euch - mit den drei Herren oder überhaupt nicht. Geht nun!«

Die Reisegenossen verneigten sich stumm vor Bastian, dann machten sie sich auf den Weg. Bastian, Atréju und Fuchur versteckten sich im Orchideengebüsch und warteten reglos und schweigend auf die Nacht.

Als die Dämmerung hereinbrach, hörten sie plötzlich ein leises Klirren und sahen fünf der riesenhaften schwarzen Kerle den verlassenen Lagerplatz betreten. Sie bewegten sich auf eine eigentümlich mechanische Art, alle ganz gleich. Alles an ihnen schien aus schwarzem Metall, sogar die Gesichter waren wie Masken aus Eisen. Sie blieben gleichzeitig stehen, drehten sich in die Richtung, in der die Karawane verschwunden war, und folgten, ohne ein Wort miteinander gesprochen zu haben, im Gleichschritt der Spur. Dann war es wieder still.

»Der Plan scheint zu funktionieren«, flüsterte Bastian.

»Es waren nur fünf«, erwiderte Atréju. »Wo sind die anderen?«

»Sicher werden die fünf sie auf irgendeine Weise rufen«, meinte Bastian.

Als es schließlich ganz dunkel geworden war, krochen sie vorsichtig aus ihrem Versteck, und Fuchur erhob sich mit seinen beiden Reitern lautlos in die Lüfte. Er flog möglichst niedrig über die Wipfel des Orchideenwaldes hin, um nicht entdeckt zu werden. Zunächst stand die Richtung ja fest, es war dieselbe, die er an diesem Nachmittag eingeschlagen hatte. Als sie etwa eine Viertelstunde rasch dahingeglitten waren, erhob sich die Frage, ob und wie sie nun das Schloß Hórok finden würden. Die Finsternis war undurchdringlich. Doch wenige Minuten später sahen sie das Schloß vor sich auftauchen. Seine tausend Fenster waren strahlend hell erleuchtet. Xayíde schien Wert darauf zu legen, daß man es sah. Das war allerdings leicht erklärlich, denn sie wartete ja auf Bastians Besuch, wenn auch in anderem Sinne.

Vorsichtshalber ließ Fuchur sich zwischen den Orchideen zu Boden gleiten, denn sein perlmutterweißes Schuppenkleid funkelte und warf das Licht zurück. Und vorerst durften sie noch nicht gesehen werden.

Im Schutz der Pflanzen näherten sie sich dem Schloß. Vor dem großen Eingangstor hielten zehn der Panzerriesen Wache. Und an jedem der hell erleuchteten Fenster stand einer von ihnen, schwarz und reglos wie ein drohender Schatten.

Schloß Hórok stand auf einer kleinen Anhöhe, die frei von Orchideendickicht war. Die Form des Gebäudes war tatsächlich die einer Riesenhand, die aus der Erde ragte. Jeder der Finger war ein Turm und der Daumen ein Erker, auf dem abermals ein Turm saß. Das Ganze war viele Stockwerke hoch, jedes Fingerglied bildete eines, und die Fenster hatten die Form von leuchtenden Augen, die nach allen Seiten ins Land spähten. Es hieß zurecht die Sehende Hand.

»Wir müssen herausfinden«, wisperte Bastian Atréju ins Ohr, »wo die Gefangenen stecken.«

Atréju nickte und bedeutete Bastian, still zu sein und bei Fuchur zu bleiben. Dann kroch er, ohne das geringste Geräusch zu machen, auf dem Bauch fort. Es dauerte lange, ehe er zurückkam.

»Ich bin um das ganze Schloß herum gepirscht«, raunte er, »es gibt nur diesen einen Eingang. Aber der ist zu gut bewacht. Nur ganz oben auf der Spitze des Mittelfingers habe ich eine Dachluke entdecken können, an der keiner von den Panzerriesen zu stehen scheint. Aber wenn wir mit Fuchur hinauffliegen, werden sie uns unbedingt sehen. Die Gefangenen sind wahrscheinlich im Keller, jedenfalls habe ich einmal wie aus großer Tiefe einen langen Schmerzensschrei gehört.«

Bastian dachte angestrengt nach. Dann flüsterte er:

»Ich werde versuchen, diese Dachluke zu erreichen. Du und Fuchur, ihr müßt inzwischen die Wächter ablenken. Tut irgend etwas, das sie glauben macht, wir würden das Eingangstor angreifen. Ihr müßt sie alle hierher locken. Aber nur locken, verstehst du? Laß dich auf keinen Kampf ein! Inzwischen werde ich versuchen, von hinten an der Hand hinaufzuklettern. Halte die Kerle auf, solang es geht. Aber geh kein Risiko ein! Laß mir ein paar Minuten Zeit, ehe du anfängst.«

Atréju nickte und drückte ihm die Hand. Dann legte Bastian den Silbermantel ab, und schlüpfte durch die Dunkelheit davon. Er schlich in einem großen Halbkreis um das Gebäude herum. Kaum hatte er die Rückseite erreicht, da hörte er auch schon Atréju laut rufen:

»Heda! Kennt ihr Bastian Balthasar Bux, den Retter Phantásiens? Er ist gekommen, aber nicht um die Gnade Xayídes zu erbitten, sondern um ihr noch eine Chance zu geben, die Gefangenen gutwillig freizulassen. Unter dieser Bedingung soll sie ihr schmähliches Leben behalten!«

Bastian konnte gerade noch aus dem Dickicht um eine Ecke des Schlosses spähen. Atréju hatte sich den Silbermantel übergezogen und seine blauschwarzen Haare wie zu einem Turban aufgedreht. Für jemanden, der sie beide nicht gut kannte, mochte tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen bestehen.

Die schwarzen Panzerriesen schienen einen Augenblick lang unschlüssig. Aber nur einen Augenblick lang. Dann stürzten sie auf Atréju zu, man hörte ihre Schritte metallen stampfen. Auch die Schatten an den Fenstern kamen nun in Bewegung, sie verließen ihre Posten, um zu sehen, was es gab. Andere drängten in großer Menge aus der Eingangspforte. Als die ersten Atréju fast erreicht hatten, entwischte er ihnen wie ein Wiesel, und im nächsten Augenblick tauchte er, auf Fuchur sitzend, über ihren Köpfen auf. Die Panzerriesen fuchtelten mit ihren Schwertern in der Luft herum und sprangen hoch, doch konnten sie ihn nicht erreichen.