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Ich blickte auf die leere Straße hinunter.

Am besten ging ich nach Torcodino. Andererseits hätte ich aus Achtung vor Marcus den Versuch wagen müssen, Ars Winterlager zu erreichen. Im Gegensatz zu Marcus schuldete ich Ar keine Untertanenpflicht. Und doch hätte er genau das gewollt; er hätte gewollt, daß ich den Oberbefehlshaber von Ar über die Bewegungen und Positionen des cosischen Expeditionsheers informiere. Ich konnte nicht davon ausgehen, daß er es geschafft hatte. Also würde ich versuchen, das Winterlager zu erreichen.

Die Straße war menschenleer.

Am Morgen würde ich das Lager abbrechen und nach Holmesk reisen. Ich würde mich wieder als Kaufmann tarnen.

Ich blickte wieder zur Straße.

Sie war noch immer leer.

Ich mußte an Ephialtes denken, den Marketender aus dem Krummen Tarn, der mir vor Ar-Station wiederbegegnet war. Ich nahm an, daß er das Expeditionsheer begleitete. Auch er hatte unter Borton zu leiden gehabt. Tatsächlich hatte der Tarnsmann Ephialtes’ Schlafplatz in der Herberge für sich beansprucht, einen ziemlich guten Platz, einen Eckplatz, und er hatte den Marketender einfach davongejagt und ihn sich genommen. Eine Meisterleistung an Kühnheit. Ephialtes hatte mir dann später geholfen, den Kurier hereinzulegen. Danach hatte er als mein Agent gearbeitet. Er war ein guter Kerl. Zur Zeit behütete er vier meiner Frauen, die Sklavin Liadne und die drei freien Frauen Amina, Rimice und Phoebe.

Am Morgen würde ich aufbrechen, um nach Holmesk zu reisen.

Plötzlich beugte ich mich vor. Da war ein winziger Punkt. In der Ferne. Ich war mir nicht sicher, ob es sich nicht um eine optische Täuschung handelte. Gespannt wartete ich. Ein paar Ehn später wußte ich es genau. Auf der Straße, dieser langen, schmalen, staubigen Straße, die kaum mehr als ein Pfad war und zu beiden Seiten von vertrocknetem Gras begrenzt wurde, näherte sich eine Gestalt.

Ich wartete.

Ich wartete mehrere Ehn, fast eine Viertelahn. Langsam entstand in mir Gewißheit.

Ich lachte leise.

Einige Zeit später hob ich einen Stein auf und warf ihn, als der Mann mein Versteck passierte, hinter ihn auf die Straße. Da es dort keinerlei Deckung gab, tat der Mann genau das, was ich erwartete. Er drehte sich blitzschnell um, ließ das Marschgepäck fallen, bewegte sich zur Seite, nahm eine geduckte Haltung an, alle Sinne gespannt. Er wandte sich der dem Geräusch entgegengesetzten Richtung zu. In einer derartigen Situation, die von dem Geräusch des auftreffenden Steins heraufbeschworen worden war – etwas Unerwartetes auf der linken Seite des Reisenden –, kam die Drohung von dem bewachsenen Hügel und nicht von der Grasebene. Die spätnachmittägliche Sonne spiegelte sich im Stahl der blankgezogenen Klinge. Der Mann hatte sich fast schon über einen Meter von seinem Gepäck entfernt. Schon im nächsten Augenblick würde er die Deckung der Büsche erreicht haben.

Ich stand auf, hob grüßend die rechte Hand, die frei von jeder Waffe war.

Seine Klinge glitt zurück in die Scheide.

»Wie ich sehe, bildet Ar seine Krieger noch immer gut aus!« rief ich zu ihm hinunter.

»Ar-Station!« erwiderte er lachend. Er nahm sein Marschgepäck auf und stürmte den Hügel herauf.

Einen Augenblick später schüttelten Marcus und ich uns die Hände.

»Ich hatte befürchtet, sie hätten dich gefangengenommen«, sagte er erleichtert.

»Ich habe hier auf dich gewartet. Was hat dich aufgehalten?«

Sein Gesicht lief plötzlich rot an. »Ich wurde am Vosk aufgehalten«, antwortete er. »Ich konnte nicht früher kommen.«

»Geschäfte?« fragte ich.

»Natürlich«, antwortete er ausweichend.

Ich lachte. »Du hast darauf gewartet, etwas über mich zu hören – ob sie mich erwischt haben.«

»Nein.« Die Antwort kam etwas zu schnell.

»Du hättest sofort nach Holmesk aufbrechen sollen«, sagte ich.

»Vielleicht.«

»Aber du hast es nicht getan«, bemerkte ich.

Er errötete.

»Das war doch unser Plan, oder?« fragte ich ihn mit einer Unschuld, die Boots Tarskstück alle Ehre gemacht hätte. Ich war nicht umsonst mit einer Truppe fahrender Schauspieler durch das Land gezogen. Zugegeben, meistens hatte ich nur geholfen, die Bühne aufzubauen und die Räder steckengebliebener Wagen aus dem Dreck zu ziehen.

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, sagte er verdrossen.

»Aber man muß sich doch an einen Plan halten«, erwiderte ich. »Zum Beispiel muß man dazu bereit sein, den Kameraden und Freund zu opfern.«

»Natürlich«, bestätigte Marcus gereizt. »Natürlich!«

»Es ist gut, daß es Menschen wie dich gibt, die Faulpelze und weniger verantwortliche Kerle wie mich über ihre Pflichten aufklären.«

»Danke.«

»Aber anscheinend hast du dich bei dieser Gelegenheit nicht daran gehalten.«

Er zuckte mit den Schultern.

»Danke, mein Freund.«

Wir schüttelten uns erneut die Hände.

»Pst«, zischte er plötzlich. »Dort unten!«

»Hallo, ihr da!« rief ein Mann fröhlich von der Straße aus. Er war in Begleitung zweier weiterer Männer, hochgewachsene, halbrasierte, zerlumpt aussehende Burschen. Sie waren bewaffnet, und sie sahen gefährlich aus.

Marcus’ Hand fuhr zum Schwertgriff.

»Warte«, flüsterte ich ihm zu. Ich hob grüßend die Hand. »Tal«, rief ich den Männern auf der Straße zu.

»Wir sind Reisende«, rief der Sprecher der Gruppe. »Wir suchen den Weg nach Teslit.«

»Das liegt weiter südlich von hier, an dieser Straße«, sagte ich.

»Das sind keine Reisenden«, murmelte Marcus.

»Nein.«

»Ist das weit?« rief der Mann.

»Einen Pasang.«

»Sie kommen von Süden«, bemerkte Marcus.

»Ich weiß«, entgegnete ich. Ich hatte die Straße beobachtet. Wären sie Marcus gefolgt, hätte ich sie gesehen. Aber was noch viel wichtiger war, von dieser Höhe aus konnte man die Spuren im Straßenstaub sehen.

»Sie tragen kein Gepäck«, sagte Marcus.

»Das befindet sich vermutlich in Teslit.« Ich war nicht der einzige, der in Teslit Erkundigungen einziehen konnte.

»Vielleicht sind sie mir gefolgt«, sagte Marcus bitter.

»Das halte ich für unwahrscheinlich. Jedenfalls nicht direkt. Solche Verfolger wären dir doch aufgefallen.«

»Das hoffe ich zumindest«, sagte er. Es ist gefährlich, einem Krieger zu folgen.

»Ihr braucht keine Angst zu haben!« rief der Kerl auf der Straße.

»Vielleicht haben sie vorausgesehen, daß du vom Lager südwärts reist«, meinte ich. »Vielleicht hatten sie angenommen, daß du früher aufbrichst. In Teslit haben sie dann erfahren, daß jemand, auf den meine Beschreibung paßt, kürzlich dort war, aber allein, und dann anscheinend weiter nach Süden reiste. Sie sind dann so weit nach Süden geeilt, wie sie es wagte, aber jetzt kehren sie zurück. Noch wahrscheinlicher ist, daß sie damit gerechnet haben, daß ich in der Nähe an einem Treffpunkt warte.«

»Wir möchten gern mit euch sprechen!« rief der Mann.

Ich konnte es ihnen nicht verdenken, daß sie nicht heraufkommen wollten.

»Vielleicht sind es Straßenräuber«, flüsterte Marcus.

»Das glaube ich nicht.«

»Was denn dann?«

»Jäger«, sagte ich. »Menschenjäger.« Ich wandte mich wieder den Männern auf der Straße zu. »Wir sind einfache Kaufleute«, rief ich.

»Dann kommt runter, damit wir euch etwas abkaufen können!«

»Ihr könntet Soldaten aus Ar sein«, erwiderte ich. Es war durchaus möglich, daß Ar Geheimpatrouillen in der Gegend hatte.

Die drei Männer blickten einander an. Sie berieten sich leise. Dann hob der Sprecher den Kopf. »Nein, wir kommen nicht aus Ar.«

Marcus lächelte. »Dann ist es wahrscheinlich, daß sie aus dem Lager am Vosk kommen.«

Ich nickte.

»Keine Angst«, rief der Mann. »Ihr habt nichts von uns zu befürchten.«

»Wir sind einfache Kaufleute«, erinnerte ich ihn.

»Dann wollen wir euch etwas abkaufen!«

»Was denn?« fragte ich.

»Wir brauchen viele Dinge«, rief er. »Zeigt uns eure Waren.«

»Dann kommt rauf.«