»Ihr habt euch als Kaufleute getarnt«, stellte der Anführer fest.
Ich nickte. Das war aus dem Gepäck ersichtlich geworden. Die Späher hatten es durchsucht.
»Und diese Kerle haben euch verfolgt.« Der Anführer zeigte auf die toten Söldner.
»Ja.«
»Das war wohl ihr Fehler«, sagte er.
»So sieht es aus«, erwiderte ich.
»Was haben sie euch abgekauft?«
»Nichts.«
»Falsch«, sagte der Anführer. »Ihr habt ihnen den Tod verkauft.« Dann befahl er einem seiner Männer, die Leichen in die Büsche zu schleifen. »Überlaßt sie den Sleen!«
»Macht uns los!« verlangte Marcus und riß an seinen Ketten. Aber der Anführer mißachtete ihn.
Die Lanzen wurden zurück in die Sattelschuhe gesteckt, die Armbrüste an ihre Haken gehängt.
»Wir sind Partisanen für Ar!« rief Marcus wütend.
»Das wissen sie nicht«, erklärte ich ihm.
»Was habt ihr mit uns vor?«
»Wir bringen euch zu Saphronicus«, sagte der Anführer.
Marcus blickte mich freudestrahlend an. »Dann ist ja alles in Ordnung. Wir haben nichts zu befürchten.«
»Ihr werdet nicht miteinander reden«, sagte der Anführer. Er senkte die Hand, und sein Tharlarion setzte sich in Bewegung.
Marcus’ Leine war am Sattelknauf des zweiten Tharlarion befestigt. Er drehte den Kopf und warf mir einen Blick zu. Dann riß der Kragen an seinem Hals, und er stolperte halb gezogen neben der riesigen Echse her.
Sechs Tharlarion folgten ihr, in Einerreihe, damit ihre Anzahl verschleiert wurde. Dann setzte sich das neunte Tharlarion in Bewegung, und ich lief in Ketten gefesselt hinterher. Das zehnte Tharlarion bildete den Abschluß.
Es war heiß und staubig.
Marcus und ich würden tatsächlich nicht miteinander sprechen können, denn wir waren einige Meter voneinander entfernt. Marcus hatte es besser als ich. Er befand sich fast an der Spitze. Dort war es weniger staubig. Vermutlich war es nur logisch, daß er diesen bevorzugten Platz erhalten hatte. Der Anführer des Spähtrupps hatte ihm offensichtlich geglaubt, daß er ein Offizier und der Ranghöhere unser kleiner Gruppe war. Außerdem stammte er aus Ar-Station und nicht bloß aus Port Kar. Mich hielt man für seinen Untergebenen, was unter diesen Umständen wohl nur natürlich war. Aber es gab noch einen Grund, warum sich Marcus in der Nähe des Anführers aufhielt, der die Dinge in eine gewisse Perspektive rückte. Im Falle von Schwierigkeiten würde man Marcus, den vorgeblichen Anführer der Gefangenen, ganz schnell ausschalten.
Das Tempo erhöhte sich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß uns eine angenehme Reise erwartet. Ich hatte jetzt schon Durst.
In einer Ahn würde es vermutlich dunkel sein. Ich fragte mich, wo das Heer von Ar zur Zeit tatsächlich stand.
Eine Stechfliege surrte vorbei. Es würde schwierig sein, sich in Ketten vor einem solchen Geschöpf zu schützen. Es war schon die zweite, die ich heute sah. Für gewöhnlich schlüpften sie an Flüssen und im Sumpfland, wenn auch zu einer späteren Jahreszeit. In bestimmten Gegenden schlüpften sie in großer Zahl.
Der Staub wogte wie eine Wolke in die Höhe, aufgewühlt von den schweren, krallenbewehrten Pfoten der Tharlarion.
Marcus hatte mir versichert, daß es nichts zu befürchten gab, daß man uns zu Saphronicus brachte.
Die Leine lag um meinen Hals.
Ich verließ mich darauf, daß Marcus recht hatte, daß wir wirklich nichts zu befürchten hatten.
Ich bewegte die Hände in den engsitzenden Stahlreifen, die sie auf so ausgeklügelte Weise hinter meinem Rücken hielten.
Ja, wir hatten nichts zu befürchten.
Zumindest hoffte ich das. Denn wir waren hilflose Gefangene, völlig der Gnade unserer Häscher ausgeliefert.
3
»Durch das Auge!« brüllte ich und kämpfte gegen die Fesseln an, die meinen nackten Körper eng einschnürten; die Hände über Kreuz hinter dem Rücken an die Fußknöchel gefesselt kniete ich im Bug des kleinen Rencebootes. »Durch das Auge!«
Um mich herum ertönten Schreie voller Angst und Wut.
Der Soldat vor mir war aus dem Boot gerissen worden; der verhältnismäßig kleine, an der breitesten Stelle kaum einen halben Meter große, dreieckige Kopf auf dem langen, biegsamen Hals schoß plötzlich wassertropfend aus dem Sumpf und packte ihn, hob ihn mehrere Meter in die Höhe, wo er sich schreiend wand.
»Durch die Augen!« flehte ich ihn an.
»Das schafft er nicht!« rief ein anderer Soldat.
Ein Ruderer schlug mit dem Ruder auf die Kreatur ein. Sie wich zurück, angetrieben von den schweren, wie ein Diamant geformten Gliedmaßen, und ihr Schwanz peitschte herum und ließ Wasser aufspritzen.
Überall ertönten Schreie. Im Umkreis von hundert Metern befand sich eine Flottille aus kleinen Rencebooten, Lastkähnen, Flachbooten, Fischerbooten und Flößen, die etwa vier- bis fünfhundert Mann beförderte.
Es war deutlich zu hören, wie das Rückgrat des in der Luft baumelnden Soldaten brach.
Wäre es ihm gelungen, der Kreatur die Daumen in die Augen zu drücken, hätte er über diesen Weg ihr Gehirn erreichen können. Aber er hatte es nicht geschafft.
»Er ist tot«, sagte der Ruderer.
Von ein paar Zuckungen und einem starren Blick abgesehen hing der Körper nun ganz schlaff in der Luft.
»Das ist er nicht!«
»Tötet ihn!«
»Ich komme nicht an ihn ran!« rief ein Soldat, der unsicher in einem der leichteren Rencebooten stand und mit dem Schwert herumfuchtelte.
»Nein, er ist tot!«
Der Mann war tot.
Die Kreatur fiel zurück ins Wasser, tauchte unter einen der Lastkähne, hob ihn fast einen Meter aus dem Wasser und ließ ihn von ihrem Rücken rutschen, dann bahnte sie sich wieder unter Wasser ihren Weg in das Renceschilf.
Der Mann neben mir stieß einen Schrei aus. Nur wenige Zentimeter entfernt durchstieß die schmale Schnauze eines fischähnlichen Tharlarions die Wasseroberfläche. Der Ruderer hob sein Ruder und schlug danach. Das Tharlarion verschwand unter den zusammengebundenen Rencebündeln.
»Bindet mich los!« bat ich. Ich war völlig hilflos.
»Sei still, Spion«, fauchte ein Soldat.
Meine Knie waren feucht, zwischen den röhrenähnlichen Rencestengeln, die man bündelweise zusammengezurrt und in Form gebracht hatte, sickerte Wasser empor.
»Zusammenrücken!« rief ein Offizier, der einige Meter von uns entfernt war. »Vorwärts, weiter!« Er stand im Bug eines kleinen Fischerbootes. Männer stießen es mit Stangen vorwärts.
»Dreht um!« rief ich ihm zu. »Begreift ihr nicht, was hier geschieht?«
Der Leutnant nahm keine Notiz von mir. »Vorwärts!« rief er. »Verfolgt die Sleen aus Cos! Sie werden uns nicht entkommen!«
Auf der linken Seite ertönte ein Hilfeschrei. Eines der Flachboote sank.
»Zerschlagt das Holz!« rief jemand aus einem Nachbarboot. »Baut euch ein Floß!« Männer waren im Wasser. Einige schwammen, andere wateten. Das Wasser reichte ihnen bis zur Brust.
»Nehmt uns an Bord.«
Man half ihnen, die Boote zu erklimmen, die nun aber gefährlich tief im Wasser lagen.
»Weiter!« rief der Leutnant. »Schnell! Sie können nicht mehr weit sein.«
»Das Rence weist an zwei Stellen Schneisen auf!«
»Wir werden unsere Streitmacht in zwei Teile aufteilen«, befahl der Leutnant. Hinter uns befand sich ein weiteres Kontingent. Man konnte ihre Rufe hören.
Ich wand mich in meinen Fesseln.
Saphronicus und Seremides hatten nun ihre Rache. Vor langer Zeit hatten beide Cernus aus Ar, meinem erklärten Feind, als Leutnants gedient; seine Machenschaften, seine politischen und ökonomischen Manipulationen hatten Minus Tentius Hinrabius erfolgreich vom Thron gestoßen. Später war Cernus, obwohl er nur ein Kaufmann war, selbst auf den Thron aufgestiegen. Der beim Volk beliebte Marlenus aus Ar hatte ihn bei seiner Rückkehr abgesetzt. Cernus war von einem Kur getötet worden, einer Bestie, die nicht von Gor stammte. Saphronicus und Seremides waren als Verräter in Ketten gelegt und als Galeerensklaven verkauft worden, wo sie, wie ich in Erfahrung gebracht hatte, von jemandem gerettet worden waren, der Verwendung für Männer ihrer Art hatte. Saphronicus war Hauptmann der Taurentianer gewesen, der Palastwache von Ar. Seremides war der Kommandant der Armee gewesen. Natürlich hatte ich gehört, daß ein Seremides in Ar zum General der Armee aufgestiegen war, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß es sich dabei um den Seremides aus der Zeit des Cernus’ handelte. Wie überall gibt es auch auf Gor weitverbreitete Namen. So heißen viele Tarl, vor allem in den nördlichen Gegenden Gors. Der Seremides, der damals Cernus’ Helfershelfer gewesen war, stammte sogar ursprünglich aus Tyros.