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Es schien unglaublich, daß ein solcher Mann von Verschwörern unterstützt, in Ar erneut Macht erlangen konnte, aber Marlenus war abwesend gewesen. Daß es sich tatsächlich um denselben Seremides handelte, hatte mir ein belustigter Saphronicus klargemacht, bei einem mitternächtlichen Gespräch in seinem Zelt. Ich hatte nackt und gefesselt vor ihm auf den Knien gelegen. Das hatte natürlich auch die Intrige mit der verräterischen Botschaft erklärt, die ich völlig ahnungslos und unter größeren Risiken im Auftrag von Genius Lelius, dem Regenten von Ar, nach Ar-Station gebracht hatte, die Botschaft, laut der ich ein cosischer Spion war. Natürlich war mir Saphronicus in Ar nicht begegnet.

Ich wußte auch nicht, ob Genius Lelius an dem Verrat beteiligt war oder nicht. Aber ich kannte den Namen von zumindest einem der Verschwörer; Dokumente, die mir in Brundisium in die Hände gefallen waren, hatten ihn mir verraten. Es handelte sich um eine Frau. Ihr Name lautete Talena, und bis zu ihrer Verbannung war sie Marlenus’ Tochter gewesen. Wie ich in Erfahrung gebracht hatte, hatte sich auch ihr Glück gewandelt. Sie hatte die Bürgerrechte zurückerhalten, und einige handelten sie unter vorgehaltener Hand bereits als neue Ubara.

»Wirst du mich jetzt töten?« hatte ich Saphronicus gefragt.

Er hatte nur gelacht. »Nein. Ich schicke dich ins Vosk-Delta.«

4

»Ich möchte den Hauptmann sprechen«, sagte ich zu dem Soldaten.

»Ich habe ihm deine Bitte übermittelt«, erwiderte der Soldat. »Und jetzt halt den Mund.«

Ich ließ mich in meinen Fesseln auf den Sand zurücksinken.

Insekten krochen über meinen Körper; ich biß die Zähne zusammen. Dann wechselte ich die Position. Es war so gut wie unmöglich, mich mit den Händen zu schützen. Ich wollte gequält aufschreien. Ich fragte mich, ob eine solche Qual einen Mann in den Wahnsinn treiben konnte. Aber ich schwieg. Ich legte mich wieder auf den Rücken und sah zum Himmel. Dort schwebten die Sterne und zwei der drei Monde. Ein paar Meter entfernt schrie ein Mann wütend auf und schlug auf seinen Körper. Es waren viele Soldaten versammelt.

Das Delta des Vosk ist ein trügerisches Gebiet, in dem man sich nur mit großer Mühe zurechtfindet. Seine Wege verändern sich beinahe über Nacht. Die Sicht ist meistens sehr schlecht, wegen des hohen Renceschilfs reicht sie selten weiter als ein paar Schritte. Fahrrinnen, in denen das schlammige, träge Wasser tief genug ist, um ein Rundschiff zu tragen, wechseln sich mit nur zentimetertiefen Rinnsalen ab. Zu dieser Jahreszeit, nach der im Frühling eintretenden Schneeschmelze flußaufwärts, beträgt die durchschnittliche Wassertiefe zwischen einem und eineinhalb Metern.

Es gibt hier viele Sandbänke.

Auf einer solchen Bank hatten etwa fünfzig bis sechzig Soldaten ihr Lager aufgeschlagen. Sie hatten ihr kleines Boot auf die Sandbank gezogen. Bei der ersten Übernachtung vor etwa zehn Tagen waren einige Boote verlorengegangen. Wegen der Strömungen sind die Anzahl und die Form der Sandbänke ständigen Veränderungen unterworfen; der Sand wird weggeschwemmt und neu verteilt. Nach jener ersten Nacht hatte man die kleineren Boote zusammengebunden, Pflöcke in den Boden gerammt und die Taue daran festgemacht. Meine gefesselten Knöchel waren mit einem kurzen Seil an einem von ihnen festgebunden, die Leine hing an einem anderen.

»He, hör mal«, rief ich.

Der Soldat sah zu mir herüber.

»Bin ich der einzige Gefangene im Delta?«

»Keine Ahnung.«

Nach der Gefangennahme waren Marcus und ich voneinander getrennt worden. Nach unserer Ankunft in dem provisorischen Lager vor Holmesk hatte ich allerdings ein paar Tage lang gewußt, wo man ihn untergebracht hatte. Dann hatten sie ihn weggebracht und mich in einen Käfig gesperrt. Vermutlich hatte man ihn zu Saphronicus gebracht oder ihn zumindest einem zuständigen Offizier vorgeführt. Das hatte der Anführers des Spähtrupps, der uns gefangengenommen hatte, zumindest vorgehabt.

»Man hat mich zusammen mit meinem Freund, einem jungen Kerl aus Ar-Station, in das Lager von Ar gebracht«, sagte ich.

»Dein Offizier?«

»Mein Freund.«

»Ihr wart beide Spione«, sagte der Mann grimmig.

»Was ist aus ihm geworden?«

»Was glaubst du denn?«

»Keine Ahnung.«

»Vermutlich wurde er kastriert, gefoltert und gepfählt«, meinte der Soldat.

»Er stammte aus Ar-Station, aus einer uralten und ehrenhaften Familie. Den Marcelliani.«

»In diesem Fall wurde er vielleicht nur ausgepeitscht und geköpft.«

»Hast du davon gehört?«

»Nein. Ich weiß nichts von ihm.«

»Warum hat man mich ins Delta gebracht?« fragte ich.

»Damit du Zeuge wirst, wie man deine Lügen enthüllt«, sagte er. »Damit du siehst, wie wir die Sleen aus Cos einholen, damit du miterleben kannst, wie deine Freunde, deine Zahlmeister niedergemacht werden, damit du miterlebst, wie sie die Rache Ars trifft! Ruhm und Ehre für Ar!«

»Und wie viele Cosianer habt ihr getötet?«

»Wir werden sie bald eingeholt haben«, sagte der erste Soldat wütend. »Vielleicht schon morgen. Schlaf jetzt!«

Ich lag noch eine Zeitlang da und betrachtete die Sterne. Einmal zeichneten sich krallenbewehrte, membranhafte Schwingen vor einem der Monde ab, der gleitende Umriß eines riesigen, räuberischen Uls, das gefürchtete fliegende Tharlarion des Delta. Das ist die einzige Kreatur, die es in dieser Gegend wagt, ihre Gestalt am Himmel zu zeigen. Ich versuchte, die winzigen Füße zu ignorieren, die über meinen Körper krabbelten. Irgendwann gegen Morgen schlief ich schließlich ein.

5

Plenius fluchte. Der Soldat stand hinter mir, mit dem Ruder in der Hand. Er wechselte sich mit anderen darin ab, mich zu bewachen. Wir standen knietief im Wasser.

Der Bug des Rencebootes, der noch immer trocken war, bahnte sich einen Weg durch das Schilfgras. Hinter ihm kamen andere Boote.

»Wir müßten doch schon längst auf die Sleen aus Cos gestoßen sein!« schluchzte ein Mann entnervt.

»Halt!« rief eine Stimme von vorn.

Aufgescheucht flatterte ein Gant aus dem Schilf, gewann an Höhe und ging wieder tiefer.

»Da treibt eine Leiche im Wasser«, meldete ein Soldat, der linkerhand auf einem schmalen Floß stand.

»Ein Cosianer?« fragte Plenius.

»Nein.«

Wir schlossen näher auf. Die Barke, die der Hauptmann zu seinem schwimmenden Befehlstand gemacht hatte, kam heran; sie wurde mit Hilfe von Stangen fortbewegt.

Im Sumpfwasser trieb eine Leiche, halb untergegangen, mit dem Gesicht nach unten.

»Das ist einer von uns«, sagte Plenius. »Das waren die Cosianer.«

»Das ist unwahrscheinlich«, meinte ich.

»Wer soll es denn gewesen sein?«

»Sieh dir die Wunde an.« Es waren drei Einstiche, alle im Rücken.

»Man hat dreimal auf ihn eingestochen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, einmal.«

»Es sind aber drei Wunden.«

»Sieh sie dir genau an, die geradlinige Anordnung, der dazwischenliegende Abstand.«

»Ein Dreizack«, sagte mein Bewacher.

»Ja«, erwiderte ich. »Der dreizackige Fischspeer.«

»Das ist keine Waffe.«

»Aber man kann ihn so benutzen, wie man sieht.«

»Genau, wie in der Arena.« Plenius bezog sich auf einen beliebten Schaukampf in der Arena, in dem der ›Fischer‹ mit Netz und Dreizack kämpft. »Aber hier im Vosk-Delta gibt es bestimmt keine Arenakämpfer.«