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»Erzähl mir von Ephialtes, Liadne, der Kette und dergleichen«, befahl ich. Ich erinnerte mich an die sechs Zechprellerinnen, die ich in der Herberge Zum Krummen Tarn ausgelöst hatte, Lady Amina aus Venna, Lady Elene aus Tyros und Klio, Rimice, Liomache und Temione, die alle aus Cos stammten.

»Ephialtes geht es gut«, sagte sie. »Er scheint Liadne sehr zugetan zu sein, und sie ihm auch. Eines Tages fiel ich dem Betreiber eines Paga-Ausschanks auf, einem Mann namens Philebus. Natürlich war es unmöglich, uns zu verbergen. Wir fielen selbst dem müßigsten aller Spaziergänger auf. Er brachte sein Interesse zum Ausdruck. Ich wurde vorgeführt und sagte ›Kauf mich, Herr‹. So einfach war das.«

»Du bist schöner, als ich dich in Erinnerung hatte«, sagte ich.

»Mein Herr sagt, daß ich schöner geworden bin«, erwiderte sie. »Ich weiß nicht, ob es stimmt oder nicht.«

»Das tut es.«

»Vielen Dank, Herr.«

»Als du also die Kette verlassen hast, enthielt sie nur noch Amina, Rimice und Phoebe.«

»Ja.«

»Ich frage mich, ob die Kette sich noch hier im Lager befindet.«

»Ich glaube schon«, sagte sie. »Aber ich weiß es nicht.«

Das mochte stimmen – oder auch nicht.

»Beug dich zurück«, befahl ich.

Sie gehorchte mit Tränen in den Augen, bebend vor Verlangen.

Ich blickte mich in Philebus’ Paga-Ausschank um. Das kreisförmige, aus festgestampfter Erde bestehende Areal hatte einen Durchmesser von etwa zwölf Metern. Die Einzäunung war eher symbolisch gemeint und bestand aus leichten Querhölzern, die auf Dreifüßen ruhten und bis in Hüfthöhe reichten. Diese Barriere, wenn man sie so nennen will, wird immer wieder ab- und neu aufgebaut, wenn das Lager weiterzieht. Innerhalb des Areals gab es einige winzige alkovenähnliche Zelte, die größtenteils gerade noch innerhalb der Grenzlinie standen. Hier und dort brannten kleine Lagerfeuer. In solchen Anlagen begnügt man sich meist – wie allgemein in Heerlagern üblich – mit kleinen Feuern, da man sie schnell löschen kann. Die Sklavinnen trugen hier keine Glöckchen. Im Falle eines Alarms kann das Lager mit nur einem Befehl in Dunkelheit und Stille getaucht werden, und es wird sozusagen eins mit der Nacht. Solche Vorsichtsmaßnahmen dienen hauptsächlich zur Abwehr eines Tarnangriffs.

Die Größe der Feuer unterliegen, wie auch andere Dinge, oft genauen Lagerregeln. Sie umfassen den Aufbau des Lagers, seine Verteidigung, seine Straßen und die Lage der Einrichtungen wie Lazarette, Proviantausgaben und Schmieden. Geregelt sind auch die Aufrechterhaltung der Sicherheit und die Wacheinteilungen innerhalb der einzelnen Regimenter, die Art der Zelte, die Anzahl ihrer Bewohner, ihre Aufstellung und Abwassergruben sowie die sanitären Einrichtungen. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird gewöhnlich von Lageraufsehern überwacht. Sicher, dieses Lager bestand hauptsächlich aus Söldnern, was auch der Grund dafür war, daß viele der Regeln eher lax gehandhabt wurden. Es ist schwierig, bei Söldnern Ordnung und Disziplin durchzusetzen. Außerdem befanden sich diese Männer nach dem Fall von Ar-Station im Osten noch immer im Siegesrausch.

Ich sah, wie sich nur wenige Meter entfernt ein Mann in der Nähe des Zauns erleichterte. In einem Lager von Ar hätte einem eine solche Übertretung ein Bußgeld oder Peitschenhiebe eingebracht. Am Himmel zeichnete sich einen kurzen Augenblick lang ein Tarnsmann von einem der Monde ab und senkte sich dann dem Lager entgegen. Da er allein war, handelte es sich vermutlich um einen Kurier. Die Patrouillen setzten sich für gewöhnlich aus zwei oder mehreren Tarnsmännern zusammen. So sind sie einem einzelnen Eindringling überlegen, und man kann, falls nötig, einen von ihnen abkommandieren, um Bericht zu erstatten oder Hilfe zu holen, während sich der Rest anderen Pflichten zuwendet, vielleicht einer Verfolgungsjagd oder einer Suche, oder um die Führung zum Feind zu halten.

»Paga!« rief ein Mann, der mit untergeschlagenen Beinen ein paar Meter von mir entfernt saß. Ein Mädchen eilte mit einem Krug zu ihm.

Überlebende – darunter viele Frauen und Kinder – aus Ar-Station, Ars größter Kolonie und Stützpunkt am Vosk, waren von einer Flotte unidentifizierbarer Schiffe von den Landungsbrücken des brennenden Hafens gerettet worden, Schiffe, gegen die die Cosianer hier auf dem Kontinent nichts ausrichten konnten, da ihnen dazu die nötigen Mittel fehlten. Obwohl die Herkunft der Schiffe vermeintlich unbekannt war, war es am Fluß ein offenes Geheimnis, daß sie aus Port Cos stammten und von der Voskliga ausgerüstet worden waren. Das hatte etwas mit einem Topas und einem Schwur zu tun, was anscheinend auf frühere Geschehnisse am Fluß zurückging. Wie sich herausstellte, hatte sich das Ubarat von Cos dafür entschieden, diese Tat offiziell nicht zur Kenntnis zu nehmen, eine meiner Meinung nach kluge Entscheidung. Vermutlich gründete sie sich auf dem Respekt vor der Macht von Port Cos wie auch dem Wunsch, mittels der Stadt die Politik der Voskliga und damit den Fluß und das ganze Voskbecken zu beeinflussen, wenn nicht gar zu beherrschen. Ich hatte mich unter den Überlebenden befunden. Man hatte uns nach Port Cos in Sicherheit gebracht.

In dem Areal befanden sich vielleicht hundert Männer und etwa fünfzehn bis zwanzig Mädchen. Diese Mädchen füllten Krüge, deren Henkel zum besseren Eintauchen wie bei dem Hydria oder Wasserkrug sehr weit oben angesetzt sind, aus einem großen Kessel, dessen Inhalt über einem Feuer in der Nähe des Eingangs vor sich hinkochte. Es wird allgemein behauptet, daß warmer Paga einen schneller betrunken macht. Für gewöhnlich mag ich keinen erwärmten Paga, ausgenommen in kalten Nächten. In dieser Nacht war es warm, nicht kalt. Wir näherten uns dem Frühlingsende. Einige Cosianer schätzen heißen Paga. Das gilt interessanterweise auch für einige der Bewohner der nördlicher gelegenen Inseln wie Hunjer und Skjern, westlich von Torvaldsland. Möglicherweise zeigt sich da der cosische Einfluß, der durch Kaufleute und Seefahrer den Weg zu ihnen findet. Im allgemeinen wird im Norden Met, ein Gebräu aus fermentiertem Honig, Wasser und oftmals Gewürzen, Paga vorgezogen.

»Herr«, flüsterte das Mädchen vor mir.

Ich blickte sie an. Sie hatte nicht um Erlaubnis zum Sprechen gebeten. Schnell senkte sie den Kopf. »Verzeiht mir, Herr.« Ängstlich und beschwichtigend schob sie die Knie ein Stück weiter auseinander.

Ich betrachtete die einst stolze und freie Frau. Sie wagte es nicht, den Blick zu heben. Dafür gab sie mitleiderregende leise Laute des Verlangens von sich, ihr ganzer Körper zitterte.

»Hast du etwas gesagt?« fragte ich.

»Verzeiht mir, Herr.«

»Willst du was?«

Sie blickte mich ängstlich und bittend an. »Ich will Euch dienen«, flüsterte sie.

Es war schon interessant, welche Veränderungen ein Sklavenkragen in einer Frau hervorrufen konnte.

»Bitte, Herr«, bettelte sie.

»Also gut. Du darfst mir dienen.«

»Danke, Herr«, hauchte sie erfreut.

»Bring mir Paga.«

»Oh!« schluchzte sie enttäuscht.

Ich sah sie nur an.

»Ja, Herr«, schluchzte sie, erhob sich schnell und eilte auf den Paga-Kessel zu.

Ich sah ihr nach. Wie wunderschön sie war! Wie anmutig sie sich bewegte! Welch eine Sklavin aus ihr geworden war!

Philebus’ Ausschank war eigentlich eine transportable Paga-Taverne, so gestaltet, daß sie ein reisendes Feldlager begleiten konnte.

Eine andere Paga-Sklavin eilte vorbei; ein blonder Mann hatte sie zu sich befohlen.

Wie bereits erwähnt trugen die Mädchen keine Glöckchen, was angeblich damit zu tun hatte, daß sich ganz plötzlich die Notwendigkeit für Dunkelheit und Stille im Fall eines Angriffs auf das Lager ergeben konnte. Der Abend war warm. Die Monde standen am Himmel. Es wäre eine gute Nacht für einen Angriff auf ein Heerlager gewesen. Ein müßiger Gedanke. Ich rechnete nicht damit, daß es dazu kommen würde. Falls doch, wäre er bestimmt schon vor langer Zeit erfolgt. Die Sicherheitsmaßnahmen im Lager waren oberflächlich. Der Mann, den ich eingewilligt hatte zu begleiten – ein junger Krieger aus Ar-Station namens Marcus, das heißt, sein richtiger Name lautete Marcus Marcellus von den Marcelliani –, und ich hatten keine Probleme gehabt, uns in der Verkleidung von Kaufleuten in das Lager einzuschleichen. Im Prinzip waren wir Spione. Der junge Marcus hatte von Aemilianus, seinem ehemaligen Kommandanten in Ar-Station, der sich nun unter den Flüchtlingen in Port Cos befand, die Erlaubnis erhalten, die Bewegungen der Cosianer im Norden des Kontinents zu verfolgen und die gesammelten Informationen dem zur Zeit vor Holmesk lagernden Heer von Ar zukommen zu lassen. So tief verwurzelt waren die alten Loyalitäten, und das, obwohl Ar es unerklärlicherweise nicht geschafft hatte, Ar-Station zu Hilfe zu kommen. Ich hielt den jungen Marcus für einen prächtigen, wenn auch launischen Soldaten. Er war derjenige gewesen, dem es gelungen war, Ar-Stations Hälfte des Topas nach Port Cos zu bringen, was in der Erfüllung des Schwurs des Topas resultiert und die Streitmacht von Port Cos und darüber hinaus anscheinend die Schiffe der Voskliga mobilisiert hatte, die Piers von Ar-Station zu evakuieren und die Überlebenden, die sich hauptsächlich aus Bürgern zusammensetzten, zu retten. Wenn der junge Marcus, der mir ans Herz gewachsen war, eine Schwäche hatte, dann seine Launenhaftigkeit und seinen unglaublichen Haß auf die Cosianer und alles Cosische. Dieser Haß, der schon beinahe krankhafte Ausmaße annahm, war zweifellos die Folge seiner Kriegserlebnisse, vor allem der Belagerung von Ar-Station. Es ist schwer, mitansehen zu müssen, wie alles – oder fast alles –, das man geliebt hat, zerstört wird, und den für diese Zerstörung Verantwortlichen danach keinen Zorn entgegenzubringen. Wären die Streitkräfte von Ar in Telnus gelandet, kann ich mir nicht vorstellen, daß das Ergebnis wesentlich anders ausgesehen hätte. Wie viele Krieger neige auch ich dazu, den Krieg eher als die gefährlichste und aufregendste aller sportlichen Betätigungen anzusehen, ein Spiel von Kriegern und Ubars. Was, wie ich zugeben muß, sicher schrecklich ist. Auch ich bin dem Beutemachen keineswegs abgeneigt, besonders wenn sie wunderschön und kurvenreich ist.