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Der Flug des Armbrustbolzens war kaum zu sehen. Er war wie ein Flackern, etwas schrecklich Schnelles, kaum Wahrnehmbares, dann schlug der Vogel mit den Schwingen und gewann an Höhe. In kürzester Zeit war er im Süden verschwunden.

»Er ist tot«, sagte ein Soldat an Deck der Offiziersbarke, wo der Mann aus dem Ausguck zusammengebrochen war; aus seiner Brust ragten die Stabilisierungsfedern eines Bolzens. Es war kein schwieriger Schuß gewesen. Der Betroffene hätte genausogut ein stillstehendes Ziel sein können, das man bei einer Übung auf dem Schießstand anflog.

»Das sind nicht unsere Augen«, sagte ich zu Labienus. »Das sind die Augen von Cos.« Der Tarn war im Süden verschwunden. Wie ich erwartet hatte.

Die Männer standen wie betäubt herum.

»Wo sind unsere Tarnsmänner?« fragte ein Unteroffizier.

»Cos beherrscht den Himmel«, erwiderte ich. »Ihr seid im Delta allein.«

»Tötet ihn«, sagte einer der umstehenden Soldaten.

»Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, die geringe Zahl eurer Tarnsmänner in einer solchen Gegend oder in der Nähe von Holmesk sei ein Zufall?«

»Tötet ihn«, sagte ein anderer Soldat.

»Tötet ihn!«

»Was sollen wir tun, Hauptmann?« wurde Labienus gefragt.

»Wir haben unsere Befehle«, sagte der Offizier. »Wir ziehen weiter nach Westen.«

»Aber zuerst müssen wir noch bleiben, um die Rencebauern zu bestrafen«, sagte der Unteroffizier.

»Dann würde Cos entkommen«, meinte Plenius.

»Uns geht es nicht in erster Linie um die Rencebauern, sondern um Cos.«

»Das stimmt«, pflichtete Plenius bei.

»Und wir müssen ihnen dicht auf den Fersen sein.«

»Ja, genau!«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich würde vorschlagen, sich so schnell wie nur möglich aus dem Delta zurückzuziehen.«

»Ein ausgezeichneter Vorschlag, Spion«, spottete der Unteroffizier.

»Genau, jetzt wo wir sie fast haben!«

»Cosischer Sleen!«

»Wir werden weiter nach Westen marschieren«, sagte der Hauptmann.

»Wenigstens werden euch die Rencebauern auf einem solchen Marsch keinen großen Widerstand entgegenbringen, denn er führt euch nur noch tiefer in den Sumpf und liefert euch alle ihrer Gnade aus«, sagte ich bitter.

»Alles zum Weitermarschieren bereitmachen«, befahl Hauptmann Labienus.

»Die Rencebauern sind noch nicht mit euch fertig«, sagte ich.

»Wir haben keine Angst vor ihnen.«

»Sie werden wie Sleen an euren Flanken hängen«, sagte ich. »Sie werden euch zusammendrängen, euch wie eine Herde Vieh treiben. Und dann, wenn ihr dicht gepfercht dasteht, erschöpft, hilflos, schwach, dann werden sie Pfeile auf euch herabregnen lassen. Wenn euer Heer auseinanderbricht und sich in alle Himmelsrichtungen verteilt, werden sie euch im Sumpf jagen, einen nach dem anderen, und euch einfangen. Vielleicht, wenn ihr euch entkleidet und die Arme hebt, vielleicht schont man dann euer Leben und legt euch in Ketten, um euch als Besiegte zu den Handelsstationen zu bringen, wo ihr als Sklaven verkauft werdet, um an die Ruderbänke gekettet die Galeeren von Cos zu rudern.«

»Sleen!« zischte der Unteroffizier.

»Gut, einige von euch werden vermutlich in den Steinbrüchen von Tyros schuften.«

»Tötet ihn!« rief ein Soldat.

»Ihr müßt euch aus dem Delta zurückziehen, unverzüglich!« sagte ich.

»Es halten sich viele Regimenter im Delta auf«, sagte Hauptmann Labienus.

»Für dieses Regiment bist du verantwortlich.«

»Wir haben unsere Befehle.«

»Ich beschwöre dich, zieh dich zurück.«

»Unsere Befehle lauten aber anders.«

»Dann setzte dich mit den anderen in Verbindung.«

»Die Regimenter agieren unabhängig voneinander.«

»Hältst du es dann für einen Zufall, daß ihr über keine zentrale Kommandokette verfügt?«

Er blickte mich wütend an.

»Ar zieht sich nicht zurück«, sagte Plenius.

»Du bist hier der Befehlshaber«, sagte ich zu Labienus. »Du mußt die Entscheidung treffen.«

»Wir sind nicht ins Delta eingedrungen, um ohne cosisches Blut an den Klingen zurückzukehren!« sagte Plenius.

»Triff deine Entscheidung!«

»Das habe ich«, erwiderte Labienus. »Wir marschieren weiter nach Westen.«

Jubel ertönte.

»Saphronicus befindet sich nicht einmal im Delta!« sagte ich.

»Wenn das der Wahrheit entspräche, wer außer einem Spion könnte das wissen?« fragte Labienus.

»Der andere Spion, der es mir erzählt hat«, sagte ich.

»Damit bist auch du ein Spion«, sagte er. »Knebelt ihn.«

Plenius ließ sich nicht zweimal bitten.

»Laß mich ihn töten«, bat ein Soldat und zog das Messer, aber der Hauptmann hatte sich bereits abgewandt, um sich mit seinen Unteroffizieren zu beraten.

»Er hat versucht, Aurelian vor dem Tarnsmann zu warnen«, sagte ein anderer Mann.

»Er fürchtete nur um seine eigene Haut«, meinte Plenius und zurrte den Knebel noch fester.

»Dann soll er noch etwas mehr darum fürchten«, verkündete der Mann. Die Messerspitze berührte meinen Bauch, links unten. Die Schneide zeigte nach oben.

Sie konnte mit einem Ruck hineingestoßen und gleichzeitig in die Höhe gezogen werden und mich mühelos entleiben.

Ich blieb ganz still stehen.

Der Soldat trat wütend einen Schritt zurück und steckte das Messer weg. »Cosischer Sleen«, knurrte er. Dann wandte er sich zusammen mit seinen Kameraden von mir ab.

Plenius versetzte dem Joch einen Stoß, und ich stürzte über die Reling der Barke und landete hart im Wasser und im Schlamm. Ich kämpfte mich mühsam auf die Beine, wobei ich mehrmals ausrutschte. »Geh vor mir her!« befahl Plenius. Ich versuchte, mir das Wasser aus den Augen zu schütteln. Dann stolperte ich los, zurück zu dem Floß; er ging hinter mir, die Leine fest in der Hand.

Ich schüttelte erneut den Kopf, ich wollte das Wasser in den Augen los werden. In mir waren Wut und Hilflosigkeit. Ich wollte gegen den Knebel anschreien. Die Männer von Ar waren verrückt. Sie begriffen einfach nicht, was mit ihnen geschehen war! Ich wollte es ihnen zubrüllen, sie wachrütteln, sie warnen! Aber der Knebel in meinem Mund war ein goreanischer Knebel. Ich brachte nicht mehr als ein Wimmern zustande; einmal wimmern hieß ›ja‹, zweimal wimmern hieß ›nein‹. Auf diese Weise verständigte sich ein geknebelter Gefangener mit seinen Häschern, antwortete auf ihre Befehle und Fragen, denn allein ihre Interessen und Launen zählten. Aber selbst wenn ich hätte sprechen können, sie hätten mir nicht zugehört. Das wurde mir nun klar. Sie hatten mir zuvor nicht zugehört, sie würden es auch nun nicht tun.

Ich mußte fliehen! Ich mußte ihnen entkommen. Irgendwie mußte ich dem Schicksal entgehen, dem sie mit ziemlicher Sicherheit zum Opfer fallen würden. Ich hatte kein Interesse daran, ihre Dummheit, Verstocktheit und ihr schreckliches Ende zu teilen. Ich mußte fliehen! Es gab keine andere Möglichkeit.

Wir waren am Floß angelangt. Es lag genau dort, wo wir es verlassen hatten, ein Stück auf die kleine Sandbank geschoben, damit es während unserer Abwesenheit nicht abtrieb. Plenius beugte sich vor, um das an dem Floß befestigte Geschirr aus dem Wasser zu ziehen. Ich spannte alle Muskeln an. Nur ein paar Schritte von uns entfernt watete ein Soldat durch das Wasser.

»Wende dich von mir ab!« befahl mein Hüter.

Ich gehorchte. Der Soldat watete an mir vorbei.

»Bleib still stehen, Zugochse«, sagte Plenius. Der nächste Soldat ging an uns vorbei. Plenius legte mir das Geschirr an. Wütend spürte ich sein Gewicht. Ich wußte nicht, wieviel Zeit ihnen die Rencebauern geben würden, vielleicht nur bis Einbruch der Dunkelheit. Plenius zurrte noch immer an dem Geschirr herum. Im Augenblick standen wir ganz allein dort, niemand befand sich in unmittelbarer Nähe.

Ich fuhr auf dem Absatz herum. Plenius riß die Augen weit auf, dann traf ihn das Joch an der Schläfe. Es war unfaßbar, daß niemand diesen Laut hörte! Doch es erfolgte keine Reaktion. Keiner stürzte auf uns zu.