Ich sah auf Plenius, meinen Bewacher, herab. Er lag reglos auf der Sandbank. Er war ohne jeden Laut zusammengebrochen.
Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung zerrte ich das Floß ins Wasser. Ich war fest davon überzeugt, daß ich, falls ich an den Soldaten vorbeikäme, das Joch an den Stämmen des Floßes in Stücke brechen konnte und so meine Hände freibekäme, um mich unverzüglich von dem Geschirr zu befreien und mich davonzumachen. Ich ging los, das Floß im Schlepptau.
Es gelang mir, mehrere Ehn im dicksten Renceschilf zu bleiben. Dort betrug die Sichtweise kaum mehr als ein paar Meter. Manchmal ertönten die Stimmen von Soldaten. Zweimal passierten sie mich nur wenige Zentimeter entfernt. Das Floß verkantete sich mehrmals an dem Schilf. Einmal mußte ich es zu meinem Unbehagen über eine offene Wasserfläche ziehen. Ich war sehr erleichtert, als ich wieder im Schilf war.
»Halt!« sagte plötzlich eine Stimme.
Ich blieb stehen. Eine Schwertspitze bohrte sich in meinen Bauch. Ein zweiter Soldat trat an meine Seite.
Es waren Mitglieder des äußeren Verteidigungsrings, der, wie ich wütend erkannte, aufgrund meiner Vorschläge überhaupt erst gebildet worden war.
Hinter mir wateten Männer heran.
»Habt ihr ihn?«
Diese Stimme kannte ich. Es war Plenius, mein Bewacher.
»Ja«, erwiderte der Soldat, dessen Schwert ich am Bauch spürte. Er drückte fester zu, und ich wich zurück, bis ich gegen das Floß stieß. In dieser Stellung hielt er mich dann fest, ohne jede Möglichkeit zum Ausweichen. »Er wartet schon auf dich, im Joch und angeschirrt, so unterwürfig wie eine Sklavin.«
Ich hörte das Klirren von Ketten.
»Anlegen«, sagte Plenius. »Vor dem Körper.«
So lag mein Rücken frei.
Eine Handschelle schnappte um mein rechtes Handgelenk zu, bevor es von dem Joch befreit wurde. Dann wurde es zur Seite gerissen, und die andere Fessel schloß sich um das linke Gelenk. Erst danach befreite man mich vollends von dem Joch. Die zusammengeketteten Hände band man mir vor den Bauch, indem man ein Seil durch die Kettenglieder führte und es auf dem Rücken zusammenknotete.
»War der Zugochse störrisch?« fragte der Soldat besorgt. Männer lachten.
Plenius war auf das Floß geklettert. Andere schlossen sich ihm an.
Eine Peitsche knallte.
»Umdrehen, Zugochse!« befahl Plenius. »Wir marschieren nach Westen!«
Meine Hände steckten hilflos in dem Eisen fest.
»Beeilung!«
Die Peitsche züngelte über meinen Rücken. Und noch einmal.
»Beeilung!«
Ich drehte mich um, rutschte im Schlamm aus und drehte mit brennendem, blutüberströmtem Rücken das Floß. Dann zog ich es westwärts, noch tiefer ins Delta hinein.
»Nun mach schon«, rief Plenius.
Wieder traf die Peitsche meinen Rücken.
Ich stemmte mich gegen das Geschirr, nach Westen.
8
»Siehst du«, sagte Plenius und stieß mir ein Stück rohen Fisch in den Mund, »es gibt keine Gefahr.«
Der Knebel war um das Seil um meinen Hals gewickelt, das in einer Länge an den Pflock geknotet war, die mir erlaubte, aufrecht zu sitzen. Meine Füße waren noch immer auf die übliche Weise eng aneinandergebunden und an einem anderen Pflock befestigt. Die Hände waren auf den Rücken gefesselt. Wieder wußte ich nicht, wer den Schlüssel hatte. Aus Sicherheitsgründen erhielt ihn jeden Tag ein anderer.
»Lauscht nach Steinen, die sich unter Wasser bewegen«, erwiderte ich.
»Du bist verrückt.«
»Hast du meine Warnungen an den Hauptmann weitergeleitet?«
»Man hat eine Wache aufgestellt, so unnütz das auch sein mag.«
Auf der Sandbank befanden sich etwa fünfhundert Mann.
»Iß«, sagte Plenius. »Und schluck.«
Ich gehorchte. Es lag in meinem Interesse, soviel zu essen zu bekommen wie nur möglich. Es war sowieso kaum genug für alle da. Ar hatte meiner Schätzung nach etwa fünfzigtausend Soldaten ins Delta geschickt. Und das ohne ausreichende logistische Unterstützung.
»Das war’s«, verkündete Plenius.
Ich blickte ihn überrascht an.
»Mehr gibt es nicht.«
»Du bist ein harter Kerl«, sagte Hauptmann Labienus und schaute auf mich herunter. »Ich hätte gedacht, du würdest heute im Sumpf sterben.« Die Sonne hatte heiß vom Himmel gebrannt. Das Floß war sehr schwer gewesen, viele Männer hatten es benutzt. Plenius hatte nicht an Peitschenhieben gespart. »Und doch bist am Leben und hast Appetit.« Er wandte sich an meinen Hüter. »Laß den Knebel! Geh!«
Sobald Plenius ein paar Meter weit weg war, ging der Hauptmann in die Hocke und musterte mich mit eindringlichem Blick. Ich hatte ihn nicht herankommen gesehen.
»Du hast heute einen Fluchtversuch unternommen?«
Darauf gab ich ihm keine Antwort.
»Du kannst dich glücklich schätzen, daß du keine Sklavin bist.«
Ich zuckte mit den Schultern. Das entsprach zweifellos der Wahrheit. Auf Gor gibt es eine Doppelmoral, was die Behandlung von Männern und Frauen, insbesondere Sklavinnen, angeht. Denn bei Frauen und Männern handelt es sich nicht um dieselben Wesen. Daß Frauen und Männer gleich sind und auch dementsprechend behandelt werden sollten, halten die Goreaner für Wahnsinn. Ich hatte in der Tat Glück, keine Sklavin zu sein. Bei den meisten Sklavenherrn hört bei einem Fluchtversuch die Nachsicht auf. So etwas wird nicht geduldet.
»Du verstehst, warum du den Knebel trägst?«
»Ja«, sagte ich. »Damit ich nicht dafür sorge, daß Fragen gestellt werden, damit ich keine Unruhe schüre, nicht die Moral der Männer untergrabe.«
Labienus blickte zu Boden.
»Hast du Angst, du könntest die Geschehnisse der letzten Tage kritisch beleuchten?«
»Erkläre mir deine Meinung«, sagte er.
»Du scheinst ein intelligenter Offizier zu sein«, sagte ich. »Bestimmt hast du mittlerweile deine eigenen Schlüsse gezogen.«
»Sprich!«
»Ich glaube nicht, daß das noch eine Rolle spielt. Ihr seid bereits tief ins Delta vorgestoßen.«
In seinem Blick lag tiefer Ernst.
»Wenn du meine Meinung hören willst, ist Ar verraten worden, und zwar in der Angelegenheit mit Ar-Station, bei der Aufstellung des Heeres, und jetzt bei dem völlig überstürzten, schlecht vorbereiteten Vorstoß ins Vosk-Delta. Ihr wart nicht vorbereitet. Euch fehlen Vorräte und Unterstützung. Mittlerweile dürften die Nachschublinien, die ihr hattet, von den Rencebauern unterbrochen worden sein. Ihr habt keine Tarndeckung oder Tarnspäher. Ihr habt nicht einmal Führer, die sich im Rencegebiet auskennen. Offensichtlich wußtet ihr nicht einmal, daß eure Schiffe im Delta verrotten würden. Hältst du es wirklich für einen glücklichen Zufall, daß in so kurzer Zeit eine ganze Flottille kleiner Boote in Ven und Turmus besorgt werden konnten? So wie es jetzt einfach Pech ist, daß genau diese Boote innerhalb weniger Tage unter euren Füßen auseinanderbrechen und versinken?«
Er sah mich nur wütend an.
»Sie haben euch erwartet.«
Labienus schüttelte den Kopf.
»Zieht euch aus dem Delta zurück, solange ihr noch könnt.«
»Du hast Angst, hier zu sein.«
»Ja, das habe ich.«
»Wir alle haben es mit der Angst bekommen.«
»Tretet den Rückzug an.«
»Nein.«
»Befürchtest du, vors Kriegsgericht gestellt zu werden? Fürchtest du, dein Kommando zu verlieren, in Unehre zu fallen?«
»Das würde zweifellos geschehen, wenn ich den Befehl zum Rückzug geben würde.«
»Besonders wenn du der einzige bist.«
Er nickte.
»Und es gibt bei diesem Vorstoß keinen übergeordneten Kommandostab.«
»Nein.«
»Auch das ist merkwürdig.«
»Kommunikation ist schwierig«, sagte er. »Die Verbände operieren getrennt voneinander.«
»Was würdest du an Saphronicus’ Stelle tun?« fragte ich ihn.
»Ich hätte einen übergeordneten Kommandostab«, sagte er. »Ich würde alle Anstrengungen unternehmen, die Kommunikationswege aufrechtzuerhalten, besonders bei den Bedingungen hier im Delta.«
»Das würde jeder halbwegs fähige Kommandant tun.«
»Du stellst Saphronicus’ Fähigkeiten in Frage?«