»Holt die Posten zurück!« brüllte Labienus.
»Bringt Fackeln!« rief der Unteroffizier.
»Nein, kein Feuer!« rief ich.
Plenius rammte mir den Knebel in den Mund und band ihn fest. Er stieß mich zurück auf den Sand und kürzte die Leine. Ich versuchte mich zu befreien, aber das war unmöglich. Ich kämpfte gegen die Eisenmanschetten an, aber das war ein genauso vergeblicher, närrischer Versuch. Dann versuchte ich, wenigstens den Kopf ein Stück zu heben, damit ich zusehen konnte.
Soldaten eilten mit Speeren und Fackeln umher und schlugen auf die Tharlarion ein. Der Uferstreifen und der Sumpf wimmelten nur so von den riesigen Echsen. Überall auf der Sandbank ertönten Schreie. Ganz in der Nähe rammten Soldaten ihre Speere in den Körper eines gewaltigen Tharlarions. Weitere der Bestien stürmten aus dem Sumpf, von denen gehetzt, die hinter ihnen kamen. Sie schwärmten über die Sandbank. Nur die wenigsten griffen die Männer direkt an, abgesehen von ein paar, die instinktiv zuschnappten, wenn sich ihnen ein Hindernis in den Weg stellte. Die meisten Verletzungen erfolgten durch die schnellen, unberechenbaren Bewegungen ihrer gewaltigen Schwänze, die wild umherpeitschten, Schläge, die Beine brechen und einen Mann mehrere Meter weit fortschleudern konnten, und weniger durch einen Biß der weißen, gebogenen, hakenähnlichen Zähne oder das Zuschnappen der kräftigen Kiefer. Diese Tiere hatten die Sandbank nicht in aggressiver Absicht überschwemmt. Sie griffen nicht an, sie wollten nicht fressen. Sie rannten ziellos umher, erst in die eine Richtung, dann wieder in die andere, unsicher, völlig verwirrt. Keine Erfahrung hatte sie jemals auf diesen Tumult, dieses Chaos vorbereitet, genausowenig wie die Männer aus Ar. Falls das überhaupt möglich war, waren die Riesenechsen noch viel verstörter und aufgeregter als die Soldaten. Ich ließ mich flach zurückfallen, als plötzlich ein langer, schwerer, schuppiger Körper auf kurzen Beinen über meinen Körper krabbelte.
Wieder ertönte der Ruf nach mehr Fackeln.
Ich kämpfte gegen die Handschellen an, versuchte, mich von den Pflöcken zu befreien. Aber es war vergebens, ich blieb völlig hilflos liegen, genau wie es meine Häscher gewollt hatten.
»Mehr Fackeln!«
Ich wollte an dem Knebel vorbei einen Schrei ausstoßen, wollte den Stoff mit der Zunge aus dem Mund schieben, aber er saß zu tief und wurde von einem Band gehalten. Verzweifelt versuchte ich dann, das Halteband abzustreifen, indem ich die Seite meines Gesichts im Sand rieb. Auch dieses war vergeblich. Ich versuchte mit aller Gewalt, irgend jemandes Aufmerksamkeit zu erreichen, aber niemand schenkte mir auch nur einen Blick. Meine Zunge schmerzte. Meine Wange brannte. Sand und Schweiß bedeckten meinen Körper. Eine weitere Echse trabte vorbei, der lange Körper erhob sich nur wenige Zentimeter über den Boden.
»Entzündet mehr Fackeln!«
Erschöpft und elend ließ ich den Kopf auf den Sand sinken. Die Sandbank, eine Menagerie aus verwirrten Tieren und vielen wütenden, verängstigten Männern, war nun hell erleuchtet.
Ihr Narren, dachte ich und schluchzte still vor mich hin. Ihr verdammten Narren!
Dann versuchte ich, mich mit unbeholfenen Bewegungen tiefer in den Sand einzugraben.
Einen Augenblick später hörte ich den ersten Treffer, ein Geräusch wie ein Faust schlug gegen eine Brust, dann sah ich einen Soldaten zwischen den Tharlarion schwanken. Das Geräusch ertönte wieder und wieder. Ein Mann riß die Hände hoch, die Fackel in seinem Griff beschrieb ein seltsames Muster, dann verlor er sie und stürzte zu Boden.
Die Luft wurde lebendig, wie ein Sturmwind rasten von allen Seiten Pfeile aus der Dunkelheit des Sumpfes und bohrten sich in die Sandbank.
»Runter!« rief jemand. Ich erkannte die Stimme. Es war Labienus, der Hauptmann. »Runter! Schnell! In Deckung!«
Männer schrien.
»Die Fackeln löschen! Schnell!«
»Aber die Tharlarion!« protestierte ein Soldat. Dann wurde er getroffen und stürzte zwischen den Echsen zu Boden.
»Löscht die Fackeln!« schrie der Hauptmann. Er selbst hatte seine weggeworfen.
Pfeile flogen über die Sandbank. Tharlarion bäumten sich auf, nun ebenfalls getroffen. Soldaten schrien schmerzerfüllt auf, dann begannen die Fackeln zu verlöschen, eine nach der anderen.
»Runter mit euch! Runter!«
Ein Soldat warf den Kopf zurück und schrie seine Angst hinaus, die Fackel fest mit beiden Händen umklammert. Er hatte Angst, sie zu behalten, so wie er Angst hatte, sie fortzuwerfen. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper, und er fiel langsam nach vorn zwischen die Tharlarion; aus seinem Rücken ragte ein Pfeil aus Temholz, mit Voskmöwenfedern befiedert. Einer seiner Kameraden, der ebenfalls völlig verwirrt war, erlitt das gleiche Schicksal. Es wäre besser gewesen, er hätte dem Befehl ohne nachzudenken gehorcht.
»In Deckung!« rief der Hauptmann. »Tötet die Tharlarion. Geht hinter ihnen in Deckung!«
Ein gräßlicher Schrei ertönte.
Dann hörte der Beschuß auf. Die vergängliche Insel aus Sand lag in tiefer Dunkelheit. Ein paar der Echsen waren zu hören, wie sie herumliefen. Die meisten von ihnen rührten sich jedoch nicht mehr von der Stelle, jetzt, wo sie weder von den Männern noch von den Fackeln behelligt wurden. Einen Augenblick später ertönte ein Blöken; sie trampelten dem Wasser entgegen und verließen die Sandbank. Es regnete keine Pfeile mehr vom Himmel. Wie die Bogen aus Ka-la-na-Holz müssen auch die Pfeile aus Temholz ins Delta importiert werden und stellen für die Rencebauern einen kostbaren Besitz dar. Darum schießen sie nur selten ohne ein genaues Ziel vor Augen.
Zwei oder drei Ahn später brach die Morgendämmerung herein.
Die Rencebauern hatten sich zurückgezogen. Zumindest für den Augenblick.
9
Ich stemmte mich gegen das Geschirr und kämpfte mich weiter westwärts durch den Sumpf, geknebelt, mit vor den Körper gefesselten Händen. Dazu trug ich noch eine schwarze, undurchsichtige Sklavenhaube. Plenius war der Gedanke gekommen, ich könnte mich vielleicht mit Hilfe von Blicken mit den Rencebauern verständigen. Vielleicht wollten sie aber auch einfach nur nicht, daß ich sie in ihrem erbarmungswürdigen Zustand sah. Und so rang ich dem Sumpf jeden Schritt ab und zog das schwere Floß, das nun hauptsächlich mit Verwundeten und Kranken beladen war, durch das endlose Schilf.
Es war vier Tage her, daß man die Tharlarion auf uns gehetzt hatte.
Wir waren weiter nach Westen gezogen.
Die Rencebauern waren mittlerweile dazu übergegangen, sich ihre Ziele sorgfältig auszusuchen. Manchmal vergingen Ahn, und die Männer wähnten sich in Sicherheit. Dann flog ein Pfeil aus dem Rence, abgeschossen von einem unsichtbaren Bogenschützen, dessen Anwesenheit man nicht einmal erahnt hatte, und ein weiterer Soldat versank im Sumpf. Hauptmann Labienus wagte es nicht mehr, Männer vom Haupttroß abzukommandieren. Allzu häufig kehrten sie nicht zurück, und dabei spielte es keine Rolle, ob sie als Vorhut, Nachhut oder Späher ausgesandt worden waren.
Die Soldaten von Ar marschierten nun als Gruppe, dicht aneinandergedrängt. Soviel ich mitbekommen hatte, waren viele Überlebende anderer Regimenter mit eigenen Erlebnissen voller Leid und Schrecken zu uns gestoßen oder hatten uns eingeholt. Vielleicht hatte der Feind sie auch auf uns zugetrieben wie ein Hirte seine Herde. Ich fragte mich, wie viele von ihnen – vielleicht auch nur unterbewußt – sich wünschten, ihre Kameraden als Deckung zu benutzen. Ich hatte oft genug gehört, wie der Befehl zum Einhalten oder zum Wiederaufbau der Marschkolonne erteilt worden war. Danach marschierten sie wieder eine Zeitlang hintereinander, obwohl es, zog man die allgemeine Erschöpfung in Betracht, bestimmt eine stolpernde, unordentliche Kolonne war, die aber noch immer die potentiellen Ziele voneinander trennte. Ich konnte mir vorstellen, wie die müden, entnervten Soldaten ängstlich nach rechts und links schauten. Das Rence würde überall gleich aussehen.
Was mich anging, so beschränkte sich meine Welt auf das schwere Floß, den nachgiebigen Sumpfboden und die Schläge, die mich antrieben.